Marion Gronau wartete schon mit der Post, als Haußmann sein Privatbüro betrat, vorher den sauertöpfischen Hauptbuchhalter und Prokuristen Sczimkinsky begrüßt und zu dem technischen Leiter, der ihn sprechen wollte, gesagt hatte: »In einer halben Stunde, mein Lieber.«
»Du kommst spät«, sagte Marion, als sie allein im Chefbüro waren. Sie tat etwas beleidigt, warf die Post auf den großen Mahagonitisch und lehnte sich an die Wand, statt sich auf Haußmanns Knie zu setzen. Sie trug ein aufregendes, zitronengelbes Kleid mit tiefem, rundem Ausschnitt, in dem man die Ansätze ihrer Brüste sah. Hauß-mann setzte sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete ein paarmal tief ein. Dann sagte er: »Komm, Küßchen...«
»Hast du es ihr gesagt?« fragte Marion und blieb stehen.
»Natürlich!«
»Und wie hat sie es aufgenommen?«
»Wie soll sie es aufnehmen? Ich bin der Herr im Haus. Ich habe ihr es klipp und klar gesagt und bin gegangen. Wozu lange Kommentare?«
»Ahnt sie etwas?«
»Ich weiß es nicht. Und wenn.«
»Was heißt: Und wenn? Du weißt, daß ich keinen Skandal will. Ich liebe dich ... aber ohne Aufsehen, Karl.«
»Aufsehen!« Haußmann trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wenn Erika etwas merkt, werden wir uns aussprechen und dann die Konsequenzen ziehen. Die Kinder sind groß und aus dem Haus. Erika hat das Haus - ich werde ihr das Haus natürlich überschreiben - und bekommt eine anständige Rente. Was steht also einer Scheidung im Wege? Einer stillen, ganz unsensationellen Scheidung?«
»Und dann?«
»Dann heiraten wir, Marionmäuschen. Was sonst?«
Marion Gronau schwieg. Sie konnte darauf keine Antwort geben. Ihre Pläne lagen anders. Ein so hübsches Mädchen wie ich muß beweglich sein, dachte sie stets. Für das Herz ist Frank Hellberg ge-rade der Richtige. Für das Portemonnaie sorgt Karl Haußmann. Man müßte ihn so weit bekommen, daß er es als eine Patentlösung aller Probleme ansieht, wenn ich Frank Hellberg heirate und doch noch sein Bürokätzchen bleibe. Aber alles das wird die Zeit bringen; man soll nichts übereilen, vor allem, wenn es um Geld und Liebe geht.
»Komm, Küßchen!« sagte Haußmann wieder und spitzte die Lippen. Er ärgerte sich noch über die schlecht geschlafene Nacht, über Erikas hysterische Beschwerden und über den Gedanken, daß Hellberg in Rimini tatsächlich die Rechte eines Bräutigams wahrnehmen könnte. »Du mußt heute besonders lieb zu mir sein, denn ich habe Ärger.«
»Mein armes Bärchen!« sagte Marion betont zärtlich, gab Hauß-mann einen Kuß, ließ sich über die Hüften streicheln, umfing ihn dann von hinten und rieb ihr Gesicht an seiner linken Wange. »Mir fehlt ein schickes Sommerkostüm, Bärchen«, sagte sie und biß ihm ins Ohr. Haußmann röchelte vor Wonne und schnappte nach Luft.
»Kauf es dir, mein Liebling.«
»Und ein Sonnenkleid?«
»Auch.« Er hielt ihren Kopf fest, als sie ihn zurückziehen wollte, und drehte sich um. »Wann sind wir länger zusammen, Marion. Wann ... wann sind wir einmal allein ... ganz allein ... nur wir zwei. Ich bin noch kein alter, morscher Holzklotz, Marion. Ich habe dich wirklich lieb.«
»Vielleicht in Rimini...« Sie befreite sich mit einem Ruck aus Hausmanns Händen, wich zurück zur Wand, ordnete ihre Haare und nahm die Briefmappe wieder vom Tisch. »Draußen wartet Obermeister Henkes, du wolltest ihn sprechen«, sagte sie mit veränderter, nüchterner, dienstlicher Stimme.
Haußmann strich sich mit zitternden Händen über Haare und Gesicht. Sein Herz zuckte und lag wie ein Eisenklotz in der Brust. Es war zentnerschwer von der Sehnsucht nach Marions Jugend.
»Er kann gleich kommen. Was sagt dein Verlobter Hellberg zu der Reise?« »Er freut sich wie ein kleiner Junge. Er will die Fahrt gleich mit der Reportage über das Dolce vita an der Adria verbinden. Er kommt übrigens nachher zu dir, um dir zu danken und die Reise zu besprechen.«
Karl Haußmann nickte. Er blätterte die Post durch, ohne aufzunehmen, was er las. Es waren Worte, die an seinem Auge lediglich vorbeiglitten.
