Er umfaßte Claudia, und sie gingen zum Bug, wo unter einem Sonnensegel Liegestühle standen und eine fahrbare Bar mit Erfrischungen.
Umberto Saluzzo kehrte von der Funkkabine in sein Büro zurück und schaltete dort das Tonband ab, das bis jetzt gelaufen war. Alles, was Claudia und Frank an der Reling gesprochen hatten, war über versteckte Mikrophone aufgenommen worden. Nun hörte Sa-luzzo das Gespräch ab, und ein böses Lächeln glitt über seinen dünn-lippigen Mund.
Saluzzo ging zum Bordtelefon und drückte auf einen Knopf. »Lui-gi«, sagte er, »wir ändern die Abmachung mit Professor Caroni. Telegrafiere ihm, daß wir ihn nicht in Brindisi an Bord nehmen, sondern daß ihn eine Barkasse vom Hafen abholt. Wir bleiben auf See und ankern am Riff.«
»Das ist schlecht«, antwortete die Stimme Luigi Foramentes.
»Warum?«
»Dann kann keiner schwimmen, Umberto. Am Riff gibt es Haie.«
»Ich weiß, Luigi.« Saluzzo rückte an seinem dunkelgetönten Monokel. »Gerade deswegen wollen wir in der Nacht dort ankern.«
Kapitel 6
Am Abend dieses Tages fand Karl Haußmann einen Zettel der Polizei an der Windschutzscheibe seines Wagens auf der Piazza Garibaldi. Eine Bitte, sofort zur Landespolizei zu kommen.
Im Dienstzimmer des Polizeichefs war reges Leben. Offiziere und Polizisten kamen und gingen, das Telefon rasselte ununterbrochen, eine Sekretärin nahm im Stenogramm die einlaufenden Meldungen auf.
»Ein Irrenhaus, Signore!« sagte der Polizeichef zu Karl Haußmann und zog ihn an das Fenster, wo sie allein waren. »Vier dicke Sachen auf einmaclass="underline" ein Überfall auf der Straße nach Foggia. Ein schweres Omnibusunglück bei Gioia - leider sieben Tote, alles Schwestern, die auf einer Wallfahrt waren. Ein Großbrand bei Bitonto, drei Lagerhäuser in Flammen. Ja, und den Mörder haben wir auch.« Der Polizeichef griff in die Tasche und hielt Haußmann ein dünnes Büchlein unter die Nase. »Der Paß von Signorina Torgiano. Der Mörder hatte ihn bei sich, um mit seiner Geliebten nach Afrika zu verschwinden. Sie sollte Claudia Torgiano werden. Der Kerl hat gestanden, er wollte noch zehnmal diese blödsinnigen Wunderpillen rauben und verkaufen, dann plante er sich abzusetzen. Es ist übrigens der Hausdiener der Pension, in der Ihre Bekannten gewohnt haben.«
Haußmann nahm den Paß und steckte ihn ein. »Die Aufklärung kommt ein paar Stunden zu spät«, sagte er.
»Wieso?« Dem Polizeichef wurde es heiß unter dem Kragen. »Ist etwas geschehen?«
»Noch nicht. Aber wir haben uns getrennt. Frank Hellberg und Fräulein Torgiano haben sich selbständig gemacht und wollen illegal nach Jugoslawien - eben, weil Claudia ohne Paß nicht hinausgelassen wird.«
»Ach so.« Der Polizeichef atmete auf und lächelte. »Warten Sie ab, die beiden werden spätestens morgen früh wieder bei Ihnen sein. Illegal nach Dubrovnik, das ist völlig ausgeschlossen. Die Überwachung der Küste hier und drüben in Jugoslawien ist perfekt. So etwas liest man in Romanen, die Wirklichkeit ist härter und einfacher. Passen Sie auf, Ihre Bekannten sind bald wieder da!«
»Und wenn nicht?«
»Dann fischt sie die Küstenwache auf. So oder so, sie kommen zurück!«
Von dieser Ankündigung alles andere als beruhigt, verließ Hauß-mann die Polizeidirektion von Bari und setzte sich in seinen Wagen. Erika und Marion warteten auf ihn.
»Strafe wegen Dauerparkens?« fragte Marion fröhlich.
»Nein. Der Paß von Claudia. Sie haben den Mörder!«
»Der Paß!« Erika nahm ihn aus Karls Händen und blätterte ihn durch. »Nun wäre alles so einfach. Wir haben für uns alle Fahrkarten. Es gäbe gar keine Probleme mehr. Karl, wir müssen die beiden suchen.«
»Aber wo, um Himmels willen?«
»Im alten Hafen, bei den Fischern, im Jachthafen. Ich nehme an, daß Frank mit einem Privatboot übersetzen will. Sie sind bestimmt im Hafen.«
»Suchen wir!« Haußmann startete. »Vielleicht haben wir zum zweitenmal Glück.«
Aber im Hafen sahen sie Hellberg und Claudia nicht. Auch als sie die Fischer und Matrosen fragten, die herumstanden, erhielten sie als Antwort nur ein Achselzucken. Der Abend senkte sich über Bari. Tausende von Lichtern flammten auf, ein Zauberreich leuchtete über das schimmernde Meer. Und ganz weit draußen, gegen den dunklen Horizont gut zu sehen, schwamm eine herrliche, weiße Jacht, mit bunten Lampen übersät wie auf einem prunkvollen Schiffskorso.
