»Wir könnten von Dubrovnik auch mit der Bahn fahren, Bärchen.«
Haußmann schielte zu Marion. Das Kosewort Bärchen berührte ihn komisch. Es rief Erinnerungen wach, die noch gar nicht so lange vergangen waren. Jeden Morgen im Büro ... die Viertelstunde Morgenknutscherei... das >Ankurbeln des Motors<, wie es Hauß-mann nannte . die Diktate, bei denen niemand stören durfte, die Geschäftsreisen, die immer in einer Bar endeten. Bärchen!
»Die Bahnfahrt hält Erika nicht aus«, sagte er grob.
»Und ein Bus fährt auch.«
»Bist du schon mal mit einem balkanischen Bus durch einen Karst gefahren?«
»Nein.«
»Dazu gehört ein Lederhintern. Erika käme nie in Sarajewo an.«
»Wenn es das Schicksal so will, Bärchen.«
Haußmann drehte sich voll zu Marion. Seine Augen waren hart.
»Fängst du schon wieder an?« fragte er. »Wir hatten uns geeinigt, so lange nicht mehr über private Dinge zu sprechen, bis wir wie-der in Deutschland sind und wissen, was das Schicksal uns zugedacht hat.«
»Das Schicksal!« Marion Gronau zog die Lippen kraus. »Seit Rimini wird nur noch in großen Worten gesprochen.« Sie legte Hauß-mann die Hand gegen die Backe und zwang ihn so, sie anzusehen. »Du hast doch gesehen, daß ich Frank aufgegeben habe.«
»Sagen wir es andersherum: Frank hat dich aufgegeben.«
»Es wäre mir ein leichtes gewesen, diese kleine, blasse Italienerin auszustechen. Aber ich wollte nicht. In all den Tagen habe ich es mir genau überlegt und habe mich entschieden: Soll Frank mit seiner durchsichtigen Claudia glücklich werden - ich liebe dich, Bärchen.«
»Laß den Blödsinn«, antwortete Haußmann steif.
»Es ist vielleicht eine unglückliche Liebe.« Marion sah hinüber zum Meer, und ihr Gesicht nahm einen leidenden Ausdruck an. »Ich sehe ja, daß du zu deiner Frau zurückgefunden hast.«
»Ich war nie weg.«
»Du wolltest dich vor zehn Tagen noch scheiden lassen, ihr das Haus überschreiben und ihr eine Rente zahlen.«
»Vage Ideen.« Haußmann schaltete den Rückwärtsgang ein und setzte zurück. Marion sagte die Wahrheit, aber es war ihm, als habe er nie solche Gedanken geäußert. Auch spürte er erneut, daß in ihm eine Wandlung vorgegangen war: Die Begierde nach Marions jungem, üppigem Körper war der Angst gewichen, sie könnte Erika alles erzählen, was in den letzten Monaten in der Fabrik geschehen war. Nur diese Angst vor der Rache einer enttäuschten und zur Seite geschobenen Geliebten hinderte ihn noch daran, Marion nicht grob ins Wort zu fahren. »Wir sollten von solchen Dingen überhaupt nicht mehr sprechen, Marion«, sagte er heiser. »Es geht jetzt nur noch darum, daß wir heute nacht mit diesem Mistkahn da nach Dubrovnik fahren.«
»Und wenn deine Frau wirklich unheilbar ist?«
»Du bist abscheulich nüchtern!«
»Krebs ist eine Krankheit, die man nur nüchtern und sachlich betrachten sollte. Es gibt keine Illusionen bei Krebs!« Marion griff Hauß-mann ins Lenkrad. Er bremste scharf und fluchte leise.
»Bist du verrückt? Sollen wir uns überschlagen?«
»Ganz klar, mein Lieber: Was tust du, wenn du die Gewißheit hast, daß deine Frau unheilbar ist?«
»Ich werde sie bis zu ihrem Tode pflegen mit allem, was ich tun kann.«
»Und dann?«
»Was dann?«
»Dann bist du Witwer, Bärchen.« Marion hielt seine Hand fest, die nervös an der Handbremse spielte. »Wirst du mich dann heiraten?«
Karl Haußmann zögerte. Zeit gewinnen, dachte er. Sie beruhigen, das ist wichtig. Was später kommt, wer weiß es jetzt schon? Alles, was ich jetzt sage, ist doch wie ein ungedeckter Scheck. Man kann ihn später immer noch zurückziehen.
