Der gewappnete Zwerg und mögliche Tungdil sprang mit einer Behändigkeit, die man ihm in dieser Rüstung nicht zugetraut hätte, auf seinen Trittsteinen entlang, bis er mit einem Satz auf die Erde zurückkehrte; weißer Staub wirbelte um seine Füße auf und stieg bis zu den von schwarzen Metallschienen geschützten Knien. Blutdürster hielt er in der Rechten und hatte ihn mit dem Zacken nach hinten locker gegen die Schulter gelehnt. Schritt für Schritt näherte er sich der Abordnung. Der Helm blieb geschlossen. Boindil schluckte, sein Hals war trocken. »Visier in die Höhe«, blaffte er, die Rechte spannte sich um den Griff des Krähenschnabels und drückte zu. Die Lederummantelung knirschte leise. »Ich möchte dein Gesicht im Tageslicht sehen.« Hinter ihm zogen die Zwerge ihre Waffen, als der Gerüstete seinen Weg fortsetzte, ohne sich um die Aufforderung zu scheren.
Ingrimmsch konnte die Rüstung nun ganz genau erkennen. Sie war übersät mit Zeichen, Runen und Symbolen, die er noch niemals in seinem Leben gesehen hatte.
Ein kurzer Blick zu Goda zeigte ihm, dass auch die Maga vor einem Rätsel stand. Sie schüttelte knapp den Kopf. Sie vermochte mit den silbrig schimmernden Intarsien und Gravuren ebenfalls nichts anzufangen.
Was Boindil sehr irritierte: Es gab darauf kein einzigen Hinweis auf Vraccas oder die Herkunft als Kind des Schmieds, auch wenn die Rüstung an sich ohne Frage aus der Hand eines Meisterschmieds stammte. Eines Zwergenmeisterschmieds. Würde Tungdil das tun? Seine Art verleugnen? »Bleib stehen und zeige dich!«, befahl er resolut und hob seine Waffe. »Bist du Tungdil Goldhand, dann weise uns dein Gesicht. Wenn nicht«, Ingrimmsch ließ den Krähenschnabel kreisen, »zerschlage ich es dir im Helm!«
Jetzt blieb der Zwerg stehen. Breitbeinig und selbstbewusst präsentierte er sich der Übermacht. Dann ging der linke Arm nach oben, langsam und überlegen, keinesfalls hastig oder gar furchtsam. Stückchen für Stückchen wurde das dunkle Gitter in die Höhe geschoben, nicht einmal ein leises Schleifen war zu hören.
Boindil schluckte aufgeregt, sein Herz schlug bis zum Hals. Vraccas, lass das Wunder geschehen sein!, bat er und schloss die Lider, um das Gebet noch inbrünstiger an seinen Gott senden zu können. Er wagte es fast nicht, die Augen zu öffnen und in das Gesicht seines Gegenübers zu blicken. Dass er Goda laut einatmen hörte, machte es nicht besser. Schließlich traute er sich.
Er sah einen kurzen, braunen Bart um die sehr vertrauten Züge eines Zwerges, der deutlich gealtert war. Doch er hätte das Gesicht unter Tausenden erkannt. Über dem linken Auge lag eine Klappe aus purem Gold, die mit Gravuren durchzogen war und von goldenen Fäden an Ort und Stelle gehalten wurde. Das verbliebene braune Auge des Freundes ruhte auf ihm. Ingrimmsch las darin in erster Linie Neugier, wenig Freude und... etwas, das er nicht einzuordnen vermochte.
Die Falten um Tungdils Mund und Nase waren, wie man durch den dichten Bart sah, tief geworden und verliehen ihm etwas Gebieterisches, um das ihn mancher Zwergenkönig beneiden würde. Auf der Stirn verlief eine gut verheilte, doch dunkle Narbe, die oberhalb des rechten Auges unter dem Helmrand verschwand. Ingrimmsch seufzte tief. Rein äußerlich war es sein alter Freund, der nach all der Zeit vor ihm stand. Er machte einen Schritt auf ihn zu, doch vermeinte er, die Ablehnung geradezu spüren zu können, die von Tungdil ausging.
»Welche Beweise benötigst du, um dich davon zu überzeugen, dass ich Tungdil Goldhand bin?«, sprach er, löste den Kinnriemen und zog den Helm mit einer raschen Bewegung vom braunen Schopf. Die Narbe verlief von der Stirn weiter durch das schulterlange Haar bis zum Scheitelpunkt des Kopfes. Er warf den Helm auf den Boden und schüttelte einen Handschuh ab, danach zeigte er das goldene Mal, das er an seiner Hand trug. »Berühre es, wenn du möchtest, Boindil. Es ist mein ewiges Andenken im Kampf um den Thron des Großkönigs, obwohl ich niemals wirklich Anspruch darauf gehabt hatte.« Auffordernd streckte er die Hand aus.
