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Haußmann nickte. Noch glaubte er nicht, was er da hörte. Noch war alles so erschreckend einfach, so lächerlich normal. Es war wie das Erwachen aus einem Alptraum, in den man sich hineingewühlt hatte, und nun erwacht man und sieht, daß die Sonne scheint und die Blumen blühen.

»Erika ist gar nicht todkrank?« sagte er kaum hörbar.

»Nein.« Professor Kraicic schüttelte energisch den Kopf. »Um alle späteren Komplikationen zu vermeiden, eben die Bildung eines Karzinoms, machte Dr. Dravo jetzt eine abdominale Uterusexstirpation. Kinder wollen Sie ja nicht mehr.«

»Nein, nein«, stammelte Haußmann. »Unsere Kinder sind schon groß . erwachsen.«

»Dann sehe ich keinerlei Anlaß zur Sorge.« Der Professor ging auf Karl zu und klopfte ihm freundschaftlich und ermutigend auf die Schulter. Nichts ist für einen Mann tröstender als solch ein Schulterklopfen. »Ihre Frau wird wieder völlig gesund, und ich wünsche Ihnen, daß Sie beide über hundert Jahre alt werden ... übrigens bei uns in den Bergen gar keine Seltenheit.«

Während im OP ein gut eingearbeitetes Ärzteteam unter Leitung von Oberarzt Dr. Dravo das Myom entfernte, bemühten sich zwei Ärzte um die lebende Mumie, die in einem kleinen Zimmer neben der Aufnahme auf der Trage lag, mit wachen Augen alles aufnahm, sich aber weder rühren noch sprechen konnte.

Ratlos standen die Ärzte um das mit Haut überzogene Gerippe, bis Professor Kraicic kam. Karl Haußmann begleitete ihn. Er wollte der Enge des Zimmers und dem Warten entfliehen und hing sich an den Professor wie eine Klette.

»Wen haben Sie da mitgebracht?« fragte Kraicic. »Will der auch zu Dr. Zeijnilagic?«

»Ja. Es ist Lord James Rockpourth. Seit Jahren fährt er zu allen Krebsärzten der Welt. Was daraus geworden ist, sehen Sie. Sarajewo und das HTS sollen seine letzte Station sein.«

Haußmann sah in den Augen des Lords Zorn aufglimmen, aber der Mund verschloß jeden Ton, den er so gern sagen wollte.

Professor Kraicic beugte sich über den Mumienkopf, schob die unteren Lieder herunter, sah Lord Rockpourth tief in die wütenden

Augen und nickte.

»Zimmer 2a«, sagte er. »Lassen Sie eine Calcium-EnzymInfusion vorbereiten. Ich komme gleich.«

Man rollte den starren Lord Rockpourth aus dem Zimmer und deckte ihm ein Handtuch über den Kopf, damit Besucher, die das Krankenhaus betraten, nicht sofort durch diesen Anblick geschockt würden.

»Erzählen Sie mir von dem Lord«, sagte Professor Kraicic und steckte sich wieder eine Zigarette an.

»Da kann ich wenig erzählen.« Haußmann hob die Schultern. »Wir lernten uns auf dem Schiff kennen, und auf einmal hatte ich ihn im Gefolge. Sein Wagen hat eine Panne. Chauffeur, sein Neffe Robert und meine Sekretärin werden bald nachkommen.«

»Sehr gut. Mir scheint nämlich, daß der Lord nichts anderes ist als das Opfer einer falschen Ernährung. Vor allem fehlt ihm in hohem Maße Calcium. Seine Starrheiten sind ausgeprägte Pseudo-Tetanien. Ein Wunder, daß der Mann noch lebt. Er muß das Herz eines Bullen haben.« Der Professor sah Haußmann plötzlich mit schräg geneigtem Kopf an. »Sie reisen mit Ihrer Sekretärin?« fragte er etwas gedehnt.

»Ja.« Haußmann starrte an Kraicic vorbei gegen die Wand. Er fühlte, wie er rot wurde, und das ärgerte ihn maßlos.