»Auf solch einer Jacht zu sein«, sagte Marion träumerisch. »Wie muß man sich da fühlen.«
»Vielleicht ist Frank schon darauf?« Es sollte scherzhaft klingen, und sie alle lächelten auch. Wenn Haußmann gewußt hätte, wie wahr seine Worte waren.
Es war um die gleiche Stunde, in der Frank Hellberg, umgezogen zum Abendessen, aus seiner Kabine wollte und plötzlich die Klinke in der Hand hielt. Die Tür aber war von außen abgeschlossen. Er klopfte, dann trommelte er mit den Fäusten, schließlich trat er mit aller Wucht gegen die Holzfüllung. Sie war massiv und gab nicht einen Millimeter nach.
Und irgendwo glaubte er einen Schrei zu hören. Einen Schrei aus hellster Angst. Die Stimme Claudias.
Mit einem weiten Anlauf warf sich Hellberg gegen die schwere Tür. Immer und immer wieder.
Einmal muß sie splittern, dachte er wütend und faßte an seine brennende, anschwellende Schulter. Einmal muß diese Tür aus den Fugen gehen.
Und er lief wieder dagegen an und warf sich gegen das massive, in der Verankerung knirschende Holz.
Nach dem siebenten Anlaufhielt er keuchend inne und rieb sich erneut die schmerzende Schulter. Nicht einen Millimeter hatte sich die schwere Tür bewegt. Zwischen dem Holzfurnier muß eine Stahlplatte sein, dachte Hellberg. Anders ist es nicht möglich. So hartes Holz gibt es nicht. Das ist eine schußsichere Stahltür, die man nur umkleidet hat mit Mahagoni.
Noch einmal wollte er es versuchen, obgleich er wußte, daß es sinnlos war. Er duckte sich, stemmte die Füße vom Boden ab und wollte sich wieder gegen die Füllung werfen, als die Tür von außen aufgeschlossen wurde. Ein junger, schwarzlockiger Mann in einem eleganten, weißen Anzug stand in dem schmalen Flur und sah verwundert auf den schwitzenden, geduckten, zum Sprung bereiten Hellberg.
»Was soll der Lärm, Signore?« fragte der Mann höflich. »Mißfällt Ihnen etwas? Dann bedienen Sie sich bitte des Bordtelefons; es wird sofort ein Steward kommen.«
Frank atmete tiefauf. Dann machte er einen weiten Satz, warfmit seinem Körper den jungen Mann zur Seite und stürzte an die Tür der gegenüberliegenden Kabine Nr. 6. Er riß sie auf.
Claudia Torgiano saß vor dem großen Toilettenspiegel und kämmte gerade ihr langes, seidenschwarzes Haar. Mit einem leisen Schrei fuhr sie auf, als Frank wie ein Irrer in die Kabine stürzte.
»Liebling!« rief er. »Was hat man dir getan? Warum hast du ge-schrien?« Er sah sich mit flackernden Augen um, aber Claudia war allein, niemand war in der Kabine.
»Wie siehst du denn aus?« fragte Claudia und lief auf Frank zu.
Sie umarmten sich und fühlten, daß sie beide zitterten. »Was ist denn geschehen, Frank?«
»Warum hast du geschrien, Liebling?«
»Ich habe nicht geschrien.«
»Aber ich habe es ganz deutlich gehört. Eine Mädchenstimme. Sie rief in höchster Not um Hilfe.«
Claudia schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts gehört, Frank.«
»Mein Gott, ich bin doch nicht verrückt!« Hellberg lief zur Kabinentür Claudias. Das Holz war viel dünner und leichter. Es klang voll und schwang im Ton, als er mit den Knöcheln dagegentrommelte. Eine reine Holztür, ohne Stahleinlage und dünn genug, daß Claudia den Schrei viel deutlicher gehört haben mußte als er durch die eisenisolierte Tür. »Hier hat jemand geschrien«, sagte Hellberg und schloß die Kabine. Der junge Mann in dem weißen Maßanzug war nicht mehr im Flur. In der Aufregung hatte Frank ihn auch gar nicht vermißt. »Claudia, ich leide doch nicht unter Halluzinationen!« Hellberg setzte sich auf die Bettkante. Es war eine herrliches französisches Bett, mit gelber Seide bespannt und mit einem Tüllhimmel, der nachts indirekt beleuchtet werden konnte. »Da sind noch mehr Personen auf dem Schiff als Saluzzo, seine Mannschaft und wir. Irgendwo hält er andere versteckt.« Frank wischte sich über die Stirn und die Augen. Seine Hand zitterte etwas. »Ich habe das Gefühl, auf einer schwimmenden Insel des Teufels zu sein.«