»Das erledige ich«, rief er und zog sie mit sich fort.
Arm in Arm schlenderten sie durch die gepflegte Parkanlage auf der Bergseite der Klinik.
»Du wirst dich hier ganz bestimmt wohl fühlen, Rika.«
»Nur wenn du bei mir bleibst, Karl.«
»Ich komme jeden Tag.«
»Das mußt du.«
»O Rika, ich bin so froh, daß wir hergefahren sind. Ich glaube, dieser Dottore ist ein Teufelskerl.«
»Das mag schon sein.«
Er horchte auf, blieb stehen, sah ihr in die Augen.
»Rika, was ist denn? Glaubst du nicht, daß Dr. Tezza dich gesund machen wird?«
Und so, als ob sie dann etwas ganz Unmögliches täte, fragte er noch einmaclass="underline"
»Glaubst du etwa nicht an ihn?«
Sie wollte ihm ihr Gesicht nicht zeigen und wandte sich ab. Da entdeckte sie Frank und das Mädchen. Die beiden kamen Hand in Hand dahergerannt. Es gab Erika einen Stich durchs Herz. Um Himmels willen, dachte sie. Er muß sich doch um seine Marion kümmern. Um meinetwillen!
»Karl«, sagte sie, »sieh mal, wer da kommt.«
Und beglückt stellte sie fest, daß Karl Haußmann nichts als ihre Gesundheit im Sinne hatte. »Mensch, Herr Hellberg«, rief er. »Für Ihren guten Tip werde ich Ihnen ewig dankbar sein. Dieser Tezza, das ist ein Arzt. Eine ganz große Persönlichkeit, sage ich Ihnen. Dem kann man sogar Wunder zutrauen.«
Haußmanns Enthusiasmus verpuffte ohne die erwartete Resonanz.
Hellberg sah eher betroffen als begeistert aus.
Er atmete heftig. Sie waren rasch bergab gelaufen. Dazu kam die Aufregung. Er hatte haarsträubende Einzelheiten über Dr. Tezzas >Heilmethode< zu hören bekommen.
»Haben Sie sich etwa schon angemeldet?« fragte er jetzt. Erika vernahm den warnenden Unterton sofort.
»Übermorgen ist Einzug«, entgegnete Karl und wunderte sich, daß Hellbergs Brauen sich zusammenzogen.
»Entschuldigung«, sagte Frank Hellberg und schob das fremde Mädchen in den Vordergrund. »Gestatten Sie zunächst, daß ich vorstelle.«
Sie sagte selber ihren Namen.
»Claudia Torgiano. Aus Livorno.«
»Und nun zur Sache«, fuhr Hellberg fort. »Signorina Torgiano hat Ihnen eine Eröffnung zu machen, die Ihnen zunächst ungeheuerlich vorkommen wird.«
Er sah, wie Erika Haußmann sich auf die Unterlippe biß und ihr Mann zusammenzuckte. Und er ergänzte:
»Bitte, Sie müssen dieses Mädchen anhören. Es ist von lebensentscheidender Bedeutung.«
Niemand hatte sie kommen sehen.
Plötzlich waren sie da.
Zwei Männer in grauen Kitteln.
Der eine packte Claudia Torgiano von hinten. Mit dem rechten Arm umklammerte er ihren Leib und hob sie hoch. Seine Linke erstickte ihre Hilferufe. Der andere ergriff das Mädchen bei den Beinen.
Dann rannten sie mit ihr davon.
Einen Augenblick waren sie alle erstarrt. Dann warf sich Hellberg herum, und während Erika erst jetzt zu einem Aufschrei fähig war, Karl seine Frau stützte, aus Angst, sie könne einen Schock bekommen, rannte Hellberg den beiden grauen Männern nach.
Er erreichte sie kurz vor der Eingangstür. Sie war offen, und in der Halle warteten weitere zwei Männer in grauen Kitteln.
»Ihr Lumpen!« schrie Hellberg. Er stürzte auf den Mann zu, der Claudias Beine festhielt. Der Mann ließ die Beine fallen, drehte sich um und hieb einen gezielten Schlag gegen Hellbergs Kinn. Eine Sekunde lang schwankte er, aber sie genügte, um Claudia ins Haus zu schleifen. Die wartenden Männer in der Halle warfen die Tür zu. Der Graue, der Hellberg geschlagen hatte, rettete sich mit einem weiten Sprung ins Haus. Im gleichen Augenblick rasselte ein Scherengitter herunter. Die Klinik war abgesperrt wie ein Zuchthaus.