Rimini, dachte er nur. In Rimini wird sie mir gehören. Sie hat es jetzt versprochen. Drei Tage noch ... drei lange, lange Tage. Was dann kam, war ihm völlig gleichgültig. Es ist meine letzte Liebe, dachte er. Mein Schwanengesang. Von da ab werde ich ein alter Mann sein und von den Erinnerungen leben. Aber diese eine, diese letzte Liebe werde ich mir noch erobern!
Eine Tür klappte. »Obermeister Henkes, Herr Direktor«, hörte er die Stimme Marions.
Er sah hoch. Henkes stand vor dem Schreibtisch, eine Mappe unter dem Arm. Wie durch einen Nebel sah ihn Haußmann.
»Die neuen Emaillemuster, Chef«, sagte Henkes. »Sie wollten sie doch noch vor Ihrem Urlaub sehen.«
Emaillemuster. Emaille. Wie kann dieser Mensch von Emaille sprechen, wenn seinem Chef das Herz überläuft?
»Zeigen Sie her, Henkes!« sagte Haußmann mit müder Stimme. »Heißer Tag heute, was? Die Luft steht ja. Ist Ihnen auch so dusselig im Kopf?«
»Nein, Chef. Ich nehme, wenn ich's merke, immer 'n Korn.«
»Das ist gut, Henkes. Bringen Sie mir nachher auch einen. Und nun zu den Mustern.«
Der Alltag floß weiter. Bei Haußmann & Sohn, in Gelsenkirchen, im Ruhrgebiet, in Deutschland, in der Welt. Ein Alltag mit Millionen kleinen Schicksalen, die niemand kennt.
Wie reich ist unser Leben an Ereignissen.
Man sehe nur sich selbst an.
Der Journalist Frank Hellberg war ein Mann von sechsundzwanzig Jahren, der es nie aufgegeben hatte, von der Karriere eines ganz großen Journalisten zu träumen. Nur Glück brauchte man dazu; das Können besaß er. Ein Interview mit Mao Tse-tung oder de Gaulle, die Aufdeckung eines weltweiten Skandals auf der Linie der Christine Keeler oder der Bericht über eine verborgene Sensation - das waren, um in der Fachsprache zu bleiben, >Knüller<, von denen Frank Hellberg träumte. Bis jetzt schrieb er Lokalberichte und wurde ab und zu nach Düsseldorf in den Landtag geschickt, weil er satirisch schreiben konnte und man Politiker am besten satirisch betrachtet. Er verdiente leidlich, nach Tarif, hatte es sich abgewöhnt, über rätselschwangere Entscheidungen des Chefredakteurs oder des Verlegers nachzudenken, und war ein kleines, surrendes Rädchen in der großen Maschinerie des Zeitungskonzerns.
Frank Hellberg hatte Marion Gronau am Baldeney-See bei Essen kennengelernt. An einem Sonntag am Steg der Segelboote. Er hatte in der Sonne gesessen, die Beine ausgestreckt und war aus seinem Dösen herausgerissen worden durch eine helle Mädchenstimme: »Nehmen Sie mal die Beine weg! Oder haben Sie den Bootssteg gepachtet?« Aus einer anfangs zornigen Unterhaltung entwickelte sich ein schöner Sonntagnachmittag, bis man drei Monate später Verlobung feierte. Hellberg nannte sich glücklich, er liebte Marion ehrlich und glaubte, daß er der Mann sei, auf den sie bisher gewartet hatte. Sie waren ja auch äußerlich ein ideales Paar. Beide schlank und sportlich, mit blonden Haaren und lebenslustig.
Karl Haußmann war noch immer in schlechter Stimmung, als Hellberg zu ihm kam, und die miese Laune sank noch tiefer, als Frank seiner Marion in der Tür einen Kuß gab.
»Ich finde es großartig von Ihnen, Herr Haußmann«, sagte Hellberg später bei einer Zigarette und einem Kognak, »daß Sie uns mitnehmen. Von mir aus hätte ich mir solch eine Reise nie leisten können. Das Teuerste ist ja immer die Fahrt. Aber für das tägliche Leben habe ich mir ein paar Scheinchen gespart. Hoffentlich schluckt das Hotelzimmer nicht so viel.«
»Wir wohnen im Hotel >Palma<«, sagte Haußmann leichthin. »Mit das beste am Platze.«
»O Himmel, ich sehe schwarz!« rief Hellberg.
»Keine Sorge. Fräulein Gronau hat mich unterrichtet. Ich habe für Sie ein Zimmer in der >Pensione Luigi< reservieren lassen. Zwar etwas entfernt vom >Palma<, aber was sind Entfernungen im Urlaub, nicht wahr? Fräulein Gronau wohnt mit uns im >Palma<.« Haußmann lächelte Hellberg freundlich an. »Sie fährt ja halbgeschäftlich mit, ich werde diktieren müssen und disponieren, und die Firma gibt einen Urlaubszuschuß. Es macht Ihnen doch nichts aus, Herr Hellberg?«