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Sie war bleich wie der Tod. »Es... ist ein Stückchen aus... dem Diamanten gebrochen«, wiederholte sie stammelnd. »Ich kann es nicht aufhalten...«

Ein lautes Knistern ertönte, das an berstendes Eis erinnerte, und alle sahen nach dem Edelstein. Er hatte sich schlagartig dunkel eingefärbt; ein deutlich sichtbarer Riss ging mitten hindurch, während die Barriere grell surrte und flackerte. An den Rändern des Diamanten löste sich Schleiffläche um Schleiffläche und fiel zu Boden. Es ging zu Ende. »Zurück!«, ordnete Ingrimmsch an. »Wir müssen in die Festung! Hier können wir nicht bestehen.« Er nahm Goda bei der Hand und rannte los. Schon seit vielen Zyklen konnte er zwischen Mut und Wahnsinn unterscheiden, wie er ihn früher in den Kämpfen an den Tag gelegt hatte. Auch seine Söhne hatten diese harte Lektion lernen müssen. Kein Erbe, auf das er stolz war.

Die Ubariu folgten ihnen und blieben mit ihnen gleichauf, auch wenn es den großen Kriegern ein Leichtes gewesen wäre, die Zwerge um Längen hinter sich zu lassen. Goda, die sich nicht vom Artefakt abzuwenden vermochte, wurde von ihrem Gefährten vorwärtsgezerrt.

Mit einem gleißenden Lichtblitz und einem ohrenbetäubenden Knall zerbarst der Diamant; die Detonation riss das Konstrukt mit brachialer Gewalt auseinander. Teile der aufrecht stehenden Eisenkreise wurden abgesprengt und flogen pfeifend etliche Schritte weit durch die Luft; dort, wo sie aufschlugen, bohrten sie sich tief in die Erde. Goda sah, dass die Enden rot glühten. Die Explosion musste mit ungeheurer Hitze einhergegangen sein.

Gleichzeitig - fiel die Barriere um die Schwarze Schlucht!

Die Maga nahm das Heer der Bestien deutlich wahr, es gab keine Kraft mehr, die sich ihnen unüberwindbar entgegenstemmte. Der Wind wehte ihr einen unglaublichen Gestank zu, eine Mischung aus Exkrementen, altem Blut und saurer Milch. Grauweiße Wolken aus Staub und Knochenmehl wurden aufgewirbelt undwirkten vor dem düsteren Gestein wie Nebel, aus dem die Gestalten traten. Hinter dem Heer reckte sich der bleiche, drachenähnliche Schädel des Kordrion aus der Schlucht; seine Hörner und Dornen ragten in die Höhe. Die vier oberen grauen Augen musterten die Mauern der Festung, als versuche der Kordrion einzuschätzen, was sich ihm und seinen Dienern entgegenwerfen konnte. Die Blicke der zwei blauen Augen unterhalb der langen, knochigen Schnauze verfolgten die flüchtenden Ubariu und die Zwerge.

»Vraccas!«, entfuhr es Goda, die ihre magischen Kräfte sammelte, um sich zur Abwehr bereitzuhalten. Sie hatte in der ersten Reihe der kleineren Scheusale einen Helm entdeckt, wie er von den Kindern des Schmieds getragen wurde.

Dann trat ein Zwerg nach vorne, von Kopf bis Fuß in eine düstere Rüstung aus Tionium gehüllt; schimmernde Intarsien glommen eine nach der anderen auf. Die Kreaturen wichen ehrfürchtig vor ihm zurück.

In der rechten Hand hielt er eine Waffe, die sowohl im Geborgenen als auch im Jenseitigen Land Legende war: Sie war schwarz wie die schwärzesten Schatten und die Klinge etwas länger als der Arm eines Menschen. Auf der einen Seite war sie dicker und besaß lange, dünne Spitzen, die an einen Kamm erinnerten, auf der anderen verjüngte sie sich wie bei einem Schwert.

»Blutdürster«, raunte Goda und blieb stehen.

Notgedrungen hielt Ingrimmsch an und drehte sich um - und er erstarrte. Ihm fehlten die Worte.

Der Zwerg in der nachtfarbenen Rüstung legte die Linke an das Visier des Helmes und schob es nach oben. Ein bekanntes Gesicht mit einer goldenen Augenklappe kam darunter zum Vorschein, doch die Züge waren hart und unerbittlich geworden. Sein kaltes, grausames Lächeln versprach den Tod. Dann hob er die Waffe, schaute nach rechts und links; sofort erklang lautes Geschrei unter den Kreaturen.

»Vraccas, steh uns bei: Er ist zurück!«, wisperte Goda entsetzt. »Als der Feldherr des Bösen!«

In diesem Augenblick schmetterten grelle Hörner hohl und echohaft aus der Schlucht, und der Kordrion öffnete das Maul zu einem wütenden Schrei.

I

Das Jenseitige Land, die Schwarze Schlucht, 6491. Sonnenzyklus, Winter.

Ingrimmsch starrte auf den lange vermissten und sehnsüchtig erwarteten Freund, der nun an der Spitze eines Heeres voller Ausgeburten des Schreckens stand. Mit der schwarzen Rüstung am Leib, Blutdürster in der Hand und der eisigen Miene wirkte Tungdil auf ihn, als hätte es niemals einen besseren Platz für ihn gegeben. Er passte dorthin.

