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Dr. Zeijnilagic schüttelte den Kopf. »Es ist gar kein Wunder, mein junger Freund. Es ist kein Geheimnis, woraus HTS besteht. Lauter bekannte Drogen: Chinin, Natriumtiosulfat, Kampfer, Prokain und Koffein-Natrium Benzoat. In minimalen, aber genau zueinander ausgewogenen Quantitäten. Hier liegt allein das ganze Geheimnis! Es ist wie das Salz in der Suppe - richtig dosiert, gibt es der Suppe Würze, falsch dosiert, versalzt es alles oder geht geschmacklos unter. Ich brauchte sechzehn Jahre, um die richtige Dosierung zu finden . es wäre ein Unglück für die hoffenden Krebskranken, wenn nochmals sechzehn Jahre vergehen müßten, ehe man diese Dosierung als richtig bestätigt. Ich sage es erneut: Ich wäre glücklich, wenn

Deutschland sich in die große Überprüfung einschalten würde. Ich bin bereit, deutschen Arzneimittelfabriken mein HTS zu überlassen. Aber man soll mich nicht verdammen, einen Scharlatan nennen. Es ist mir nur gelungen, eigene und fremde Erfahrungen auszusieben und zu kombinieren. Und ich habe nie behauptet, Krebs heilen zu können, sondern ich habe immer gesagt: Ich kann helfen, die Leiden zu lindern. Ich kann den Krankheitsverlauf beeinflussen, ich kann mit HTS in Verbindung mit einer PolyvitaminTherapie erreichen, daß die Schmerzen schnell nachlassen, die Darmfunktion verbessert wird, der Appetit wiederkommt, die Krankheit an sich zurückgeht, der Kranke neuen Lebensmut schöpft und eigene Abwehrstoffe aktiviert . und gibt es dann eine Heilung, so sollte man Gott danken und nicht von Betrug reden!«

Hellberg nickte zustimmend. Dieser Mann ist ein Geschenk Gottes, dachte er. Er wird Claudia heilen und Frau Haußmann, Lord Rockpourth und viele andere Hoffnungslose. Und es war gut, daß Hellberg in dieser Minute nicht wußte, was sich in Wahrheit ereignet hatte.

»Man hat das HTS verboten«, sagte er, »aber das Volk wird auf die Barrikaden gehen. Glauben Sie es mir, Doktor. Und ich gehe mit.«

Dr. Zeijnilagic hob ein wenig müde die Hände. »Morgen wird eine Abordnung von Krebskranken und deren Angehörigen von Marschall Tito empfangen. Sie werden ihn um Wiederzulassung des HTS bitten und eine weitere Überprüfung des Präparates. Und vor meinem Haus wird man Unterschriften sammeln für einen großen Protest.«

»Das wird helfen!« rief Hellberg. »Das wird die Augen in aller Welt öffnen!«

»Nein.« Dr. Zeijnilagic setzte sich wieder und legte seine Hand auf den Arm seiner alten Mutter Naifa, der Pilgerin nach Mekka zum Grabe des Propheten. »Im Gegenteil . man wird es mir übelnehmen und mich einen Marktschreier nennen. Warten wir den Morgen ab.«

Wie benommen ging Frank Hellberg später zu Fuß in sein Hotel zurück.

Morgen, dachte er. O nein ... in ein paar Wochen. Wenn er Claudia heilen kann, wird es meine Lebensaufgabe sein, der Welt zu verkünden, daß der Krebs, die Geißel unserer Menschheit, seinen Schrek-ken verloren hat, wenn die Menschheit es nur will.

An Claudia Torgiano sollte es bewiesen werden, wie vor vier Jahren an der jugoslawischen Ärztin Dr. Zlata Babic. Wie ein Sieger betrat Hellberg die Halle des Hotels Beograd. Der Nachtportier wartete schon auf ihn. Ein Anruf aus Mostar war notiert worden. Karl Haußmann hatte alle Hotels Sarajewos angerufen, bis er Hellbergs Quartier fand.

»Please.«, sagte der Nachtportier.

»Kommen Sie zurück nach Mostar«, las Hellberg mit immer ratloseren Augen. »Erika ist operiert worden. Es war kein Krebs. Auch der Lord soll keinen haben. Lassen Sie Claudia hier untersuchen. Das HTS ist vielleicht ganz falsch für uns.«

Langsam, wie gelähmt, ließ sich Hellberg in einen der Sessel der Hotelhalle gleiten. Der Zettel flatterte auf den schönen, roten Teppich.

»Das durfte nicht kommen«, sagte er leise. »Das hebt eine ganze Welt der Hoffnung aus den Angeln.«

Und er beschloß, in Sarajewo zu bleiben. Gerade weil es um Claudia ging und er blindes Vertrauen zu Dr. Zeijnilagic hatte.

