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»Ich habe einen guten Prokuristen. Verdammt noch mal, soll ich mich kaputtarbeiten? Soll es immer so weitergehen: du zu Hause allein und ich hinterm Schreibtisch? Und dann kommt man kaputt nach Hause, schlingt sein Essen runter und ist mürrisch und ungerecht. Nein, Rika. Jetzt wollen wir leben; jetzt, wo ich endlich gelernt habe, wie schön es ist, mit dir zusammenzusein.«

Erika hob die Hand und legte sie auf den Kopf ihres Mannes. Sie war so leicht, diese Hand, aber für Haußmann war es, als laste ein Zentnerblock auf seinem Nacken.

»Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast, als wir heirateten?«

»Ja.« Haußmann schluckte. Dieser Kloß im Hals! »Unsere Hochzeitsreise machen wir nach Venedig. So, wie es alle verliebten Paare erträumen. - Aber wir hatten nie Zeit dazu.«

»Nun haben wir Zeit.«

»Ja, Rika. Nun haben wir sie. Wann sollen wir nach Venedig fahren?«

»Gleich von hier aus, Karl. Wenn ich entlassen werde.«

»Ich verspreche es dir, Rika.« Haußmann nickte und streichelte ihr eingefallenes, von den langen Schmerzen fahles Gesicht. »Ich bin so glücklich, daß alles so gekommen ist. Es ist mir, als seien sechsundzwanzig Jahre nicht vergangen und wir hätten eben erst geheiratet und schmiedeten Pläne für die Zukunft.«

»So müßte es immer sein, Karli«, sagte Erika. Sie schloß wieder die Augen. Eine wohlige Müdigkeit glitt über sie. Sie spürte die streichelnden Finger ihres Mannes, und unter diesem seligen Gefühl schlief sie ein.

AufZehenspitzen verließ Haußmann das Krankenzimmer und zog hinter sich ganz leise und langsam die Tür zu.

»Wie geht es ihr?« fragte eine helle Stimme. Haußmann fuhr wie nach einem Boxhieb in den Rücken herum. Marion Gronau saß in einem Flechtsessel in einer Ausbuchtung des Ganges und ließ ihr goldblondes Haar in der Sonne leuchten. Sie sah berückend aus. Braungebrannt, in einem engen Kleid, die Lippen grellrot geschminkt, die Augenbrauen dunkel nachgezogen. Ein Bild aus einem MännerMagazin.

»Wo kommst du denn her?« fragte Haußmann rauh.

»Aus Sarajewo, Bärchen.«

»Seit wann bist du hier?«

»Seit zwei Stunden. Der junge Lord Robert hat mich mitgenommen, aber dann geschahen anscheinend wunderliche Dinge, denn Robert verabschiedete sich vor einer halben Stunde von mir, sagte: >Leben Sie wohl, Marion. Es ist schade, daß die Zeit zu kurz war, um uns näher kennenzulernen...< und ging davon, als käme er nicht mehr zurück. Nun sitze ich hier wie das verlaufene Rotkäppchen und hoffe, daß mein Bärchen nicht wie der Wolf ist, der es frißt.«

»Laß diesen Blödsinn! Benimm dich doch nicht wie ein Kind! Was willst du hier?«

»Welche Frage!« Das Puppengesicht Marions veränderte sich. Es wurde >dienstlich<. »Ich hocke hier in dieser heißen, alten, nach Ziegen stinkenden Stadt, statt in Rimini am Strand und in deinen Armen zu liegen, wie du es mir versprochen hast. Und da fragst du noch.«

In Karl Haußmann war nichts mehr, was ihn an Marion Gronau band. Er sah zwar ihre golden leuchtenden Haare, er sah ihre in dem engen, tiefausgeschnittenen Kleid kaum verhüllten, straffen Brüste, er sah ihre langen, schlanken Beine, aber sie hatten auf ihn keine Wirkung mehr. Er wurde nicht unruhig, sein Herz begann nicht zu zucken, seine Gedanken kreisten nicht mehr wollüstig in Vorsünden. Kühl betrachtete er sie und schob die Unterlippe etwas vor.

»Du sollst haben, was du willst«, sagte er geschäftsmäßig. Er griff in die Tasche und holte einige Geldscheine heraus. »Das wird reichen für eine Überfahrt nach Italien, für zwei Wochen Rimini und die Rückkehr nach Gelsenkirchen. Und wenn du mehr Kapital brauchst: Es wird dir nicht schwerfallen, gewisse Dinge in Münze umzusetzen.«

»Du bist ein ganz gemeiner, mieser Bursche«, sagte Marion gefährlich leise.

»Ich wünsche dir eine gute Fahrt«, erwiderte Haußmann steif.

