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»Nein.« Marion senkte den Kopf. »Ich habe vieles falsch gemacht, Frank.«

»Alles!«

»Ja. Ich habe einen Traum vom goldenen Glück geträumt.«

»Auf Kosten anderer. Das war gemein.«

»Ich weiß es, Frank.«

»Was wirst du nun tun?«

»Ich fahre so schnell wie möglich zurück nach Gelsenkirchen, packe meine Sachen und verschwinde. Eine Stellung ist leicht zu finden . ja, und das Leben geht dann weiter.« Sie hielt noch immer seine Hand umklammert und sah ihn jetzt aus ihren großen, blauen Augen traurig an. Augen, die ihn noch vor drei Wochen fasziniert und jünglingshaft verliebt gemacht hatten.

»Und du, Frank?«

»Ich fahre mit Claudia nächste Woche auch zurück nach Deutschland.«

»Du liebst sie?«

»Ja«, sagte Hellberg schlicht.

»Und dieser Dr. - Dr. Znei.«

»Zeijnilagic.«

»Ja. Er kann Claudia helfen?«

»Ich glaube nicht. Er hat sie heute untersucht, wir sind zum Krankenhaus gefahren und haben sie durchleuchtet und Röntgenaufnahmen gemacht.«

»Und sie hat Krebs?«

»Ja.« Hellbergs Gesicht wurde wie aus Stein. »Es ist einwandfrei Lungenkrebs. Sie sollte operiert werden . auch Dr. Zeijnilagic rät dazu. Er hat uns 20 Kapseln HTS gegeben. Nicht zur Heilung, sondern zur Vorbeugung gegen Metastasen. Heute hat Claudia die erste Kapsel genommen.«

»Dann wünsche ich dir . euch . viel Glück«, sagte Marion Gronau leise.

Die Bahnbeamten schrien den Zug entlang, die Türen klappten, vorne pfiff die Lokomotive.

»Und wenn Claudia sterben sollte.«, sagte Marion.

»Daran denke ich gar nicht.« Hellberg drückte ihre Hände. »Mach's gut, Marion! Und viel Glück im Leben.«

»Danke, Frank!«

Der Zug ruckte an. Marion Gronau winkte noch ein paarmal, dann trat sie zurück vom Fenster und schloß es mit einem Ruck. Es war ein Schlußstrich unter die Vergangenheit. Nun begann die Zukunft wieder. Aber es war nicht mehr so trostlos wie vor ein paar Minuten. Der Abschied von Frank Hellberg hatte ihr neuen Mut gege-ben. Ihre Niedergeschlagenheit war verflogen. Ich bin noch jung, dachte sie. Himmel, 23 Jahre - da beginnt doch erst das Leben!

Hellberg sah dem Zug nach, bis er zwischen den Bergen verschwand. Dann ging er zurück zur Straße und zu der dort wartenden Taxe. Claudia stieß die Tür auf, als sie ihn kommen sah.

»War's schlimm, Liebster?« fragte sie und lächelte, als brauche er Trost.

»Gar nicht.« Hellberg ließ sich neben Claudia auf die zerschlissenen und verblichenen Polster fallen. »Ein bißchen peinlich ist so ein Abschied fürs ganze Leben, aber Gott sei Dank ging es schnell.«

»Nun sind wir allein.« Claudia legte den Kopf an seine Schulter, und er legte den Arm um sie. »Nun gehören wir nur noch uns.«

»Uns ganz allein, Claudia.«

»Und ich werde gesund, nicht wahr?«

»Ja. Du wirst wieder ganz gesund.«

»Das haben die Ärzte im Krankenhaus gesagt?«

»Ja, mein Liebes.«

»Und auch Dr. Zeijnilagic?«

»Hätte er dir sonst die Kapseln HTS gegeben?«

»Und wenn ich wieder ganz gesund bin.«

»Ja, wir heiraten!« Hellberg beugte sich über ihr blasses Gesicht-chen und küßte sie auf die großen, braunen Augen. »Wer könnte dich so lieben wie ich!«

Die Taxe fuhr an. Ohne zu fragen, fuhr der Chauffeur aus Sarajewo hinaus zum Bergmassiv des Trebevic, zu den schattigen Wäldern und stillen Schluchten und den Berghütten Dobra Voda, Brus, Celina und Ravne ... den Wäldern der Verliebten, wie man in Sarajewo sagt.

Um die gleiche Zeit wanderte Marion Gronau durch den Zug zum Speisewagen. Alle Plätze waren besetzt, bis auf einen Doppelsitz, auf dem ein älterer Herr mit gelockten, melierten Haaren und einer goldenen Brille saß. Als er die suchend sich umsehende Marion bemerkte, sprang er auf und zeigte auf den freien Platz an seiner Seite: »Madame . wenn Sie mit der Gesellschaft eines alten Mannes vorliebnehmen wollen?«

Marion lächelte dankbar. Der gepflegte ältere Herr sprach französisch, aber er schien kein Franzose zu sein.

»Danke«, sagte Marion auf deutsch. Der Herr rückte noch mehr zur Seite.

»Eine Landsmännin!« rief er. »Das ist doppeltes Glück. Sie gestatten: Bronneck. Helmar von Bronneck aus Wiesbaden. Nun sind die kahlen, heißen Felsen da draußen nicht mehr so trostlos.«

Am Abend, hinter Villach, tranken sie schon zusammen Wein und waren sehr fröhlich. Das Leben geht weiter ... und es war für Marion Gronau immer angenehm.

