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Da setzte der Gesang wieder ein.

All seine Vorbehalte wurden von den Tönen und der glasklaren Stimme ausgelöscht und ließen den Wunsch zurück, die Sängerin mit eigenen Augen zu sehen. Sie bewundern zu können und an ihren Lippen zu hängen, während sie allein für ihn sang. Nur für ihn! Niemand sonst durfte in diesen Genuss kommen!

Lodernde Eifersucht schoss in ihm hoch, und ohne dass es ihm bewusst wurde, zog er seinen schweren Jagddolch. Die kräftige, scharfe Klinge glänzte matt auf. Hindrek folgte der Melodie, die sich ganz in seiner Nähe befand.

Aus seinen schnellen Schritten wurde ein Rennen, ein getriebenes Vorwärtsstolpern, das sich durch kein Hindernis aufhalten ließ. Der Wildhüter wollte die Frau sehen, die ihm solche Wonnen bereitete.

Er kämpfte sich durch das Dickicht, durch den Schnee, durch reißende Dornenranken, über gestürzte Bäume hinweg.

Er spürte keine Schmerzen, die Mundwinkel waren zu einem seligen Lächeln nach oben gezogen, während seine Augen fiebrig glänzten. Weiter, immer nur weiter! Dann kam er unerwartet zwei Schritte hinter seinem Ältesten zum Stehen. Er kniete barhäuptig vor einer Frau in einem schwarzen, mit Silberfäden bestickten Mantel. Aus ihrem Mund drang die Weise, der Cobert andächtig lauschte. Sie hatte die rechte Hand auf seinen blonden Schopf gelegt und streichelte ihn zärtlich wie den Kopf eines Liebhabers.

Ihr Gesicht war voller Anmut, und selbst die schönste Frau, der Hindrek bislang begegnet war, verblasste vor ihr und schien ihm hässlich. In seinem Verstand gab es nichts anderes mehr als die wohlgestaltete Sängerin. Ihre langen schwarzen Haare wurden von einer leichten Brise bewegt und umrahmten ihr schmales Gesicht. Auf ihrer Stirn lag ein finsteres Diadem aus Tionium, Silber und Gold; zwei fingerkuppengroße Diamanten saßen funkelnd über den Augen.

Durch Hindrek schoss glühender Neid, den nicht einmal die Melodie besänftigen konnte. Er wollte an der Stelle von Cobert sein, die zarten Finger der Frau auf sich spüren. Was wusste der Knabe schon von Liebe und Gefühlen?

Seine Missgunst erfuhr im nächsten Augenblick noch eine Steigerung: Als Cobert die Wange gegen das Handgelenk der Frau drückte und zu einem Kuss ansetzte, warf sich Hindrek mit einem aufgebrachten Schrei auf seinen Sohn, packte seine Haare und stieß ihm den Hirschfänger von hinten durchs Herz.

Da verstummte der Gesang. »Weg von ihr!«, schrie er und schleuderte den Leichnam zur Seite, als wäre es ein Sack Getreide. »Sie ist mein. Ich habe sie zuerst gehört«, wisperte er und sank mit den Knien in den blutigen Schnee. Seine Arme senkten sich, und er sah die schweigende, lächelnde Frau an. Sehnsüchtig wartete er darauf, dass sie ihn berührte wie Cobert, er reckte den Kopf und schloss die Augen. »Bitte, singt für mich, Göttin!«, bettelte er. »Was würdest du dafür tun, Hindrek?«, fragte sie und berührte seine linke Wange. »Ich erwarte eine Gegenleistung, ehe ich meine Stimme erhebe.«

»Alles«, kam es sofort über seine bebenden Lippen. Sein Körper schmerzte vor Sehnsucht nach den Tönen, er wollte sie bis ans Ende seines Lebens hören, wieder und immer wieder, ohne Unterlass. Nur er allein.

»Kehre zu deiner Hütte zurück und bringe mir die Köpfe deiner Familie«, sagte die Schöne verführerisch. »Danach werde ich eine andere Weise für dich singen.« Er öffnete die Augen und sah, wie sie sich zu ihm beugte. Beinahe berührten ihre Lippen die seinen. »Die Weise von der Lust.«

Hindrek sprang auf und rannte. Er rannte den Weg zurück, den er gekommen war, und vernahm ihre Stimme, die Töne, die ihn anstachelten und seinen Beinen Kraft genug gaben, rasch wie der Wind sein Zuhause zu erreichen.

Es war dunkel geworden. Im Innern des schlichten Gebäudes brannten Lichter, Rauch stieg aus dem Kamin. Die Pferde waren ausgespannt worden, ein kleiner Stapel gespaltenes Holz lag neben dem Hackklotz.

