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»Bestimmt?«

»Bestimmt!« murmelten die Verwandten. »Laßt euch nicht einfallen, mich irgendwo abzuladen, wenn ich wieder die Besinnung verliere, und mich verrecken zu lassen! In meinem Testament steht, daß dieser Dr. Zeijnilagic unterschreiben muß, mich gesehen zu haben. Sonst gibt es keinen Penny, keinen Penny, verdammt noch mal!«

Dann fiel er wieder in Ohnmacht, aber er atmete tiefer, als habe diese Drohung an die Verwandten sein Herz wesentlich gestärkt.

Karl Haußmann lag neben Erika und hörte auf ihre tiefen Atemzüge. In der Nacht, er war gerade eingeschlafen, weckte ihn leises Klopfen an der Tür. Er öffnete, und der Schiffsarzt steckte den Kopf in die Kabine und blickte zu Erika hinüber.

»Alles o.k.!« sagte Haußmann. Okay muß er verstehen, dachte er. Das kennt der Neger im Busch so gut wie ein Jugoslawe. Der Bordarzt, ein alter Mann, der nach Slibowitz roch, wenn er ausatmete, rollte mit den Augen.

»Nix okeh«, sagte er heiser. »Tres malade.« Er drückte Haußmann zur Seite, kam in die Kabine und stellte ein altes, abgegriffenes und fleckiges Lederköfferchen auf den Tisch. Dann beugte er sich über Erika, zog die Bettdecke von ihr, schob ihr das Nachthemd bis zum Kinn und betastete ihren nackten Leib.

»Was machen Sie denn da?« stotterte Haußmann verblüfft. »Sie können doch nicht einfach meine Frau nackt.« Dann fiel ihm ein, daß der Arzt ja kein Wort verstand, und er ging hin, faßte den Arzt am Rock und zog ihn von Erika weg, in dem Augenblick, wo er Erikas Brust abhorchen wollte. »Nix!« sagte er dabei. »Ne pas malade. Nur tres fatiguee...«

Der nach Slibowitz riechende Arzt fuhr herum wie eine fauchende Katze und schlug Haußmann auf die Finger. Eine Flut jugoslawischer Worte rauschte über Haußmann, und es schienen keine höflichen Worte zu sein.

Haußmann wußte sich nicht mehr zu helfen. Er zog die Decke über Erikas entblößten Körper, ging zur Tür, öffnete sie weit und zeigte hinaus.

Diese Sprache ist international. Der Arzt bekam kleine, böse Augen, sagte etwas, das mit Zischlauten begleitet war, raffte sein Le-derköfferchen vom Tisch und rannte an Haußmann vorbei hinaus auf den Gang.

»Na also«, sagte Haußmann zufrieden und schloß die Tür wieder. »Die Völkerverständigung klappt ja.«

Aber die Ruhe war nur kurz. Zehn Minuten später klopfte es wieder. Karl fuhr aus dem Bett und riß die Tür auf, bereit, dem betrunkenen Arzt auf gut Ruhrdeutsch die Meinung zu sagen. Aber vor der Tür stand nicht der Doktor, sondern der I. Offizier. Der gleiche unhöfliche Mensch, der Haußmann beim Verladen des Wagens einfach stehenließ, weil er ein Deutscher war.

»Was ist los?« fragte der I. Offizier in seinem harten Deutsch. Auch er roch nach Slibowitz. In der Offiziersmesse mußte gefeiert werden, vielleicht hatte jemand Geburtstag. Haußmann sah den Mann mit den goldenen Ärmelstreifen entgeistert an.

»Vielleicht darf ich fragen, was Ihr dämlicher Arzt nachts um 2 Uhr in meiner Kabine macht?! Kommt da herein, entkleidet meine schlafende Frau.«

»Das ist seine Pflicht!« Der I. Offizier sah hinüber zu der schlafenden Erika. Die Injektion hatte sie wie betäubt. »Sie hat Krebs?«

»Höflichkeit ist wohl nicht Ihre Stärke, was?« rief Haußmann. »Was erlauben Sie sich eigentlich?! Wenn Sie keinen Slibowitz vertragen.«

»Ich vertrage keinen Deutschen!« sagte der I. Offizier hart.