Vom Fenster seines Arbeitszimmers trat Dr. Tezza zurück ins Zimmer. Ein böses Lächeln lag auf seinen Lippen, seine bernsteinfarbenen Augen glühten. Auf dem Flur hörte er viele Schritte, die Tür sprang auf, Claudia wurde in das Zimmer geschoben. Sie sah herrlich aus in ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung. Das bleiche Gesicht war gerötet, die langen, schwarzen Haare zerwühlt, aus den Augen schrie der ganze Haß, den sie gegen Dr. Tezza empfand. Sie blieb an der Tür stehen, nachdem die Wärter hinausgegangen waren, und legte beide Hände über ihre Brust. Dort war das Kleid zerrissen.
»Komm näher.«, sagte Dr. Tezza freundlich und zeigte auf einen der Ledersessel.
»Nein!«
»Ich habe dich beobachtet, wie du mit diesem jungen Mann ge-sprochen hast. Was hast du ihm erzählt?«
»Die Wahrheit!«
»Was nennst du Wahrheit?«
»Alles, was Sie mit mir getan haben und tun wollten!« schrie Claudia und ballte die kleinen Fäuste. »Alles! Alles!«
»Und das hat er dir geglaubt?«
»Ja!«
»Er scheint ein Mensch von primitivem Geist zu sein.« Dr. Tez-za trat wieder an das Fenster. Unten, vor der Klinik, standen Hellberg und Haußmann und verhandelten mit einem der grauen Wärter. Erika saß auf einer Bank im Schatten einer Pinie. »Ist er ein Bekannter von Herrn Haußmann?«
»Sein Freund.« Triumph lag in Claudias Stimme.
»Hm.« Dr. Tezza wandte sich ins Zimmer. Sein Blick, mit dem er Claudia musterte, verhieß nichts Gutes. »Weißt du, daß es mir leichtfällt, dich für irr zu erklären? Dann kommst du in eine Irrenanstalt, und wer da einmal drin ist, kommt nicht oder nur sehr schwer wieder hinaus. Es wäre klug, ein liebes, stilles Mädchen zu sein und ein wenig zärtlich zu deinem Onkel Dottore zu werden.« Dr. Tezza wollte näher kommen. Claudia wich vor ihm zurück und flüchtete um den Schreibtisch. Dr. Tezza stürzte auf sie zu, riß sie zurück, wollte sie in seine Arme reißen, als es klopfte.
»Maledetto!« schrie Dr. Tezza. »Was ist?« Er ließ Claudia los, die zur Wand flüchtete, mit weiten, entsetzten Augen. Sie wußte, es gab für sie keine Hilfe mehr.
Einer der grauen Pfleger kam herein. Seine Miene war sehr ernst und fast erschrocken.
»Dottore«, sagte er, »der Mann draußen ist Journalist. Er droht, in allen Zeitungen der Welt einen Skandal zu machen.«
Dr. Tezza führ herum. »Wußtest du das?« schrie er Claudia an. Claudia nickte.
»Ja«, log sie. Und plötzlich war das Leben nicht mehr grau und hoffnungslos.
»Von welcher Presse?« »Von der deutschen.«
»Auch das noch!« Dr. Tezza trat an einen Spiegel, strich die Haare etwas zurecht und verließ schnell sein Zimmer. Den Wärter ließ er zur Bewachung Claudias zurück.
An der großen Eingangstür stand allein Frank Hellberg und hatte die Hände um die Gitterstäbe gelegt. Karl Haußmann kümmerte sich um seine Frau. Er begriff das alles noch nicht. Nur Erika schien die Wahrheit zu ahnen. Sie lächelte schwach und schwieg, als Karl fragte: »Verstehst du das, Rika?«
Dr. Tezza gab ein Zeichen, als er in der Marmorhalle seiner Klinik erschien. Surrend fuhr das Scherengitter hoch, die Türen öffneten sich, Frank Hellberg trat ein. Ohne auf eine Vorstellung zu warten, wußte Hellberg gleich, wer der elegante Mann in dem weißen Anzug war. So mußte Dr. Tezza aussehen, es war gar nicht anders möglich.
»Lassen Sie sofort Claudia frei!« sagte Hellberg scharf und blieb drei Schritte vor Tezza stehen. Die beiden Männer sahen sich in die Augen und wußten in dieser Sekunde, daß sie Todfeinde waren. Dr. Tezza lächelte ironisch.
»Signorina Torgiano ist krank, sehr krank. Außer einem Bronchial-Ca. leidet sie auch an zeitweiligen geistigen Störungen. Schizophrene Schübe, wenn Ihnen damit gedient ist. Wir müssen dann sofort handeln, damit sie keinerlei Unheil anrichtet. Entschuldigen Sie also bitte das verwunderliche Eingreifen meiner Assistenten.«
Elegant klang das, unangreifbar. Hellberg kräuselte die Lippen.
»Das haben Sie gut ausgedacht, Doktor. Damit kann man alles lahmlegen.«
»Nicht wahr?« Dr. Tezza lächelte breiter. »Da brechen selbst einem deutschen Journalisten die Bleistifte ab.«