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»Ich bin nicht zu früh, oder? Wir waren doch verabredet?«, fragte er und betrat den Raum. Dann setzte er sich an die andere Seite des Tisches und richtete sein Auge auf Goda. Kurz sah er sie böse an, als hätte er gelauscht und wüsste von ihren Worten gegen ihn; dann schaute er freundlich zu Ingrimmsch. »Ein schönes Model!«, lobte er den Nachbau und zwinkerte. »Gibt es dazu auch kleine Bestien?«

Boindil lachte erleichtert. »Wir haben ein paar passende Fähnchen gebastelt. Aber wir müssen sie erst suchen. Wer konnte ahnen, dass wir sie jemals brauchen würden?« Rasch erklärte er dem Freund, wie sein Vorhaben aussah, die Schlucht für immer zu versiegeln, sodass nichts mehr daraus entkommen konnte, egal wie groß oder klein es war.

Goda hielt sich zurück und beschränkte sich darauf, Tungdil anzuschauen. Sie wollte ihn reizen, damit er sich verleiten ließ, sich durch Taten und Worte zu verraten. Ihrer Ansicht nach war er nicht der bekannte, viel gerühmte Held, sondern ein raffiniertes Trugbild Tungdils, das es zu entlarven galt. Doch ihre Blicke prallten an ihm ab wie Schwertschneiden an einer guten Rüstung.

»Die Schächte und Höhlen unmittelbar unter den Schlucht reichen tief und sind verzweigt«, erklärte er. »Es gibt nicht genügend Metall im Geborgenen und Jenseitigen Land, um sie zu schließen. Aber einen Pfropfen zu formen, das macht in der Tat Sinn. Allerdings kann man diese Arbeit erst beginnen, wenn das Heer vernichtet ist, das in der Schlucht lauert.«

»Und das du zu uns geführt hast«, fiel ihm Goda ätzend ins Wort.

»Ich habe es angeführt. Zu euch gekommen wäre es von selbst. Das ist ein Unterschied.« Tungdil blieb erstaunlich ruhig, fand Ingrimmsch, wenn er an den Vorfall der letzten Nacht mit dem Tisch dachte. »Ich habe Zyklen damit verbracht, mir einen Namen unter den Scheusalen zu machen, damit sie mir vertrauen und mich als einen der ihren annehmen. Nur so gelang esmir, zu ihrem Führer aufzusteigen, von dem sich sogar ein Kordrion etwas sagen ließ. Denn es war mir bewusst, dass der Umlauf kommen würde, an dem die Barriere fällt, und dann wollte ich in der ersten Reihe stehen. Als ein Dritter, ein herkömmliches Kind des Schmieds, hätten sie mich zerfetzt. Was ihnen ganz am Anfang auch beinahe gelungen wäre.« Mit jedem Satz wurde seine Stimme tiefer und bedrohlicher, bis er sich mit Nachdruck räusperte und die Gefährlichkeit aus seiner Kehle vertrieb. »Ich ließ sie glauben, dass ich sie leiten und gegen euch führen würde. Bis sie sich von der Überraschung erholt haben, wird nicht mehr zu viel Zeit vergehen, und dann werden sie mit noch mehr Hass angreifen.«

»Übeldamm wird sie zurückschlagen«, sagte Ingrimmsch so überzeugt, wie es ihm möglich erschien.

»Das wird nicht ausreichen, mein Freund. Ich weiß, was noch alles kommen wird.« Tungdil sah zwischen ihm und der Zwergin hin und her. »Ihr benötigt ein Heer, ein großes Heer, das in die obersten Kammern und Tunnel eindringt, um die Bestien weiter zurückzuschlagen, während hier Vorbereitungen zum Schließen der Schlucht getroffen werden. Und einen Magus. Einen sehr mächtigen Magus.« Er sah zu Goda. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«

Sie hatte den veränderten Tonfall bemerkt. »Du wirst uns offenbar nicht helfen?« »Wie kannst du das annehmen?«, regte sich Boindil auf. »Natürlich wird er das!« »Sie hat recht«, meinte Tungdil gelassen und legte die gepanzerten Hände zusammen, als wolle er beten oder etwas zwischen seinen Fingern gefangen halten. »Ich habe meine Schlachten geschlagen und verspüre keine Lust mehr, länger ein Krieger zu sein.« Ingrimmschs Mund klappte auf. »Das ist ein Scherz, Gelehrter!«, rief er dann. »Halte mich nicht zum Narren! Nicht damit! Es sind so viele, die auf dich gewartet und alle Hoffnung in dich gesetzt haben, um dem Unrecht im Geborgenen Land ein Ende zu setzen. Menschen, Elben - wo auch immer sie sein mögen - und Zwerge. Dein Volk erwartet dich!«

