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»Schwindel oder Rettung für Millionen?«

»Ärzte warnen: Es gibt kein >Wundermittel<!«

»Gutachterkommission fordert: Verbot für HTS!«

Hellberg hatte die Zeitungen auf den Kleiderschrank gelegt, damit Claudia sie nicht fand, wenn sie am Morgen zu ihm kommen würde.

Der Kampf hat begonnen, dachte er. Die Experten zerfleischen sich bereits. Neid und Unwissenheit, Borniertheit und Hochmütigkeit fallen wieder übereinander her. Leidtragende sind die Kranken, denen niemand mehr hilft. Aber wen kümmert das? Das >wissen-schaftliche Gesicht< der Experten ist wichtiger.

Morgen werden auch wir in Sarajewo sein. Wie Hunderte vor uns werden wir am Haus auf der Straße und im Treppenhaus des Dr. Zeijnilagic Schlange stehen und um 20 Kapseln HTS bitten. Auch wenn es ein Verbrechen ist, wie die Gegner schreiben.

Ist Hoffnung ein Verbrechen?

Aus dem Hafen lief das Fährschiff nach Bari aus.

Morgen früh würde es an der Molo Foraneo anlegen, und vierzig, fünfzig Augen würden es anstarren und die Hände falten.

Das Schiff der Hoffnung.

Solange es Hoffnung gibt, ist der Mensch nie allein.

Das Alleinsein aber ist die erste Stufe des Todes.

Kapitel 10

Die beiden Wagen quälten sich durch Staub und aufwirbelnde Steine die bergige Straße hinauf. Die Felsen links und rechts waren fast kahl, von der Sonne ausgeglüht. Vereinzelt sah man Dächer, Ansammlungen grauer, aus Felsgestein gebauter Häuser - Dörfer, zu denen nur enge Pfade führten. Man fragte sich, wovon diese Menschen dort lebten, ob sie Steine aßen und aus hartem Gras Kuchen backten. So öde war das Land, so steinig und hart der Boden, daß man verstand, warum die Frauen in schwarzen Kleidern gingen. Sie trauerten darum, daß sie lebten.

Nach drei Stunden Fahrt hielt der schwere Rolls Lord Rockpourths zum viertenmal. Aber diesmal war es nicht der Durst, sondern der Chauffeur stieg aus dem Wagen, nahm die Mütze ab und sagte in steifer, britischer Art:

»Mylord, eine Panne. Ich glaube, ein Zylinder fällt aus.«

Haußmann bremste scharf, denn der Wagen Lord Rockpourths war unmittelbar hinter einer Kurve stehengeblieben, und um ein Haar wäre Haußmann aufgeprallt.

»Kreuzdonnerwetter!« schrie er. »Was ist denn? Wenn das so weitergeht, sind wir erst Weihnachten in Sarajewo!«

»Karli.«, sagte Erika sanft und legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. Seit einer Stunde verfiel sie zusehends. So jung und frisch sie bei der Abfahrt am Morgen von Dubrovnik ausgesehen hatte, so erschreckend alt wirkte sie jetzt. Sie lag halb auf den Hintersitzen, hatte das Kleid geöffnet, ihre Haut wirkte fahl und grau, und der seidige Glanz ihrer rotbraunen Haare war verschwunden. Stumpf und leblos war das Haar.

»Reg dich nicht auf«, sagte sie mit mühsam fester Stimme. »Er ist doch schwer krank.«

»Was geht mich der Lord an?« rief Haußmann und drückte mehrmals auf die Hupe. »Dich bringe ich nach Sarajewo, nicht ihn! Um dich geht es, verdammt noch mal!« Er beugte sich über die Lehne und streichelte Erika über das graue Gesicht. »Wie geht es dir denn, Rika? Wieder Schmerzen?«

»Ein wenig.« Sie lächelte krampfhaft und nickte ihm zu. »Aber es geht schon. Man kann sie ertragen. Ich nehme gleich eine Tablette.«

Marion stieg aus dem großen Rolls und kam auf Haußmanns Mercedes zu. Ihr wiegender Gang war aufreizend und provozierend. Neben dem Rolls verhandelten der junge Lord und der Chauffeur.

