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»Nein.«

»Na also!« Der Capitano erhob sich und winkte. Je zwei Polizisten stellten sich neben Hellberg, Marion und Claudia. »Kommen Sie mit. Morgen früh werden wir die Verhöre fortsetzen. Bis dahin haben Sie Zeit, sich die Wahrheit zu überlegen.«

»Wird diese dumme Komödie tatsächlich noch weitergespielt?« rief Marion erregt. Von der englischen Unterhaltung hatte sie nur einige Worte verstanden, aber den Zusammenhang nicht begriffen.

»Es scheint so.« Hellberg wandte sich an den Leiter der Mordkommission. »Ich bitte um sofortige Benachrichtigung des deutschen Konsulats in Neapel und um einen Anwalt!«

»Morgen früh, wie Sie wollen, Sir.« Der Capitano machte eine kleine, höfliche Verbeugung. »Bis dahin bitte ich Sie, meine Gäste zu sein.«

Das war nicht ironisch gemeint, sondern wirklich höflich. Erst der überführte Mörder ist ein wirklicher Mörder.

Unter dem Geschrei der Nachbarn und der Kinder, die trotz der nächtlichen Stunde wieder auf der Gasse waren, unter Drohungen und geschwungenen Fäusten wurden Hellberg, Claudia und Marion mit einem Polizeiwagen abtransportiert. Der Tote war schon fortgeschafft. Der Hausdiener scheuerte bereits den Boden von Zimmer Nr. 15. Es war eine scheußliche Arbeit. Das Blut war in die Ritzen der Dielen gelaufen und mußte mit einem Messer herausgekratzt werden.

Am nächsten Morgen wurden auf der Molo Foraneo, an den wartenden Wohnwagen, von einem mittelgroßen, bärtigen Mann in schäbiger, abgetragener Kleidung 20 Kapseln HTS, das Wundermittel gegen den Krebs von Dr. Zeijnilagic aus Sarajewo, zum Kauf angeboten. Ein Ehepaar aus Marseille kaufte sie für ihren krebskranken Sohn und bezahlte 3.000 neue Francs dafür. Überglücklich fuhren sie sofort von Bari ab. Ihr Sohn Marcel lag seit 6 Monaten in der Klinik von Marseille. Lymphogranulomatose, lautete die Diagnose. Unheilbar.

Nun glaubten sie, das Leben in der Hand zu haben. In einer Tüte, 20 Kapseln HTS.

Die Mutter weinte vor Glück, als sie aus der Hand des mittelgroßen, bärtigen Mannes die Tüte bekam.

Aus einer Hand, an der Blut klebte.

Aber wer sah es?

Erika Haußmann hatte sich von ihrem Selbstmordversuch erholt.

Die Herzspritzen des alten Landarztes und eine Olivenölkur, die einen radikalen Durchfall erzeugte, aber dadurch den gesamten Darm von Giftstoffen reinigte, retteten ihr das Leben. Nach fünf Tagen konnte sie wieder das Zimmer verlassen. Gestützt auf ihren Mann Karl ging sie in den Garten, legte sich in den Liegestuhl unter den Sonnenschirm und atmete tief die mit Blütenduft und Geruch von gemähtem Gras geschwängerte Luft.

Von der kritischsten Stunde ihres Lebens sprachen sie nicht. Karl Haußmann umsorgte Erika mit rührender Tolpatschigkeit, so wie es Männer immer tun, wenn sie etwas gutzumachen haben. Er holte ihr Eis und eisgekühlte Fruchtsäfte, er kaufte in Avezzano die besten Backwaren, ließ saftige Steaks für sie braten und den zartesten Salat anrichten. Am siebenten Tag mietete er einen Karren mit zwei Mauleseln und ließ Erika durch die herrliche Landschaft fahren. Durch Weinberge und Gemüsefelder, zum Fluß Aterno und den Bewässerungskanälen des Tieflandes von Trasacco, das früher einmal sumpfig war und nun ein blühender Garten.

Es war ein herrlicher Tag. In einem Ristorante, dessen Pergola aus einem Dach von Weinranken bestand, aßen sie eine Minestrone und tranken einen herrlichen, leicht süßen, rubinroten Wein. Und hier erst brach Erika ihr Schweigen über das Vorgefallene.

»Wie hast du bemerkt, was ... was ich getan habe?« fragte sie.

Karl Haußmann zuckte zusammen.

