»Wahrscheinlich wartet es nur auf seine Gelegenheit. Wenn du es sicher eingesperrt hast, dann übernimm deine Schicht bei den Dockarbeiten, da du so eifrig darauf aus warst, einen Blick nach draußen zu werfen. Die anderen werden dir deine Arbeit zeigen. Sag Haral, sie soll zum Unterdeck-Op kommen! Sofort!«
»Ja, Tante.« In Hilfys Stimme lag kein Schmollen. Der jüngste Verweis durfte sich noch nicht verschlissen haben. Pyanfar unterbrach die Verbindung und lauschte in der Zwischenzeit auf das Stationsgeschwätz, sehnte sich vergeblich nach etwas, das Klarheit in die Sache brachte.
Haral kam herbeigeeilt, schweißdurchtränkt, blutbespritzt und atemlos. Sie verbeugte sich kurz unter der Tür und richtete sich wieder auf. Sie war die Älteste der Mannschaft, groß und mit einer dunklen Narbe über die breite Nase hinweg sowie einer weiteren auf dem Bauch, aber die stammten noch aus ihrer wilden Jugend.
»Mach dich sauber«, sagte Pyanfar, »nimm dir Geld und geh Einkaufen, Kusine! Geh zu den Zweithandmärkten und tue so, als wärest du auf eigene Faust unterwegs. Die Ware, die ich haben möchte, wird vielleicht schwer zu finden sein, aber an einem Ort wie Treffpunkt nicht unmöglich, wie ich meine. Ein paar Bücher, wenn du so willst — ein Mahendo‘sat- Lexikon, eine Mahendo‘sat-Version ihrer heiligen Schriften. Den Philosophen Kohboranua oder einen anderen von dieser Sorte, das ist mir völlig egal. Und einen Mahendo‘sat- Symbolübersetzer, seine Module und Handbücher, von den elementaren an aufwärts, so viele Niveaus, wie du nur finden kannst… und vor allem diese Ware. Der Rest dient nur der Bemäntelung. Wenn man dir Fragen stellt — ein Klient hat ein religiöses Interesse.«
Haral verneigte sich in Annahme des Befehls und fragte nichts. Pyanfar steckte die Hand tief in die Tasche und brachte eine kunterbunte Sammlung von Münzen mit großem Nennwert zum Vorschein, einen ganzen Haufen davon.
»Und vier goldene Ringe«, fügte sie hinzu.
»Kapitän?«
»Um euch alle daran zu erinnern, dass sich die Stolz um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert. Drück das so aus, wenn du sie ihnen gibst. Es wird eure Gefühle besänftigen, hoffe ich, wenn wir es uns entgehen lassen müssen, uns hier eine Freiheit herauszunehmen, wie es sehr gut sein kann. Aber wenn du redest und Argwohn bezüglich dieser Dinge erregst, Haral Araun, dann wirst du kein Ohr mehr haben, um sie daran zu tragen.«
Haral grinste und verneigte sich ein drittes Mal.
»Geh!« sagte Pyanfar, und Haral huschte in eifriger Hingabe hinaus.
So. Es war ein Risiko, aber eines von der kleineren Sorte. Pyanfar ließ sich die Dinge kurz durch den Kopf gehen, ging dann aus dem Op-Raum hinaus und den Korridor hinab, nahm den Lift zur mittleren Ebene, wo sich ihre Quartiere befanden, hinaus aus dem schrecklichen Gestank der Desinfektionsmittel, der das Unterdeck erfüllte.
Mit einem Seufzer schloss sie die Tür hinter sich, ging ins Bad und wusch sich die Hände — achtete darauf, dass kein Fleischfetzen an der Unterkrümmung der Krallen hängenblieb —, untersuchte die feinen seidenen Kniehosen, um sicherzugehen, dass sie keine Blutspritzer abbekommen hatten. Mit Hilfe einer Dosis Parfüm beseitigte sie die Erinnerung in der Nase.
Dummheit. Sie wurde schwerfällig wie ein Stsho, da sie es nicht geschafft hatte, zu allererst den Eindringling festzuhalten. Alt war kein Wort, an das sie gerne dachte. Langsam im Kopf, zerstreut, deshalb hatte sie zugeschlagen wie eine Jugendliche auf ihrem ersten Beutezug.