»Ich weiß«, entgegnete er leise. »Doch ich habe niemandem das Versprechen gegeben, als ein Retter zurückzukehren. Ich habe einen ersten Angriff auf die Festung unterbunden undmeine Warnung vor dem, was euch droht, ausgesprochen. Jetzt wisst ihr, was ihr dagegen unternehmen solltet. Mehr werde ich nicht tun.«

»Das klang gestern Nacht aber ganz anders!« Ingrimmsch war der Verzweiflung nahe. »Du hast selbst gesagt...«

»... dass ich nach Hause gekommen bin, um Ruhe zu finden«, ergänzte Tungdil grollend. »Nichts weiter. Und dass ich Zeit benötige, um mehr von...«

»Welches Zuhause meinst du, Tungdil Goldhand?«, mischte sich Goda ein und setzte zur nächsten Probe an. »Sage mir: Wo bist du zu Hause? Im Stollen von Lot-Ionan? Er existiert schon lange nicht mehr. Oder möchtest du zu den Freien, die in ihrem unterirdischen Reich von den Dritten eingeschlossen sind und nicht hinausgelangen? Oder zurück zu Balyndis, deiner ersten Liebe? Aber vielleicht sind es die Untergründigen, bei denen du die restlichen Zyklen verbringen möchtest?« Sie deutete auf das Fenster. »Ist es nicht eher so, dass dein Zuhause in dem Land ist, von dem aus die Tunnel zur Schwarzen Schlucht führen? Du hast die längste Zeit deines bisherigen Lebens dort verbracht. Es wäre zuallererst als Heimat zu bezeichnen, findest du nicht?« Sie erhob sich. »Mir würde es nichts ausmachen, wenn du verschwindest.« »Goda!«, brüllte Boindil sie erschüttert an, aber sie überging ihn.

»Du traust dich vielleicht nicht, deinen Zweifeln Gehör zu schenken, aber ich verschließe mich den meinen nicht. Was nutzt uns dieser Tungdil in seiner prächtigen Rüstung, wenn er nichts unternimmt?«, sagte sie angriffslustig. »Bei Vraccas, es kann nicht Tungdil sein!« Goda warf dem einäugigen Zwerg verächtliche Blicke zu. »Denn der Gelehrte hätte alles in Gang gesetzt, um dem Elend im Geborgenen Land ein Ende zu bereiten. Wären das deine ersten Worte gewesen, hätte ich niemals Argwohn gehegt.« Sie richtete den Zeigefinger auf ihn. »Du bist nicht Tungdil, also laufe in die Schwarze Schlucht, aus der du gekommen bist, bevor du uns weiter entmutigst und unseren Truppen die Zuversicht raubst. Lieber lasse ich sie im Glauben, dass du heimlich gegangen bist und eines Umlaufs ein zweites Mal zurückkehrst!« Sie wandte sich ab und schüttelte Boindils Hand von ihrem Arm, dann verließ sie den Raum.

Ingrimmsch betrachtete Tungdil, der die Anschuldigungen ungerührt hingenommen hatte. Kein Aufbegehren, kein Widerstand. »Sag was, Gelehrter!«, flehte er. »Bei unserem Schöpfer, dem Göttlichen Schmied: Sag etwas, das Godas Worten ihre Wirkung raubt und mich an dich glauben lässt. Was uns alle an dich glauben lässt! Du kannst nicht ermessen, welche Wirkung dein Rückzug auf die verbliebenen Zwerge und die Menschen haben würde.«

Tungdil stand auf, ging um den Tisch herum und verharrte drei Lidschläge vor seinem Freund, um ihm die Linke auf die Schulter zu legen, dann trat er durch die Tür hinaus auf den Gang.

»Das ist keine Antwort!«, schrie Boindil zornig. »Komm zurück und antworte mir!« Er folgte ihm und hatte ihn mit raschen Schritten eingeholt, fasste ihn an der Schulter und wollte ihn umdrehen. Doch es gelang ihm nicht, den Zwerg zu bewegen. An seinem Finger kribbelte es warnend, unvermittelt bekam er einen Schlag, der ihn von den Füßen holte und ihn gegen die Wand schleuderte; ächzend sank er auf die Steinplatten.

Sternchen und Feuerkreise tanzten vor Ingrimmschs Augen, und durch sie hindurch sah er das Gesicht seines Freundes, das sich besorgt über ihn beugte. »Ich hole einen Heiler«, vernahm er die Stimme verzerrt. »Das hättest du nicht tun sollen, mein heißblütiger Freund. Aber keine Bange, du wirst bald wieder auf der Höhe sein.« Der letzte Satz verklang in seinen Ohren, Boindil wurde ohnmächtig.

Tungdil machte sich auf den Weg zu seinem Gemach.

Die Aufregung um Boindils Zusammenbruch hatte sich gelegt. Der herbeigerufene Heiler ging davon aus, dass der General der Festung einen harmlosen kleinen Schwächeanfall erlitten hatte. Zu viel der Freude und vielleicht zu viel Branntwein am Abend zuvor.