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»Ich vergehe vor Hitze«, flüsterte sie, als er sich über sie beugte. »Wenn wir am Hafen sind, bin ich wirklich ohnmächtig.«

»Nur eine halbe Stunde, Rika«, sagte Haußmann leise und strich ihr über das Haar. »Halte durch, Liebling. Auf dem Schiff, im frischen Abendwind, kannst du dich dann erholen.«

Bedrückt standen der Padrone, seine Frau und die drei hilfreichen Männer an der Haustür, als der deutsche Wagen abfuhr. Sie winkten nicht nach. Das war eine traurige Fahrt.

»Sie kommt auch zu spät«, sagte der Padrone und wischte seine Hände an der Hose ab.

»Eine so schöne Frau«, sagte der Hausdiener.

»Und die Nachfolgerin ist auch gleich dabei«, meinte die Padro-na giftig.

»Immer diese eifersüchtigen Weiber!« Der Padrone warfeinen verzweifelten Blick in den sich rötlich färbenden Himmel. »An was anderes denkst du wohl nicht?«

»Ich kenne doch die Männer, he?« Die Frau stemmte die Hände in die Hüften. »Bist du anders? Alle sind sie gleich. Man sollte die Männer, sobald sie an die Fünfzig gehen, vergiften!«

Eine Viertelstunde später fuhr Haußmann im Schritt-Tempo durch die Reihen wartender Wagen, die man rechts und links der Hafenzufahrt abgestellt hatte. Vor dem Gittertor stauten sich die Menschen. Es war ein Lärm wie bei einer Revolution - und es war auch eine, denn alle vor der Polizeikette revoltierten gegen die Sperrung der Molenzufahrt.

Drei Polizisten, die entlang der abgestellten Wagen patrouillierten, schleusten Haußmanns Wagen durch das Gewühl, nachdem sie einen Blick in das Innere des Autos geworfen hatten. Vor der Sperre kurbelte Haußmann sein Fenster herunter und hielt die Fahrscheine hinaus. Ein Polizeileutnant trat heran und grüßte höflich. Er sah in den Wagen, erkannte das schweißnasse, bleiche Gesicht zwischen Kissen und Decken und zog den Kopf zurück.

»Aus Deutschland?« Er sah flüchtig auf die Fahrkarten. »Etwas zu verzollen?«

Haußmann lächelte gequält, es gelang ihm sehr gut. »Was sollten wir wohl mitnehmen, Herr Offizier?«

»Passieren!« Der Leutnant hob die Hand. Die Polizeikette öffnete sich. »Nummer 12!« schrie jemand. »Noch drei.«

Vom Tor her antwortete ein unverständliches, vielstimmiges Geschrei. Haußmann sah, wie die Carabinieri zusammenrückten und die Hände auf die Pistolentaschen legten. Da gab er etwas Gas und fuhr so schnell, daß es nicht auffiel, die leere Molenstraße hinauf zur Anlegestelle auf der Molo Foraneo.

»Geschafft!« riefer, als er außer Hörweite der Postenkette war. »Rika,

Liebes, geschafft!« Er hielt an, beugte sich über seine Sitzlehne und riß die Decken von Erika.

Sie rührte sich nicht. Bleich, mit auf der Brust gefalteten Händen, lag sie zwischen den Kissen. Sie war wirklich ohnmächtig geworden.

»Hier, nehmen Sie das«, sagte Marion und reichte Haußmann ihr Kölnisch-Wasser-Fläschchen. Karl rieb mit dem erfrischenden Parfüm Erikas Stirn ein, massierte ihre Brust und küßte sie auf den Mund, als sie endlich, mit einem tiefen Seufzer, die Augen wieder aufschlug.

»Wo ... wo sind wir?« fragte sie und richtete sich ächzend auf.

»Vor dem Schiff, Liebes!« Haußmann gab Marion das Parfümfläschchen zurück. Dabei berührten sich ihre Finger, aber kein Funke sprang über. »Wir sind durch! In zehn Minuten sind wir an Bord, und heute nacht schwimmen wir deiner Gesundheit entgegen. O Rika, ich könnte die ganze Welt umarmen!«

»Dann fang' bei Fräulein Gronau an!« antwortete Erika. Und ein Schatten fiel über Haußmanns ehrliche Freude. Er kam sich schäbig vor, denn er dachte an das Gespräch, das er vor zwei Stunden noch mit Marion geführt hatte.

Aber so ist es im Leben: Ein zwischen Jugend und Pflicht schwankender Mann im Alter Karl Haußmanns hat eine gewisse Narrenfreiheit. Man muß nur warten können, bis er aus seinem Wahn wieder erwacht.