»Hm.« Der Professor rauchte einen tiefen Zug. »Ich möchte es noch einmal sagen, Herr Haußmann: Ihre Frau wird gesund. Wir verstehen uns?«

»Ja«, sagte Haußmann ganz leise.

Und er schämte sich zum viertenmal.

Der erste Helfer, der bei dem großen Rolls hielt und die drei Wartenden befreite, war ein Ochsenfuhrwerk. Neffe Robert und der Chauffeur hatten den Wagen etwas von der Kurve weggerollt. Nun saßen sie alle im spärlichen, harten, von der unbarmherzigen Sonne vergilbten Gras, aßen Melonen Scheiben, die ihnen das Hotel in einem Verpflegungspäckchen mitgegeben hatte, tranken kalten Tee aus einer Thermosflasche und lauschten auf ein rettendes Motorengeräusch.

Marion Gronau faßte das Ganze als eine willkommene, romantische Unterbrechung der langweiligen Reise auf. Sie lag im Gras, das Kleid war an ihren schönen Schenkeln emporgerutscht, und sie machte keinerlei Anstalten, es wieder herunterzuziehen. Im Gegenteiclass="underline" Sie öffnete noch zwei Knöpfe des blusenartigen Oberteils auf, und der junge Lord hatte die Auswahl, was er mehr bewundern sollte -die weißen, langen Beine oder denn prallen Brustansatz.

»Was wollen Sie einmal werden, Bob?« fragte sie und räkelte sich. »Sie haben studiert?«

»Ja, Miß Marion. Soziologie.«

»Das ist doch so etwas wie Politik.«

»Gesellschaftslehre.«

»Und was wollen Sie damit anfangen?«

»Ich werde einmal einen Platz im Oberhaus bekommen, Miß Marion. Außerdem werde ich die Güter meiner Familie verwalten und Golf spielen.«

»Ist das auch ein Beruf?« fragte Marion anzüglich.

»Natürlich! Englands ökonomischer Blick wird beim Golfspiel trainiert. In den Pausen werden die Geschäfte abgeschlossen.«

»Und wenn Ihr Onkel James Sie wirklich enterbt?«

Neffe Robert lächelte mokant. »Ich bin sein einziger Erbe. Wer die englische Familientradition kennt, hat vor solchen Drohungen keine Angst.«

»Sie werden also einmal sehr reich sein?«

»Reich sein ist relativ.« Robert Rockpourth warf sich neben Marion in das harte, staubige Gras. »Ein Mann, der an einem schottischen See sitzt und angelt, kann reicher sein als ein Bankier in der City; denn allein die Zeit, dort zu sitzen und zu angeln, muß durch Reichtum erworben sein! Und dabei kann es ein Streckenwärter der Bahn sein. Verstehen Sie?«

»Nein«, sagte Marion ehrlich.

»Macht nichts.« Robert lächelte in den weißblauen Sommerhimmel. »Die meisten Menschen glauben, Reichtum sei es, Kisten voll Geld zählen zu können.«

»Genau so denke ich auch.«

Die Hitze war einschläfernd. Marion dehnte sich, eine wohlige Müdigkeit überkam sie, und sie fühlte, wie sie langsam wegglitt in den Schlaf. Doch bevor sie ganz versank, wurde sie wieder hellwach, denn über ihr wurde es dunkel, ein Schatten fiel auf sie, und dann spürte sie einen Kuß, schüchtern und doch voll Begehren.

Ebenso schnell war die Sonne wieder da. Sie hörte ein leises Seufzen und neben sich das Rascheln des trockenen Grases.

»Oh.«, sagte sie mit kindlicher Stimme. Sie breitete die Arme aus und wußte, daß jetzt auch ihr Ausschnitt auseinanderklaffte. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah in die blauen Augen von Robert Rockpourth. »Ich habe geträumt. Ein schöner Traum. Ich wurde geküßt.«

»So etwas träumt man manchmal.« Neffe Robert kaute an der Unterlippe. »Das macht die Sonne, Miß Marion.«

»Es war ein Märchenprinz, der mich küßte.« Sie blinzelte zu ihm hin. »Können Sie sich vorstellen, daß ein Prinz eine arme Sekretärin küßt?«