»Sie sollten Ihrem Patienten einen Schlauch ansetzen, wenn er dauernd Durst hat!« rief Haußmann aus dem heruntergekurbelten Fenster. »Himmel, wann sollen wir denn in Sarajewo sein?«

»Heute nicht mehr.« Marion hob die schönen Schultern. »Ein Zylinder ist kaputt! Der Wagen läuft nicht mehr.«

»So ein Blödsinn! Hat acht Zylinder. Auf sieben Pötten läuft der Kahn immer noch 100!« Haußmann stieg aus seinem Wagen und knallte die Tür zu. »Sollen wir hier Steinchen sammeln und Backebacke-Kuchen spielen?«

»Der Chauffeur sagte, wenn er weiterfährt, überlastet er die anderen Zylinder so stark, daß am Ende der ganze Motor kaputt ist. Ein Rolls sei nicht für solche Straßen gebaut.« »Es ist zum Heulen!« Haußmann ließ Marion stehen und lief zu dem jungen Lord. Er kam an, als der Chauffeur gerade zum letztenmal dargelegt hatte, daß er ein Auto, das er seit zehn Jahren wie einen eigenen Sohn pflegte, nicht zuschanden fahre.

»Es hat gar keinen Sinn, weiter darüber zu reden, Sir«, sagte der junge Lord Robert. »Der Wagen muß abgeschleppt werden. Die nächste Stadt ist Mostar. Dort werden wir vielleicht ein Fahrzeug bekommen, das meinen Onkel weitertransportiert nach Sarajewo. Und wenn's ein Lastwagen ist.«

»Robert!« tönte eine zitternde Stimme aus dem Rolls. »Zum Teufel! Robert!«

»Er wacht immer zur unrichtigen Zeit auf«, sagte der junge Lord seufzend. »Ja, Onkel James?«

»Umladen!«

»Wohin?«

»In den Wagen von Mr. Haußmann. Ich hinten, die gnädige Frau vorn.«

»Aber Onkel James.«

»Ruhe! Ihr bleibt hier stehen und seht, wie ihr weiterkommt! Soll ich im Straßengraben verrecken? Das könnte euch so passen. Wie einen räudigen Hund mich sterben lassen. Ha! Umladen, sage ich!«

Der junge Lord sah Haußmann achselzuckend an. Er trat ein paar Schritte vom Wagen weg und winkte Haußmann, zu ihm zu kommen.

»Was sollen wir machen?« sagte er leise. »Ich kann Ihnen doch unmöglich Onkel James allein mitgeben. Parker und ich, wir kommen schon weiter. Aber Miß Marion? Doch das ist typisch mein Onkel. Er kennt keine Rücksichten.«

»Eines ist klar: Wir können nicht hier stehenbleiben«, sagte Haußmann laut. Er bezwang sich, nicht zu brüllen, obwohl ihm danach zumute war. »Ich muß nach Sarajewo. Meiner Frau geht es wieder schlechter. Sie hat Schmerzen. Sie muß sofort in ärztliche Behandlung. Ich kann es mir nicht leisten, auch nicht für Ihre lächerlichen 10.000 Pfund, das Leben meiner Frau zu gefährden, nur weil Ihr Onkel einen Dickkopf hat.«

»Wenn nichts geschieht, das wissen Sie, schiebt er mir die Schuld zu und enterbt mich. Das Testament tragen Sie ja in der Brusttasche.«

»Wenn Sie wollen, zerreiße ich es und werfe es die Schlucht hinunter!« schrie Haußmann.

»Das ändert gar nichts.« Der junge Lord hob die Schultern. »Wir haben nun einmal eine Aufgabe übernommen, und es ist die Pflicht eines Gentleman, sie zu Ende zu führen. Ich nehme an, Sir, Sie sind ein Gentleman!«

Haußmann hatte eine unhöfliche, ja unschickliche Bemerkung auf den Lippen, aber er schluckte sie hinunter.

»Gut. Was soll geschehen?« fragte er heiser.

»Wir laden Onkel James wirklich um, und Sie fahren ihn nach Sarajewo. Parker, Miß Marion und ich werden uns bis Mostar durchschlagen und mit dem nächsten Gefährt nachkommen. Ich nehme an, daß auf dieser Straße mehr als zwei Autos am Tage fahren.«

»Bitte!« Haußmann hob resignierend die Schultern. »Laden wir um. Mir ist schon alles Wurscht. Wenn es nur schnell geht.«

Und es ging verhältnismäßig schnell. Parker, der Chauffeur, der junge Lord, Haußmann und Marion trugen Lord Rockpourth in Haußmanns Mercedes, betteten ihn auf die Hintersitze, stopften den Raum zur Rückenlehne der Vordersitze mit Kissen und Koffern aus, damit der Lord nicht herunterrollte in den Kurven oder beim scharfen Bremsen herumgeschleudert wurde, und dann saß Haußmann wieder hinter dem Steuer, fuhr mit verbissenem Gesicht an und reagierte nicht auf das Winken der Zurückbleibenden.

»Das war eine gute Idee«, sagte hinter ihm Lord Rockpourth und kicherte heiser. »Jetzt schwitzt der Junge Blut, denn er weiß nicht, was wir alles besprechen werden.«