»Du schiebst mich also ab?«

»Ich ziehe einen Strich.«

»Aus also?«

»Ja.«

»Aber dann für immer!«

»Natürlich.«

»Wenn du in Gelsenkirchen mich wieder in dein Büro rufen läßt . ich schlage dir ins Gesicht.«

»Dazu wird es nie kommen.« Haußmann legte die Geldscheine vor Marion auf den kleinen, runden Blumentisch. »Wenn du nach dem Urlaub in den Betrieb kommst, wirst du deine Kündigung vorfinden.«

»Ich habe einen Dreijahresvertrag als Chefsekretärin!«

»Man wird dich auszahlen.«

»Wie nobel! Also endgültig Schluß?«

»Ja.«

Marion raffte das Geld zusammen und schob es in ihre Handtasche. »So schiebt man eine alternde Hure ab«, sagte sie laut.

»Zwinge mich bitte nicht dazu, dir darauf eine Antwort zu geben.« Haußmann sah sie noch einmal an. Ganz kurz leuchtete die Erinnerung auf, der lächerliche Bocktanz eines alternden Mannes. Da wurde sein Gesicht hart, und Marion wußte, daß zwischen ihnen jetzt eine unüberbrückbare Kluft war. Es hatte keinen Sinn mehr, zu reden und zu vermitteln. »Leb wohl«, sagte sie gepreßt.

»Gute Fahrt.«

»Bärchen.«

»Bitte?« Haußmann drehte sich noch einmal um. Seine Augen waren fremd.

»Ich habe dich wirklich geliebt.«

Stumm wandte sich Haußmann ab und ging den langen weißen Gang entlang zum Fahrstuhl. Er fuhr hinunter ins Parterre, zu Zimmer 2a, wo Lord Rockpourth auf ihn wartete, um ihm zu erzählen, daß er gar keinen Krebs habe und daß alle Ärzte Dummköpfe seien.

Meliha, das schlanke, kindhafte Mädchen, führte Frank Hellberg in das geräumige Wohnzimmer. Durch ein hohes, großes Fenster, vor das tagsüber eine Sonnenblende aus hellgrünem Plastik hängt, fiel der Blick auf die Straße und den Fluß Miljaca. Ein ovaler Eßtisch stand in der Mitte des Zimmers, bedeckt mit einer Samtdecke. Darüber hatte man zum Schutz gegen Flecken eine durchsichtige Plastikdecke gezogen. Sechs Stühle standen um den Tisch, eine Dek-kenlampe gab warmes, aber nicht das ganze Zimmer ausfüllendes Licht. Rechts neben der Tür stand ein Tischchen mit einem modernen Radiogerät. Hellberg mußte unwillkürlich lächeln. Ein deutsches Gerät. Grundig. Die Wände des Zimmers waren blaugetüncht. Eine Couch stand an der Längswand, eine zweite Couch unter dem Fenster. Über beiden lagen dunkelrote, orientalische Decken und viele Kissen mit Samtbezügen. Sie waren mit leuchtenden Farben reich bestickt. Eine goldene Schrift fiel Hellberg sofort auf. Souvenir of Lybia< stand auf einem der Kissen. Der Fußboden war mit Linoleum in Parkettmuster ausgelegt. Darauf lag ein maschinengewebter Orientteppich. An den Wänden hingen Bilder. Gerahmte Koransprüche in arabischer Sprache, Bilder aus Mekka, Surentexte, arabische religiöse Darstellungen. Über der Couch an der blauen Wand mit den stilisierten Blütenmustern hing ein gewebter Wand-behang: Ein orientalischer Palast im Mondschein, den zwei Reiter flüchtend verlassen. Der eine Reiter preßte eine geraubte Frau in seine Arme, der andere, der Verfolger, jagte ihnen nach mit einem altertümlichen Vorderlader in der Hand, bereit, den Frauenräuber niederzuschießen.

Über den Tisch verstreut standen kristallene Aschenbecher und Vasen mit künstlichen Blumen. Nelken aus Plastik. Ein Kamel marschierte über den Tisch, so sah es aus - aber es war nur ein Feuerzeug. Drückte man auf den einen Höcker, sprang der zweite auf und gab die Flamme frei. Ein Kamel, aus Silber geschmiedet.

Frank Hellberg hatte dies alles mit wenigen Blicken erfaßt. So wohnt ein Genie, dachte er, und war über diese Bürgerlichkeit sehr enttäuscht. Hier soll ein Mittel entdeckt worden sein, das man ein Wunder nennt?

An dem ovalen Tisch saß die ganze Familie. Dr. Fahrudin Zeijnilagic hatte sich sofort erhoben, als seine Tochter Meliha den Besucher ins Zimmer führte. Er war ein großer, stattlicher Mann mit markantem Gesichtsschnitt, der beherrscht wurde von einer starken, spitzen Nase. Über einer hohen Stirn wellte sich volles, schwarzbraunes Haar. Eine leichte Schläfenglatze war geschickt von einer großen Locke bedeckt. Als er Hellberg die Hand gab, war der Druck kräftig und selbstbewußt. Die dunklen Augen blickten Hellberg ruhig und doch forschend an.