»Ach! So ist das!« Haußmann schluckte. Natürlich, dachte er. Wir waren ja im Krieg auch in Jugoslawien. Tito, die Partisanenkämpfe, die Geiselhinrichtungen, die Schießkommandos, die die Berge durchkämmten. Er sah den I. Offizier verzeihend an und hob die Schultern. »Ich kann nichts dafür. Und außerdem ist das ja lange her.«

»Nicht für mich! Ich habe meinen Vater verloren, meine Mutter, meine Schwester. Ich war in deutscher Gefangenschaft. In Recklinghausen.«

»Ach, sieh an. Recklinghausen. In der Grube?«

»Ja.« Der I. Offizier atmete tief auf. »Ich hasse alle Deutschen, aber Sie sind Passagier. Doch Sie haben sich den Bordgesetzen zu fügen. Trotz Ihres Geldes.«

»Steht in den Bordgesetzen, daß Ihr Arzt meine Frau nachts um 2 Uhr entkleidet und abtastet?«

»Dr. Mihailovic ist von der Regierung eingesetzt, den Transport Kranker nach Dubrovnik zu überwachen und zu kontrollieren. Seit jeden Tag Schwerkranke nach Sarajewo fahren, hat er es besonders schwer. Jeder Passagier, der an Bord stirbt, bedeutet viel Papier und Schreiberei. An Land sind die staatlichen Krankenhäuser dafür zuständig, an Bord nur Dr. Mihailovic. Er handelt in unser aller Interesse, wenn er die kranken Passagiere so betreut, daß sie wenigstens lebend in Dubrovnik an Land gehen.«

Karl Haußmann wußte darauf keine Antwort. Etwas hilflos stand er in der Tür und kam sich vor, als müsse er sich entschuldigen, daß andere ihn in den Hintern getreten hatten. Er dachte an den todkranken Engländer in der Nebenkabine, an die anderen Kranken, die man - wie Erika - auf einer Trage zum Schiff gebracht hatte, und er hütete sich auch, dem I. Offizier zu sagen, daß Erika gar nicht bettlägerig sei, sondern eine der Kranken, der man ein unheilbares Leiden gar nicht glaubt, wenn man ihnen unbefangen und unbekannt begegnet.

Um auf ein anderes Thema zu kommen, lächelte er und schnup-perte in die Luft. »Sie feiern?« fragte er.

»Kapitän hat viertes Kind bekommen!«

»Gratuliere.« Haußmann atmete auf. Das Thema verschob sich. Die dreckige Politik wurde unwichtig. »Junge oder Mädchen?«

»Junge.« Der I. Offizier nickte kurz. »Sie werden den Doktor nicht mehr hindern?«

»Nein. Natürlich nicht. Aber meiner Frau geht es besser.«

»Das muß Doktor entscheiden.«

»Wir sind ja morgens schon in Dubrovnik. Bis dahin wird sie sicherlich schlafen.«

»Trotzdem.« Der I. Offizier wandte sich ab und ging grußlos zur Treppe. Haußmann wartete, sah ihm nach, und als der Offizier verschwunden war, ging er hinüber zu Marions Kabine und klopfte. Niemand antwortete. Er klopfte stärker, so laut, daß auch eine tief Schlafende es hören mußte. Keine Antwort. Da drückte er die Klinke herunter. Die Tür war unverschlossen.

Haußmann schlüpfte hinein, schloß die Tür, tastete in der tiefen Dunkelheit nach dem Lichtschalter und drehte die Deckenleuchte an.

Die Kabine war leer. Das Bett unberührt. Nur Marions Kleid, das sie am Abend getragen hatte, lag hingeworfen über der Bettdecke. Die Schranktür stand offen. Sie mußte es mit dem Umziehen und Weggehen eilig gehabt haben.

Durch Haußmanns Herz ging ein kleiner, heißer Stich. Er wollte ihn nicht wahrhaben, aber er ließ sich nicht überdecken. Eifersucht! Wohin war Marion gegangen? Hatte sie bereits in dieser kurzen Zeit eine Bordbekanntschaft gemacht?

Eklige, schlüpfrige Gedanken kamen in Haußmann hoch. Er sah eine halbdunkle Kabine, zwei verschlungene Körper, hörte das girrende Lachen Marions. »Verdammt!« sagte er laut. »O verdammt! Und ich habe gedacht, es sei nun endgültig vorbei.«

Er sah noch einmal auf das hingeworfene Kleid, lief dann zurück zu seiner Kabine, blickte kurz hinein und stellte fest, daß Erika in tiefem Schlaf lag. Leise schloß er die Tür und ging, mit nagender

Eifersucht im Herzen, die ihm sogar das Atmen schwermachte, hinauf an Deck.

Die Kapitänskabine war hell erleuchtet. Musik scholl durch die geschlossenen Fenster, Lachen und Singen. Sonst war alles still an Bord. Nur an einem der Rettungsboote stand ein Mann, beugte sich über die Reling und würgte. Seekrank. Als Liebhaber Marions kam er nicht in Betracht.

Karl Haußmann ging weiter. Das sogenannte Sonnendeck, das Spieldeck, das Ladedeck mit den vertäuten Autos. Alles still, dunkel, unwirklich unter dem Nachthimmel und auf dem rauschenden Meer.