Ingrimmsch strich über die gelbgoldenen Sprenkel, dann sah er erkundend in Tungdils Antlitz.
Der Zwerg lächelte, und es war das alte Lächeln. Das wohlbekannte und so unendlich lange nicht mehr gesehene Lächeln!
»Vielleicht soll ich dir erzählen, wie du mich glauben machen wolltest, dass man Zwerginnen mit stinkendem Ziegenkäse einreibt, um sie von sich einzunehmen?« Er beugte sich langsam nach vorne und zwinkerte. »Ich habe es niemals angewandt. Hast du es bei Goda tun müssen?«
Die Maga lachte auf.
»Du bist es wirklich!«, brach es aus Ingrimmsch hervor. Er ließ den Griff des Krähenschnabels los, breitete die Arme aus und riss Tungdil an sich. »Bei Vraccas, du bist es!« Es wurde heiß in seinen Augen, und Tränen schössen ein. Gegen die Rührung vermochte er nichts zu unternehmen. Er drückte Tungdil an sich, und dabei fiel es ihm vor lauter Freude nicht auf, dass seine Umarmung nicht erwidert wurde. Schließlich löste er sich von Tungdil und wandte sich den Zwerginnen und Zwergen zu, die ihn gespannt beobachtet und belauscht hatten. »Seht!«, rief er beschwingt und hob den Kopf, damit seine Stimme bis zu den Zinnen von Übeldamm schallte. »Seht, der Held ist zu uns zurückgekehrt! Das Geborgene Land wird bald schon vom Joch des mannigfachen Bösen befreit werden!« Er klopfte auf die schwarze Rüstung. »Ho, Lohasbrand, Lot-Ionan und ihr anderen Ausgeburten Tions: Jetzt gibt es keine Gnade und keinen Ausweg mehr für euch!«
Goda strahlte und wischte sich Tränen der Freude und Erleichterung aus den Augen, und die Zwergenkriegerinnen und Krieger hinter ihr starrten den Helden, den die meisten von ihnen nur aus Erzählungen kannten, unverwunden und in tiefer Ehrfurcht an. Eine Legendengestalt war zu ihnen zurückgekehrt und hatte darüber hinaus bei seinem Erscheinen das furchterregendste Wesen der Schwarzen Schlucht in die Flucht geschlagen.
Die Worte von Ingrimmsch waren bis zu der Besatzung der Festung gedrungen. Hörner und Trommeln erklangen und verkündeten die Nachricht. Es waren besondere Tonfolgen, eigens komponiert für den bedeutungsvollen Umlauf, an dem Tungdil zurückkehrte, damit es alle erfuhren.
»Ich kann mir sehr gut vorstellen«, sagte Ingrimmsch feixend, »dass einige glauben werden, die Fanfarenbläser hätten sich vertan und wollten eigentlich einen ganz anderen Befehl spielen.« Er schlug Tungdil auf die Schulter und bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. »Lass uns in die Festung einziehen und die Schwarze Schlucht hinter uns lassen. Es ist Zeit, dich gebührend willkommen zu heißen. Und dann musst du uns berichten, was sich in all den Zyklen zugetragen hat! Auch wir haben viel zu erzählen.« Er bückte sich und reichte ihm Helm und Handschuh. Dabei sah er ihm fest ins Auge. »Du kannst nicht ermessen, wie glücklich ich bin, dich zu sehen, Gelehrter.«
Tungdil nahm seine Sachen an sich und wandte sich halb um, den Blick zur Schwarzen Schlucht gewandt. »Sie werden zurückkehren, Ingrimmsch. Der Kordrion war zu überrascht; sobald seine Wunden geheilt sind, wird er sich wieder aus seinem Versteck wagen. Zudem wird bald die Kunde vom Ende der Barriere umgehen. Die Scheusale werden ein Heer aufstellen, um auszubrechen...«
Boindil hob den Arm und wies auf die hohen, dicken Mauern der Festung. »Deswegen steht sie hier und trägt den Namen Übeldamm«, unterbrach er seinen Freund. »Sie werden nicht entkommen, kein einziges hässliches Exemplar. Und den Kordrion pieksen wir hübsch so lange mit unseren besonders schweren Speeren, bis er aussieht wie ein Igel und tot umfällt.« Er sah stolz zu Goda. »Aus ihr ist eine echte Maga geworden. Sie ist unsere stärkste Waffe.«
Tungdil betrachtete die Zwergin, die einen Schritt nach vorn gemacht hatte, mit einem Blick, in dem Befremden lag. »Ihr werdet sie brauchen«, meinte er leise und sah wieder zur Felsspalte. Ingrimmsch lächelte. »Wir sind mehr als zuversichtlich, Gelehrter. Da du jetzt unter uns bist, kann die Kinder des Schmieds nichts mehr schrecken.« Er setzte sich in Bewegung, und die Menge der Ubariu, Untergründigen und Zwergenkrieger teilte sich vor ihnen, um ein Spalier zu bilden.