Faul. Das hörte sich eher danach an. Sie tätschelte sich den flachen Bauch und entschied, dass der jahrelange erfreuliche Umfang ihres Gürtels erneut verengt werden musste. Sie verlor ihre Kanten. Ihr Bruder Kohan war noch fit genug, so planetengebunden er auch war und ohne die Gabe der Zeitdehnung des Sprunges; er schaffte es. Zank mit anderen Männern und zwei Söhne aus dem Haus zu werfen hielt sein Blut in Schwung, und es gab üblicherweise jederzeit ein Trio von Gefährtinnen im Haus, mit Nachwuchs, der zu züchtigen war. Es wurde langsam Zeit, dachte sie, die Stolz ins Heimatdock von Anuurn zu bringen, damit das Schiff sorgfältig überholt werden konnte und sie selbst den Aufenthalt mit ihrem eigenen Gefährten Khym hoch in den Kahin-Bergen verbringen konnte, auf den Liegenschaften der Mahn. Den Duft der Heimatwelt für ein paar Monate wieder in die Nase zu bekommen. Ein wenig jagen, sich das zusätzliche Loch in ihrem Gürtel ablaufen. Nach ihrer Tochter Tahy schauen und nachsehen, ob dieser Sohn von ihr immer noch umherwanderte oder ob ihm schließlich jemand dazu verholfen hatte, sich das Genick zu brechen. Gewiss hätte der Bursche die übliche Höflichkeit aufgebracht, durch Khym oder Kohan eine Nachricht zu schicken, wenn er sich irgendwo niedergelassen hätte; und vor allem nach ihrer Tochter schauen, die — die Götter wussten es — erwachsen war und weich wurde, weil sie im Haus ihres Vaters hängenblieb, und das zwischen einem Dutzend anderer Töchter, die überwiegend bruderlos waren. Sohn Kara sollte sich mit irgendeiner noch verfügbaren Ehefrau niederlassen und seiner Schwester eine gewinnbringende Beschäftigung geben, die ihn reich machte — das vor allem: sich niederlassen und seinem Vater und seinem Onkel nicht in die Quere kommen. Ambitiös, so war Kara. Sollte der junge Wüstling doch versuchen, sich seinem Onkel Kohan zu nähern, und es wäre seine letzte Tat. Pyanfar bog die Krallen bei diesem Gedanken und erinnerte sich daran, warum alle ihre Heimatferien immer nur kurz waren.
Aber das jetzt, diese Geschichte mit diesem bisschen entflohenen Leben, das sich an Bord verirrt hatte und das vielleicht Besitztum der Kif war.., der ehrenwerte Lord Kohan Chanur, ihr Bruder, würde ein Wort über diese Sorglosigkeit der Besatzung seines Schiffes zu sagen haben, dass sie es zugelassen hatte, in einen solchen Zwischenfall verwickelt zu werden.
Und es würde eine größere Umstrukturierung im Haushalt erfolgen, wenn Hilfy etwas zustieß — der bruderlosen Hilfy, die zu sehr zu einer Chanur geworden war, um noch einem Bruder zu folgen, wenn ihre Mutter ihr jemals noch einen verschaffen würde. Hilfy Chanur par Faha, die sich mehr als nach allem anderen nach den Sternen sehnte und die sich an ihren Vater klammerte als den einen, der sie ihr geben konnte. Es war Hilfys lebenslang erwartete Gelegenheit, diese Reise, diese Ausbildung auf der Stolz.
Es hatte Kohans verliebte Seele zerrissen, Abschied von seiner Favoritin zu nehmen; das war deutlich dem Brief zu entnehmen, den er Hilfy mitgegeben hatte.
Pyanfar schüttelte den Kopf und ärgerte sich. Diese Besatzung aus vier Lumpen-Ohrigen im Gefolge dieser Angelegenheit um einen Heimaturlaub zubringen, war eine Sache, aber Hilfy zurück nach Anuurn zu schicken, während sie einen größeren Streit mit den Kif austrug, eine andere. Es würde teuer werden, den heimwärtigen Kurs abzukürzen. Und mehr, Hilfys Stolz würde sterben, wenn sie der Grund für diese Neufestsetzung des Kurses wäre, wenn sie gezwungen sein sollte, nach plötzlicher Rückkehr in den Haushalt wieder ihren Schwestern gegenüberzustehen; und Pyanfar gestand sich selbst ein, dass sie an diesem Fratz hing, der wollte, was auch sie in diesem Alter gewollt hatte, die wahrscheinlich tatsächlich einmal ein Chanur-Schiff befehligen würde, vielleicht sogar — mochten die Götter die Stunde hinauszögern — die Stolz selbst. Pyanfar dachte an ein solches Vermächtnis… eines Tages, an dem Kohan seine Blütezeit hinter sich ließ und sie ebenfalls. Andere im Haus der Chanur waren eifersüchtig auf Hilfy, warteten auf eine Gelegenheit, ihre Eifersucht auszulassen. Aber Hilfy war die Beste. Die Klügste und Beste, wie Pyanfar und Kohan, und bis jetzt hatte niemand etwas anderes beweisen können. Welcher junge Mann auch immer nach Kohans Niedergang die Chanur-Holding gewann, er wäre gut beraten, wachsam zu sein und Hilfy zu gefallen, oder Hilfy mochte sich einen Gefährten nehmen, der dem Eindringling die Ohren abriss. So war Hilfy eben, ihrem Vater und dem Haus treu.