»Fräulein Gronau entdeckte es.«

»Marion? Was hatte sie denn in unserem Schlafzimmer zu suchen?«

»Sie sah den Schlüssel von draußen stecken, und die Tür war nur angelehnt. Das kam ihr komisch vor. Und ich hatte ja einen gehörigen Schwips, als ich 'raufkam.« Haußmann sah in sein Glas. Die Minuten der damaligen Nacht kamen aus der Erinnerung zurück, bedrückend und anklagend. »Sie sah dich halb aus dem Bett hängen. Da hat sie mich geweckt. Zuerst wußte ich gar nicht, was los war. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Dann hat Hellberg den Arzt geholt, und Fräulein Gronau hat sich rührend um dich gekümmert. Ich war ja unfähig dazu.« »Dann verdanke ich also ihr, daß ich lebe?«

»Gewissermaßen ja.«

Erika schwieg. Warum hat sie mich nicht sterben lassen, dachte sie verwundert. Der Weg zu Karl wäre doch dann frei gewesen. Oder war es ihr bloß unangenehm, auf solche Weise das Erbe antreten zu können?

Als sie nach Avezzano zurückkamen, erwarteten sie zwei Männer in hellbeigen Maßanzügen. Sie saßen vor dem Gasthaus bei einer Flasche Wein und erhoben sich sofort, als der Wagen mit den Mauleseln hielt.

»Dolcare«, stellte sich der erste der Männer vor. »Polizeiinspektor Dolcare aus L'Aquila. Das ist mein Assistent Falcioni.« Dolca-re sprach ein holpriges Deutsch, durchsetzt mit italienischen Ausdrücken, aber man konnte ihn gut verstehen. »Prego, nicht erschrecken, Signora. Nur eine kleines Frage. Formsache, wie man sagt. Können wir nehmen Platz an dieses Tisch?«

»Ich weiß zwar nicht, daß wir Apfelsinen geklaut haben«, sagte Karl Haußmann mit gezwungenen Humor, »aber wenn es nötig ist: Bitte, ich gestehe alles.« Er lachte laut. Man setzte sich an den runden Tisch, der Wirt brachte noch zwei Gläser, und zuerst trank man gemeinsam ein Glas Wein. Das hebt die Stimmung und macht freier.

»Nur einiges Fragen, Signore«, sagte Inspektor Dolcare und zog aus der Tasche einen Brief. Es war ein amtliches Schreiben, wie Haußmann am Kopf und an den Stempeln sah. »Welches Wagen fahren Sie?«

»Type oder Nummer?«

»Due, Signore.«

»Ich habe einen hellblauen Mercedes 220 mit der Nummer GE -MZ 921.«

»Und wo ist Wagen jetzt?«

»Aha!« Haußmann sah Erika an. »Da hat der Frank einen Unfall gebaut, paß mal auf.« Und zu Dolcare sagte er: »Wenn alles normal verlaufen ist, muß er längst in Bari sein.« »Ist er, Signore.«

»Und dort hat's geknallt.«

»Prego? Ich nicht.« Dolcare hob beide Hände.

»Ein Unfall? Bum. Aus!« Haußmann ließ beide Fäuste zusammenprallen. Eine Sprache, die jeder versteht im Zusammenhang mit Autos. Dolcare lächelte mild.

»Niente, Signore. Auto nix kaputt. Auto steht auf der Piazza Garibaldi in Bari. Plombiert.«

»Warum das denn?« Haußmann wurde unsicher. Wenn die Polizei etwas plombiert, dann ist es etwas Ernstes.

»Wer fuhr Auto?« fragte Dolcare weiter.

»Ein Bekannter. Frank Hellberg. Ein Journalist.«

»Und wer hat gefahren mit?«

»Fräulein Marion Gronau und ein Fräulein Claudia Tortelle oder Torrosa oder so.«

»Torgiano.«

»Richtig!«

»Sie werden können bürgen für sie?«

»In jeder Höhe!« Haußmann lächelte wieder. Geld, dachte er. Die haben kein Geld mehr. Wer weiß, was da passiert ist. Vielleicht ist es ihnen gestohlen worden. Und nun sitzen sie irgendwo fest und haben uns als Bürgen genannt. Na, wir werden es ja gleich erfahren.

»Wo sind sie, Herr Inspektor?« fragte Karl Haußmann und griff in die Brusttasche. »Wieviel Geld brauchen sie?«

»Nix Lire, Signore. Signore Hellberg ist in Bari. Verhaftet mit den Signorinas.«

»Verhaftet? Aber wieso denn?« stotterte Karl.

»Wegen Mordes.«

Es war, als habe zwischen ihnen ein Meteor eingeschlagen. Karl starrte Erika an, und er sah in ihren Augen die gleiche Verblüffung wie bei sich. Sekundenlang waren sie unfähig, etwas zu sagen, aber dann plötzlich begann Haußmann zu lachen und schlug sich auf die Schenkel.

»Inspektor!« rief er und holte tief Atem. »So einen herrlichen Blödsinn habe ich selten gehört!«

»Sie haben ermordet Mann, der 20 Tabletten HTS mitgebracht hat aus Sarajewo.« Dolcare war sehr ernst, als er das sagte. »Mann war im Nebenzimmer von Pensione. Er hatte Tasche von Signori-na Torgiano in Hand.«