Kapitel 12

In Mostar gingen vierzehn Tage wie im Fluge herum.

Erika erholte sich von der Operation erstaunlich schnell, vor allem, weil Professor Kraicic mehrmals eine Bluttransfusion gab und Erikas Widerstandskraft mit Injektionen von Hormonen und Vitaminen stärkte.

»Wie sind Ihre weiteren Pläne?« fragte er nach zehn Tagen Karl Haußmann.

»Wie Sie mir geraten haben: Ab nach Venedig, und vier Wochen Nichtstun und nur glücklich sein.«

»Und sonst.?« Professor Kraicic sah Haußmann fragend an, ein Blick von Mann zu Mann. »Auch alles in Ordnung?«

»Ja.«, antwortete Haußmann. Er kam sich mickrig vor diesem Arzt gegenüber, der ihn mit seinen gütigen und doch zwingenden Augen sofort durchschaut hatte. »Alles.«

»Ihre Sekretärin?«

»Ist bereits seit Tagen in Deutschland.«

»In Ihrem Betrieb?«

»Nein. In Wiesbaden. Sie hat gekündigt und tritt eine Stelle in einer Sektkellerei an, Baron von Bronneck.«

Professor Kraicic nickte. »Dann werden Sie das Wunder erleben, wie schnell ein Mensch heilen kann. Nicht nur die Operationswunde verheilt ... auch der seelische Schmerz.«

»Welch ein Glück, daß wir nicht allein dem HTS ausgeliefert waren«, sagte Karl Haußmann.

»Es hätte in diesem Fall wenig geholfen, nein, gar nichts. Aber es scheint doch, als wenn man dem Kollegen Zeijnilagic Unrecht getan hätte. Die staatliche Gesundheitsbehörde hat nach vielen Protesten, vor allem aus dem Ausland, die Herstellung der HTS-Kap-seln wieder freigegeben. Aber nun unter ständiger Kontrolle. Die chemische Fabrik Bosna-Lijek in Sarajewo, Blagoja Parovica, stellt sie jetzt her und gibt sie zu Forschungszwecken, aber auch an Patienten und Ärzte kostenlos ab.«

»Sie helfen also wirklich?« fragte Haußmann.

»Das müssen wir abwarten.« Professor Kraicic sah aus dem Fenster hinaus in den etwas staubigen, sonnendurchglühten Klinikgarten. »Ich habe auch einige hundert Kapseln kommen lassen. Ich habe neun inoperable Krebsfälle auf Station I. Eine wichtige Veränderung im Allgemeinbefinden haben wir festgestellt, und sie sind wertvoll für einen Krebskranken, dessen psychologische Betreuung mit am Anfang jeder Therapie steht: Das HTS regt den Appetit des Kranken an, fördert die Verdauung, hebt sein allgemeines körperliches Befinden und gibt ihm durch diese Kleinigkeiten neuen Lebensmut. Außerdem wirkt HTS schmerzlindernd und befreit den Kranken von starken Schmerzen ohne das Gift des Morphiums. Interessant ist, daß HTS auch hilft bei Ulcus, Gastritis chronica und rheumatischem Ischias. Natürlich müssen eingehende Kontrollen durchgeführt werden, deshalb ist es leichtsinnig, einem Kranken das Mittel ohne ärztliche Betreuung zu geben. Kommt erneut Fieber auf, zeigt sich Durchfall, läßt der Kranke innerhalb von vierundzwanzig Stunden weniger als einen halben Liter Urin, dann muß man unterbrechen. Außerdem soll man das HTS mit einer Hormon-Polyvitamintherapie unterstützen ... es ist nicht damit getan, daß man HTS nimmt wie ein Bonbon. Auch bei Wundermitteln braucht man den Arzt.«

»Und wenn der Arzt das Mittel ablehnt?«

»Dann ist er ein kurzsichtiger Arzt. Revolutionen in der Medizin beginnen nicht immer im Großlabor. Und Borniertheit hat noch keinem Patienten geholfen. Ich weiß.« Professor Kraicic hob die Hand, als Haußmann etwas entgegnen wollte. »Ich kenne die Trägheit der meisten Ärzte. Da hat man eine große Praxis mit täglich sechzig bis hundert Patienten, die man gar nicht individuell untersuchen kann. Und da legt man sich zehn Stammrezepte zu, die man verteilt. Ein bißchen Theater vorweg . Zunge zeigen, hier und dort drücken, Blutdruck messen, wenn's hoch kommt, Abhören mit dem Stethoskop ... und dann Rezept Nr. 7! - Ich weiß das alles, Herr Haußmann! Aber viel schuld ist Ihr System mit den Krankenscheinen. Das verleitet zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Individuum. Bei uns ist das anders. Wir sind Staatsbeamte. Das Gesundheitswesen ist staatlich. Die Behandlung der Kranken ist frei. Wir bekommen ein Gehalt. Die Jagd nach dem Krankenschein ist vorbei. Und wir haben Zeit und vor allem Interesse für den Menschen; wir brauchen nicht um eine volle Kartei zu ringen. Bei uns ist der Kranke nicht Inhaber eines Krankenscheins, der ein Vierteljahr Sicherheit für den Arzt bedeutet, sondern ein Teil unseres Volkes, das man gesundhalten muß. Damit das ganze Volk, unser Staat gesund bleibt.«