Der Wildhüter marschierte keuchend auf den Eingang zu, riss im Vorbeigehen die Axt aus dem Holz und nahm sie in beide Hände. Sie taugte dazu, Köpfe von Schultern zu schlagen. Er wollte die Sängerin, deren Stimme er noch immer in seinen Ohren vernahm, nicht länger warten lassen. Die Weise von der Lust - er schauderte wohlig. Die Tür wurde aufgerissen, und Ortram stand auf der Schwelle. »Mama, er ist da«, rief er erleichtert nach hinten und sah sich um. »Wo ist Cobert?« Die Augen des Jungen weiteten sich, als er das Blut auf dem Mantel seines Vaters entdeckte. »Was ist denn geschehen?«

Qelda tauchte auf und warf ihrem Gemahl einen besorgten Blick zu. »Hindrek? Was ist mit dir? Und wo ist unser Ältester?« Der Klang ihrer vertrauten Stimme zerbrach die betörende Wirkung des Gesangs der Schönen, und der Mann blieb mit halb erhobener Waffe vor den beiden stehen. Er blinzelte, sah das Gesicht seiner Frau und seines Sohnes.

»Ich...« So sehr er sich bemühte, ihm fiel nicht ein, was er erlebt hatte. »Ich stand auf dem Schlitten...« Hindrek drehte sich zum Schuppen. »Eine Stimme, eine Weise...« Er versuchte, die Melodie nachzusingen, doch aus seinem Mund klang sie furchtbar. »Ich bin ihr...«

Qelda stand mit erschrockenem Gesicht plötzlich vor ihm und hielt den Axtstiel fest. »Hindrek, wo ist der Junge? Und wessen Blut ist das auf deinem Mantel?« Ihre Stimme klang hoch, schrill und unerträglich im Vergleich mit der Schönen. Es schmerzte ihn. Sein Gesicht hellte sich auf. »Die Frau! Im Wald... sie hat für mich gesungen!«

»Mama«, heulte Ortram auf und kam herbeigerannt, klammerte sich an ihre Hüfte. »Was ist mit Vater?«

Dann hörten sie die Melodie aufs Neue.

Sie wehte seiden aus dem Waldessaum zu ihnen herüber und umschmeichelte den Verstand.

»Mama, da ist es wieder!«, flüsterte der Junge.

»Sei still!«, schrie Hindrek ihn erbost an. »Du klingst wie eine quietschende Ratte!« Seine Frau wich vor ihm zurück und zog den Jüngsten mit sich. »Zurück ins Haus«, sagte sie eilig und schlug einen weiten Bogen um ihren Gemahl. Es gab nur eine Erklärung: »Dein Vater ist von den Waldgeistern besessen.«

Hindreks Züge verzogen sich voller Abscheu. »Schweig! Dein Gekeife ist furchtbar!« Er hob die Axt, und ihm fielen die Worte der Schönen wieder ein. Das Versprechen von der Weise der Lust und seine Gegenleistung, die er dafür erbringen sollte. Bevor Qelda etwas sagen konnte, schlug er zu.

Die Klinge fuhr ihr durch den Hals, und weil Hindrek ein kräftiger Mann war und über viel Kraft verfügte, trennte die Axt den Kopf vollständig ab. Sie fiel enthauptet neben ihm nieder, der Schädel plumpste in eine Schneewehe und verschwand darin. Ortram kreischte und starrte dabei den Leichnam der Mutter an, die Hände zu Fäuste geballt und die Arme an den Leib gepresst.

Hindrek zögerte nicht, dem störenden Ton ein Ende zu setzen, der den wunderschönen Gesang der Unbekannten durchschnitt. Vier rasche Schritte, und er befand sich vor seinem Sohn, die Axt hielt er schräg und zum Schlag ausholend. Gleich, gleich würde er seine Belohnung erhalten!

Ein harter Schlag traf sein rechtes Bein, und es knickte ein. Die Schneide der Axt surrte über den Kopf seines Sohnes hinweg, und durch den Schwung wurde Hindrek umgerissen. In seinem Knie steckte ein Armbrustbolzen, dann hörte er Huftrappeln. Auf dem Pfad, der zum Dorf führte, kamen vier Reiter in braunen Lederrüstungen und hellen langen Mänteln entlang. Einer von ihnen hielt eine abgefeuerte Armbrust in den Händen.

»Weg von dem Kind!«, schrie der Schütze und lud nach.

»Die Weise der Lust«, ächzte Hindrek und nahm die Axt als Krücke. Er kannte die Männer, Wislaf, Gerobert, Viatin und Diederich, die Vertrauten von Graf Pawald. Sie mussten den göttlichen Gesang auch vernommen haben und kamen, um ihn ihm streitig zu machen!