Am Kai lag die >MS Budva< in der untergehenden Sonne. In diesem goldenen Licht sah sie gar nicht mehr so morsch aus; vielmehr war es, als sei sie jetzt, leuchtend in sattem Rotgold, das wahre >Schiff der Hoffnung<, ein Traumboot zum ewigen Leben, das durch ein violettes Meer schwimmt zu einer Küste, die kein Sterben mehr kennt.

Während Erika, noch immer die Schwerkranke spielend, mit einer Trage des Schiffes von zwei Matrosen an Bord gebracht wurde und Marion wie eine rührend besorgte Krankenschwester nebenherlief, überwachte Haußmann das Verladen seines Wagens auf das Oberdeck der >Budva< und nahm es klaglos in Kauf, daß zwei Haken des

Kranes einen großen Kratzer in den Lack der linken Tür zogen. Dann schwebte der Wagen an Bord, und Haußmann stieg in fast übermütiger Laune über die Gangway auf das Schiff.

»Der Bordarzt ist bereits bei Ihrer Frau«, sagte der I. Offizier der >Budva< zu Karl, als er die Fahrkarten kontrolliert und die Pässe an sich genommen hatte. Haußmann bekam sie erst nach der Landung beim Zoll in Dubrovnik wieder. Es war also ausgeschlossen, ohne Papiere an Land zu kommen.

Haußmann sah den I. Offizier, der ein hartes Deutsch sprach, verblüfft an.

»Sie haben einen Arzt? Hier, auf diesem Schiff?«

»Seit wir bei denn Überfahrten der letzten Zeit ein paar Todesfälle hatten, war das notwendig. Kabine 17 und 18, mein Herr. Er-ster-Klasse-Deck.«

»Oh! Das gibt es hier auch?«

Der I. Offizier ließ Haußmann wortlos stehen. Alle Verachtung lag darin. Die Deutschen mit ihrer großen Fresse, sollte das heißen. Anstatt daß sie froh sind, überhaupt mitzukönnen.

Haußmann suchte über drei Decks hindurch die Kabinen 17 und 18, bis er sie endlich im Anschluß an die Kommandobrücke fand. Der Arzt war schon wieder gegangen. Marion saß am Bett Erikas und lächelte Haußmann wie um Verzeihung bittend zu. Erika schlief, mit tiefen seufzenden Atemzügen.

»Er hat ihr gleich eine Spritze gegeben«, sagte Marion, als sich Haußmann erschrocken über seine Frau beugte. »Morphium, glaube ich. Was sollte ich machen? Der Arzt versteht kein Wort Deutsch. Und als deine Frau aufspringen wollte, hat er sie zurück aufs Bett gedrückt und schwupp, hatte sie die Spritze weg. Sie ist sofort eingeschlafen. Er muß ihr eine starke Dosis injiziert haben.«

»Das kann ja heiter werden.« Haußmann setzte sich neben die betäubte Erika auf die Bettkante und zog sich den Schlips vom Hals. »Wo ist der Kerl jetzt?«

»Nebenan. Bei dem Engländer. Ich glaube, der stirbt, bevor wir Dubrovnik erreicht haben. Ich konnte vorhin einen Augenblick in die Kabine sehen: Der Mann sieht wirklich wie ein Gerippe aus. Da hilft doch auch kein HTS mehr.«

»Der Glaube vermag viel.« Haußmann trat an das runde Bullauge. Durch das Glas schimmerte das alte Bari. Der jetzt dunkle Abendhimmel über der Stadt war fahl und streifig. Der Widerschein tausender Lampen. »Was wären wir alle, wenn wir die Hoffnung nicht mehr hätten«, sagte Karl leise.

»Das stimmt«, antwortete Marion Gronau. Und ihr Unterton bewies die Doppeldeutigkeit ihrer Worte.

Pünktlich um 23 Uhr gellte die Sirene der >MS Budva<. Der Kran rollte vom Kai, die Gangway wurde eingezogen, die Leinen wurden losgeworfen.

Ein Zittern rann durch den Schiffsleib, die alten Dieselmotoren begannen zu stampfen, das Schiff schlingerte etwas in der Dünung, die Schrauben wirbelten das Wasser auf; es war, als ächzte ein alter Mann unter einer schweren Last, die er noch wegtragen mußte. Dann löste sich die >MS Budva< von der Mole und glitt in die Nacht hinaus, auf das finstere Meer, entlang der den Hafen abgrenzenden, langen Außenmole, die flach aus der Adria ragte.

Haußmann stand oben an Deck neben seinem vertäuten Wagen und blickte zur langsam entschwindenden, hellerleuchteten, flimmernden Küste zurück. Marion hockte neben ihm auf einem Seilknäuel und rauchte nervös.

»Das ist aus Rimini geworden«, sagte sie, als Bari nur noch ein heller Strich war.