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»Der Turm hat nur den einen Ausgang«, flüsterte sie Rodario zu und löschte die Lampen. »Rasch, verstecken!« Er wollte zur Treppe ins erste Geschoss rennen, aber sie hielt ihn am Ärmel fest. »Nein, nicht in die Zellen. Einfacher könnten wir es den Wachen wohl nicht machen.« Sie gab ihm einen Stoß, der ihn neben den Waffenschrank in die Ecknische torkeln ließ. Coira folgte ihm und presste sich neben ihm gegen die Wand. Die Schatten fielen günstig, sodass die Wachen hoffentlich an ihnen vorbeistürmten.

Die Tür wurde geöffnet, und ein Ork betrat den Raum. Er hatte noch keine drei Schritte hineingemacht, da brüllte er seine Befehle und riss sein Schwert aus der Scheide. Acht seiner Soldaten stürmten mit ihm zusammen die Stufen nach oben, vier blieben in der Wachstube und sicherten den Ausgang. Sie entzündeten die Lampen von Neuem. Coira wusste, dass sie um einen Kampf nicht herumkam. Und vor allem musste er schnell entschieden werden, ehe die anderen neun Scheusale zurückkehrten. »Ich werde Euch brauchen, Rodario der Siebte«, flüsterte sie in sein Ohr und sah, wie er vor Wonne erschauderte, als ihr Atem ihn umspielte.

»Alles, was Ihr möchtet«, sprach er eifrig und leider nicht leise. »Da!«, schrie einer der Orks aufgeregt. »In der Ecke!« Er zog sein Schwert, die anderen drei folgten seinem Beispiel und griffen an.

»Das habt Ihr fein hinbekommen«, fluchte Coira und sandte ihre Magie gegen die Angreifer. Aus ihrer linken Hand schnellten vier gelbliche, murmelgroße Sphären und prallten gegen die Köpfe der Orks. Als sie zerbarsten, umgaben sie die Häupter mit einer Art funkelndem Glitzer.

Zwei Wesen brachen einfach zusammen, doch bei den übrigen war die Wirkung ausgeblieben.

»Es ist Coira Weytana!«, brüllte einer von ihnen die Treppe hinauf. »Die Tochter der Maga ist hier unten! Rasch, helft uns!«

»Los, noch mal!«, sagte Rodario und reckte seinen Dolch nach vorne. »Sendet ihnen den Tod!« Mir nichts, dir nichts sprang er den nächsten Ork an und stach zu. Coira wurde überdeutlich bewusst, dass der Siebte weder gut aussah noch schlagfertig war noch einen guten Kämpfer abgab. Sein Angriff erfolgte so offensichtlich, dass es selbst einem Blinden leichtgefallen wäre, der Klinge zu entkommen, ohne sich dabei beeilen zu müssen. Für einen ausgebildeten Krieger war der tölpelhafte Versuch nicht einmal eine Herausforderung, sondern einfach nur lästig.

Dementsprechend verächtlich konterte der Ork. Es langte nach einem der Humpen auf dem Tisch, machte einen seitlichen Ausfallschritt, um Rodario ins Leere laufen zu lassen, und zerschmetterte das Gefäß auf dessen Hinterkopf.

Der Mann ächzte auf und verlor das Gleichgewicht, stürzte nach vorn und fiel der Länge nach auf den Tisch. Die restlichen Humpen krachten zu Boden, schäumend ergoss sich das Bier.

Coira drosch mit dem Schwert nach ihrem Ork. Er parierte in letztem Augenblick und dicht vor seinem Hals. Grunzend drückte er die Klinge weg und schlug seinerseits zu. Die junge Frau hielt ihr Schwert dagegen, doch die Kraft im Hieb hätte sie beinahe dazu gebracht, die Hand zu öffnen. Ein taubes Gefühl breitete sich in ihren Fingern bis zum Unterarm aus. Sie musste sich anders zur Wehr setzen, auch wenn sie es hatte vermeiden wollen.

Coira ließ einen tödlichen Zauber gegen den Feind los. Knisternde rote Blitze stießen aus ihren Augen hervor und schlugen ins Gesicht des Orks. Die Haut kochte und warf Blasen, die Augengerannen und verdampften zu kleinen, erbsengroßen Punkten; aufkreischend stürzte er nieder.

Der Ork, der Rodario niedergestreckt hatte, schleuderte seinen Dolch nach der Maga. Sie nutzte ihre Fertigkeiten, um die wirbelnde Klinge in der Luft anzuhalten. Ein Gedanke und ein kurze Formel genügten, und das Metall schmolz brodelnd. Coira sandte den rot glühenden Ball zurück zum Werfer, der dem Geschoss nicht mehr ausweichen konnte: Es folgte jeder seiner Bewegungen!