Mit einem schweinsledernen Koffer und einer Umhängetasche stand Marion Gronau in der großen Hotelhalle des neuen Bahnhofes in Sarajewo und wartete auf den Schnellzug nach Zagreb. Er wurde in Sarajewo eingesetzt und fuhr über Ljubljana nach Villach und von dort durch Österreich nach München.

Marions Ferienabenteuer war beendet, und mit ihm auch ein Lebensabschnitt. In Gelsenkirchen erwartete sie die Kündigung, und sie hatte nicht die Absicht, dagegen Protest zu erheben oder vor dem

Arbeitsgericht zu klagen. Zuviel schmutzige Wäsche würde dann gewaschen werden; niemandem nützte es, bei allen bliebe höchstens ein dunkler Fleck auf der Weste zurück.

Wie sie jetzt auf dem Bahnsteig stand und mit Hunderten Jugoslawen, meistens Moslems, aufden Zug wartete, kam sie sich elend und ungerecht behandelt vor. Wie eine Ausgestoßene war sie. Hauß-mann hatte sie von Mostar weggehen lassen, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Dreimal hatte sie noch versucht, ihn zu sprechen, aber er verkroch sich in das Krankenzimmer Erikas, das ihm jetzt wie eine Festung war. Auch aufeinen Zettel, den sie einer Schwester mitgab, reagierte er nicht: Abfahrt nach Sarajewo 12.42 Uhr.

Karl Haußmann kam nicht zum Bahnhof. Bis zum Abfahrtspfiff hatte Marion gewartet und immer wieder auf die Eingänge gestarrt, und auch als der Zug nach Sarajewo schon fuhr, stand sie am offenen Fenster und suchte nach Haußmann.

In Sarajewo erkundigte sie sich sofort nach Frank Hellberg. Da nur wenige Hotels in Frage kamen, fand sie ihn schnell im Hotel Beograd. Aber auch Frank Hellberg war nicht auf seinem Zimmer. »Er ist bei Dr. Zeijnilagic«, sagte der Portier und musterte die auffällige Blondine. Portiers in Hotels haben ein gutes Auge, sind Psychologen und haben einen sechsten Sinn. Hier ist eine Komplikation zu befürchten, dachte der Portier und dachte an die zarte, blasse Claudia Torgiano. »Soviel ich weiß, will sich Herr Hellberg mit Signo-rina Claudia in eine Privatklinik begeben.« Das war gelogen, denn in Sarajewo gab es gar keine Privatklinik, die unter Leitung Dr. Zeijni-lagics stand. So etwas gibt es in ganz Jugoslawien nicht, denn die Gesundheit ist staatlich. Aber wer weiß das?

»Wann kommt Herr Hellberg wieder?« fragte Marion. Sie war müde von der Fahrt durch den heißen Sommertag.

»Ganz unbestimmt«, sagte der Hotelportier.

»Wenn er zurückkommt, geben Sie ihm bitte einen Brief.«

Marion setzte sich in die Halle an einen der kleinen Tische und schrieb ein paar Zeilen. Dann ging sie zum Hotel Europa, wo Lord Rockpourth Zimmer bestellt hatte, und wartete. Sie blieb aufihrem

Zimmer, ließ sich das Essen hinaufbringen und kam sich ausgesprochen elend vor.

Als es Abend wurde und Frank Hellberg immer noch nicht gekommen war und auch nicht angerufen hatte, begann sie zu weinen. Gegen 22 Uhr telefonierte sie mit dem Hotel Beograd. Hellberg kam nicht ans Telefon. Er ließ sagen, daß er ihr eine gute Reise wünsche. Eine Brüskierung, die Marion wie einen Schlag ins Gesicht empfand.

Nun wußte sie, daß sie allein war. Völlig allein. Dieser Zustand würde zwar nicht lange andauern, denn dazu wirkte sie zu sehr auf Männer, aber es war beschämend, nun dazustehen wie ein Hund, den man von der Tür getreten hat.

Kurz vor der Abfahrt des Zuges nach Villach sah Marion die große Gestalt Hellbergs durch die Menschenmenge drängen. Seine blonden Haare schimmerten in der Sonne. »Hier!« schrie Marion aus dem Fenster. »Hier! Frank, Frank!« Sie winkte mit beiden Armen. Ein Schimmer Hoffnung glomm in ihr auf. Er kommt doch! Er läßt mich nicht wegfahren wie eine Aussätzige.

»Marion.« Hellberg stand unter dem Abteilfenster und reichte ihr die Hand hinauf. Sie ergriff sie mit beiden Händen und hielt sie fest.

»Das ist schön, daß du gekommen bist«, sagte sie mit Tränen in der Stimme. »Du läßt mich nicht einfach verschwinden.«

»Würde es dich gewundert haben, wenn ich es getan hätte?« fragte er ernst.