»Ja.«, sagte er gedehnt. »Dann heiraten wir.«
»Dann ist es gut.« Marion lehnte sich in die Polster zurück. Ihr schönes, etwas puppenhaftes Gesicht leuchtete. »Wir müssen alles versuchen, auf das Schiff und nach Sarajewo zu kommen. Nun will auch ich Gewißheit haben, wie krank deine Frau ist Bärchen.« Sie beugte sich zur Seite und küßte Haußmann auf die Schläfe. »Ich habe nie gewußt, wie sehr ich an dir hänge. Glaub es mir: Der Gedanke, daß du mich wegschicken könntest, macht mich wahnsinnig.«
So schnell es die engen Straßen der Altstadt erlaubten, fuhren sie zurück zur Pension. Erika war inzwischen aufgestanden und stand am Fenster, als Karl und Marion vor dem Haus ausstiegen. Kritisch beobachtete sie die beiden, aber sie sah nichts, was sie hätte mißtrauisch werden lassen. Im Gegenteil, Karl war so unhöflich, Marion nicht einmal aus dem Wagen zu helfen, sondern lief einfach vor ihr ins Haus und ließ sie nachkommen wie einen Lakai.
»Rika! Da draußen im Hafen ist ein toller Zirkus im Gang!« rief Karl, als er mit einem Elan ins Zimmer stürmte, als müßten sie Hals über Kopf flüchten. »Die Polizei läßt nur Schwerkranke mit Wagen aufs Schiff. Alles ist abgesperrt. Wenn wir nach Sarajewo mit unserem eigenen Wagen wollen, können wir dich ab sofort nur noch liegend transportieren.«
»Was ist los?« fragte Erika zurück. Sie sah ihren Mann an, als habe er Donner und Blitz mit ins Zimmer gebracht.
»Du mußt schwerkrank sein. Ich lege dich hinten auf die Hintersitze, decke dich zu, und du mußt so tun, als hättest du große Schmerzen und seiest am Ende deiner Kräfte.«
»Nein!« sagte Erika laut. Ein Beben liefdurch ihren Körper. »Nein! Ich versuche das Schicksal nicht.«
»Anders kommen wir nicht über das Meer!« rief Haußmann verzweifelt. »Rika. Liebste, du versuchst das Schicksal, wenn wir unsere Karten verfallen lassen.«
»Ich kann keine Sterbende spielen.« Erika wandte sich ab, das Zittern ihres Rückens wurde stärker. Plötzlich weinte sie und preßte die Hände flach vor das Gesicht. »Habt ihr denn alle Nerven wie Drahtseile?« schluchzte sie. »Ihr verlangt, daß ich spielen soll, wovor ich aus Angst vergehe. Ich will nicht krank sein. Ich will nicht sterben! Auch nicht gespielt.«
Karl Haußmann ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und hob hilflos beide Arme. »Dann war alles umsonst, Rika«, sagte er tonlos. »Laß uns wieder nach Deutschland fahren.«
»Und Frank Hellberg mit der armen Claudia?«
»Sie werden schon durchkommen. Ich habe ihnen Geld genug gegeben. So nahe vor dem Ziel umdrehen, das ist nicht Haußmanns Art! Nur bis wir auf dem Schiff sind, brauchst du die Kranke zu spielen. Ist der Wagen erst einmal auf Deck, holt ihn keiner wieder runter.« Karl sah Erika fast flehend an.
Sie wandte sich wieder ab und trat ans Fenster. »Ich habe Angst«, sagte sie leise.
»Angst? Wovor?«
»Daß aus dem Spiel plötzlich Ernst wird.« Sie drehte sich um, lief zu ihrem Mann und warf sich ihm in die Arme. »Karl«, stammel-te sie. »Karl, wenn ich hilflos daliegen werde, wenn ich mich nicht mehr rühren kann, wenn mir nur noch Morphium hilft, wenn du siehst, es geht langsam zu Ende: Versprich mir, daß du mich nicht so grausam sterben läßt. Versprich mir, daß du mir soviel Morphium gibst, daß ich ohne Schmerzen einschlafe.«
»Mein Gott, welche Gedanken!« Haußmann hielt Erika umfangen und drückte ihren bebenden Kopf an sich. In seinem Hals würgte es, er hatte das Gefühl, einen Stein verschluckt zu haben. »Wer wird denn so was denken«, stotterte er. »Rika, so darfst du nicht denken! Damit machst du dich selbst verrückt. Es wird doch nie so weit kommen, nie! Darum fahren wir ja nach Sarajewo. Darum holen wir ja dieses HTS! Damm wollen wir uns ja auf das >Schiff der Hoffiiung< schmuggeln. Du sollst gesund werden, ganz gesund.«
Eine Stunde später benachrichtigte Karl Haußmann den Inhaber der Pension, daß seine Frau einen schweren Anfall bekommen habe und nun gehunfähig sei. Marion machte aus den Hintersitzen des Autos bereits ein weiches Bett und verhängte das Rückfenster und die Seitenfenster mit Tüchern. Dann trugen Haußmann und drei Männer - der Hausdiener, der Koch und ein zufällig anwesender Milchmann - Erika auf einer Trage aus dem Haus und betteten sie hinten in das Auto. Wie es Haußmann bei dem Engländer gesehen hatte, deckte er Erika bis zum Hals zu.