Das flüssige Eisen klatschte gegen seinen Hals und brannte sich zischend durch seine Haut in ihn hinein. Der Ork versuchte, es in seiner Angst abzuwischen, und verbrannte sich die Finger bis auf die Knochen; die Schmerzen ließen ihn besinnungslos zu Boden gehen.

Laute Befehle schallten die Treppe herab, das Trampeln der Stiefel kehrte zurück. Coira lief zum Tisch und zog den benommenen Schauspieler am Kragen in die Höhe. »Kommt, Ihr Glücklosester unter den Glücklosen«, rief sie und verpasste ihm eine leichte Ohrfeige, um seinen Verstand zu wecken.

Rodario verdrehte die Augen, dann grinste er sie unsicher an. »Das habt Ihr gut gemacht, Prinzessin.«

»Und Ihr das Gegenteil!« Sie rannte zum Ausgang. »Weg von hier!«, befahl sie. »Oder wollt Ihr den Grünhäuten begegnen, um weitere glorreiche Schlachten zu schlagen?« Diese Bemerkung hatte sich Coira nicht verkneifen können.

»Ich weiß aber nicht, wo ich hin soll«, jammerte er und nahm einen Dolch in beide Hände. Zwei Orks kamen die Treppe herab und blieben auf der Schwelle stehen. Coira seufzte. Das hatte sie bereits geahnt. »Begleitet mich. Ich bringe Euch in Sicherheit, obwohl es eigentlich umgekehrt sein sollte. Ihr seid schließlich der Mann.« »Ich weiß«, rief er niedergeschlagen und hetzte hinter ihr her zur Tür hinaus. »Der Held rettet die Prinzessin und nicht umgekehrt.«

»Schön! Merkt es Euch für das nächste Mal«, erwiderte sie und lief zurück in die engen Gassen zu einer Stelle in der Mauer, durch die sie nach außen gelangte und wo Loytan auf sie wartete. Mit zwei Pferden. Eines war eigentlich für den Unerreichbaren gedacht gewesen, nun schleppte sie dafür dessen schlechte Nachahmung mit sich durch Mifurdania. »Das ist ungerecht, ihr Götter«, murmelte sie und wandte den Kopf, um nach dem Mimen zu sehen.

Er stolperte ständig über seine Gewandung, verlor seinen Dolch und wollte tatsächlich anhalten, um ihn zwischen dem Unrat zu suchen. Coira musste Rodario wegzerren. Sie rannten die Stadtmauer entlang, ohne verfolgt zu werden. Die Orks vermuteten sie an einem der Tore.

Plötzlich erschien eine Gestalt aus einer Gasse vor ihnen, die eine Laterne in der Linken hielt und sie anscheinend erwartete.

Coira erkannte den Unerreichbaren!

Gleich darauf hatten sie ihn erreicht. Er hatte einige blutige Schrammen im Gesicht, sein rechtes Auge war zugeschwollen - Beweise der Zuneigung seitens der Orks und Lohasbrander. Er reichte zuerst dem außer Atem geratenen Mann, dann der jungen Frau die Hand. »Ich wollte mich bedanken für das, was Ihr beide für mich tun wolltet«, sagte er rasch. »Das werde ich Euch nie vergessen.«

»Kommt mit uns«, erwiderte Coira schnell und hoffte, dass er ihr laut schlagendes Herz nicht hörte. Er hatte ihre Finger nicht losgelassen. »Wir haben Pferde, um Euch...« Der Unerreichbare schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann Mifurdania nicht verlassen. Es gibt zu viele Menschen, denen meine Zeilen noch Hoffnung geben müssen. Nun mehr denn je.« Er deutete einen Handkuss an. »Außerdem muss ich den Titel gewinnen.« Er nickte Rodario zu, und es kam Coira ganz so vor, als tauschten sie dabei unhörbare Botschaften aus. »Nehmt meinen Freund mit. Er ist eher in Gefahr als ich. Es gibt niemanden in der Stadt, der ihm Zuflucht gewähren würde, und sein Gesicht ist zu bekannt.«

Rodario der Siebte lächelte unglücklich und spielte mit dem Saum des linken Ärmels. Coira wurde von der nächsten Enttäuschung gepackt. »Das tue ich«, versprach sie dennoch dem Unerreichbaren und spürte das Verlangen, ihn niemals mehr loslassen zu wollen. Stattdessen musste sie mit einem Tollpatsch abziehen, während ihr strahlender Kämpfer zurückblieb und weitere Heldentaten vollbrachte. Ohne sie. So ungerecht, ihr Götter!

Sie neigte sich nach vorn und gab dem Unerreichbaren einengehauchten Kuss auf die Wange, dann zog sie Rodario hinter sich her. »Welch ein Mann«, sagte der Mime verzückt. »Was gäbe ich dafür, zu sein wie er.«