»Aber das kann nicht sein«, rief er fassungslos. »Das ist er nicht! Vraccas sei mein Zeuge: Das ist nicht mein Tungdil!« Hilflos sah er zu Goda. »Das ist er nicht«, wiederholte er, als müsse er sich selbst überreden. »Ein Trugbild, um uns zu täuschen und bange zu machen.« Aus seiner Verzweiflung wurde jähe Wut. Ingrimmsch hob den Krähenschnabel; der Wahnsinn griff nach langer Zeit wieder mit ungewohnter Stärke nach ihm, und er hatte nicht vor, dagegen anzukämpfen. »Ich werde gehen und es zerschlagen!«

Dieses Mal war es an Goda, ihn zu packen. »Nein, Boindil!« Sie stellte sich mutig vor ihn, nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und schaute in die braunen Augen, in denen es blitzte und irre funkelte. »Höre mir zu, Gemahclass="underline" Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Wir müssen in die Festung. Im Freien...«

Ihre Worte wurden vom Rumpeln und Knarren der Katapulte verschlungen. Steine, Pfeile und Speere schössen von den Wehrgängen und den Turmplattformen, flogen über die Ubariu und Zwerge hinweg. Sie verdunkelten die Wintersonne und warfen ihre Schatten kurz auf das Häuflein Verteidiger vor dem Tor, ehe sie in der Schwarzen Schlucht niedergingen.

Ein metallisches Prasseln brandete auf, Eisenspitzen durchschlugen Schilde, Helme und Rüstungen; darunter mischte sich das Aufkreischen der Getroffenen, das von dem Scheppern der in die Linie der Bestien einschlagenden Geschosse beinahe über lagert wurde. Alles zusammen ergab den martialischen Klang einer Schlacht, und bald lag der Geruch von Blut in der Luft.

Goda wusste: Dies war lediglich der Auftakt zu Schlimmerem. Bald würden auch die Stimmen der Verteidiger im Chor des Sterbens erklingen.

»Komm mit mir«, bat sie Ingrimmsch und küsste seine Stirn, während über sie hinweg unentwegt die Geschosse flogen. Rauchende Brandkugeln stiegen fauchend in die Höhe und zerbarsten an den aufragenden Steilhängen der Schwarzen Schlucht, brennende Flüssigkeiten ergossen sich über die Ungeheuer und den tobenden Kordrion.

Die Zwergin meinte zu spüren, wie Boindils Anspannung wich, und sie ließ ihn los. Da stieß er sie zur Seite und spurtete mit einem lauten Brüllen und hoch erhobenem Krähenschnabel auf die Feinde zu.

Für Goda war es zu überraschend gekommen, sie fiel auf die Erde. »Nein!«, schrie sie ängstlich und versuchte vergebens, nach ihm zu greifen. Sie wandte sich um. »Yagur, ihm nach! Beschützt ihn!«, befahl sie dem Anführer der Ubariu, die sich ohne zu zögern an die Verfolgung ihres Generals machten, um ihm beizuspringen. Angesichts der Unzahl der Feinde keine leicht lösbare Aufgabe.

Goda aber erhob sich und sammelte die magischen Kräfte, um ihrem Gemahl aus der Entfernung beizustehen.

Ingrimmsch dachte nichts mehr.

Er sah seine Welt durch eine blutrote Maske, und der einzige Punkt in der Umgebung vor sich, den er deutlich erkannte, war das widerliche Trugbild seines besten Freundes Tungdil. Diese Schmähung durfte er nicht auf sich beruhen lassen. Du darfst nicht Tungdil sein! Nicht auf deren Seite!

Es rauschte in seinen Ohren, die Laute rund um ihn herum vernahm er nur gedämpft. Der Drang, die Illusion zu zerstören und sich danach gegen die übrigen Gegner zu werfen, um sie in Stücke zu schlagen, löschte seinen Verstand aus. Es war zu überwältigend für einen Krieger wie ihn, dessen Blut heißer in den Adern pulsierte als flüssiges Gestein in unterirdischen Bergkanälen. Und er wollte sich auch gar nicht beherrschen. Rechts und links von ihm gingen zu kurz gezielte Speere und Pfeile nieder. Die Besatzung der Festung Übeldamm hielt sich andie Anweisungen ihres Befehlshabers, der irrwitzigerweise selbst gegen sämtliche seiner Erlasse verstieß: Er suchte den Kampf im offenen Feld, anstatt sich auf die sicheren Mauern zu verlassen und die anrennenden Bestien abzuschießen. Ingrimmsch befand sich weniger als zehn Schritte von der gegnerischen Front entfernt, die sich noch immer nicht bewegt hatte und am Ausgang der Schlucht verharrte. Der Nachschub der Scheusale stieg achtlos über die Gefallenen hinweg, lodernde Feuer wurden mit Sand und Knochenstaub zugescharrt. Sobald einer von ihnen fiel, trat eine neue Hässlichkeit aus der Schlucht, die einen unerschöpflichen Vorrat bereitzuhalten schien. Eine Brutstätte des Abscheulichen.