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Die große Schau war vorbei. Das Geschäft mit den Kranken ging rapide zurück. Der Reiz der Neuheit verblaßte. Das Ungewöhnliche verblühte. Übrig blieb ein Heilmittel, das ein Chemiekonzern herstellte wie andere Pyramidon oder Calcium; das man in die Hand bekam, ohne dafür ein Abenteuer zu erleben. Das >Wunder< wurde Alltag. Und der Name Dr. Zeijnilagic wurde vergessen.

Wenn man heute einen Arzt fragt, in Bonn oder Hamburg, München oder Offenburg, London oder Kopenhagen: Kennen Sie Dr. Zeijnilagic, dann wird er einen nachdenklich ansehen, in der Erinnerung suchen und dann den Kopf schütteln.

Strohfeuer einer Tagessensation oder Tragik eines Genies?

Wer kann das beurteilen?

Wir wissen nur eins: In aller Welt warten Millionen Krebskranke auf ihre Rettung.

Millionen hoffen.

Millionen sterben.

Jeder fünfte von uns stirbt an Krebs.

Warum ist die Menschheit nur so gleichgültig.?

Dr. Zeijnilagic trug diese Entwicklung mit der Ruhe des echten Moslems, dem alles Schicksal von Allah gesandt ist, eine göttliche Fügung, gegen die man sich nicht auflehnen kann. Er forschte weiter, er behandelte seine Zahnkranken, hielt Vorlesungen in der zahnärztlichen Fakultät, gab das HTS den wenigen Bittenden, die noch immer an seine Tür in der Obala-Straße 40, nahe der Princip-Brücke, klopften und sagten: »Bitte, bitte, helfen Sie mir. Mein Vater ... meine Mutter . meine Schwester . mein Kind. Erbarmen Sie sich, Doktor.«

Aber es waren nicht mehr viele. Die Nachricht über das Verbot war stärker haftengeblieben als die Meldung der Wiederfreigabe. Das Verbot brachten die Zeitungen in zwei-, drei-, oder gar vierspalti-gen Artikeln . die Freigabe war eine kleine Meldung irgendwo am Rande, wo man drüber wegliest.

»Was wollen Sie?« sagte Dr. Zeijnilagic, als sich Hellberg über diese Ungerechtigkeit aufregte. »Es steht dort veröffentlicht. Wenn mein HTS statt langsamer Heilungen plötzlich hundert Vergiftungstote gebracht hätte, dann stünde es wieder auf der Titelseite. Das Normale, mein Lieber, ist uninteressant.«

Er sagte es mit einem traurigen Lächeln, rauchte seine Zigarette und trank Tee.

Hellberg und Claudia verabschiedeten sich von ihm. Zwei Tage vorher hatte es ein Zusammentreffen zwischen Haußmann und Hellberg in Sarajewo gegeben. Da Frank nicht nach Mostar gekommen war, reiste Haußmann nach Sarajewo.

Sie trafen sich in der Bar des Hotels Europa. Nur sie allein. Erika war in Mostar geblieben und hörte sich die Komplimente von Lord Rockpourth an; Claudia blieb im Hotel Beograd und saß auf dem Balkon unter einem Sonnenschirm.

»Guten Tag, Frank«, sagte Haußmann und gab Hellberg die Hand.

»Guten Tag, Herr Haußmann.«

Sie sahen sich in die Augen und wußten, daß dies ihre letzte Begegnung war.

»Ich glaube, ich habe Ihnen einige Erklärungen abzugeben«, sagte Haußmann stockend und sah in sein Cocktailglas.

»Wegen Marion? Nein!«

»Ich will versuchen, Ihnen klarzumachen, warum das alles.«

»Wozu, Herr Haußmann?« Hellberg winkte ab. »Ich liebe Claudia, und wenn es vielleicht auch eine unglückliche, eine todgeweihte Liebe ist - von Marion wollen wir nicht mehr sprechen.« »Ich danke Ihnen, Frank.« Haußmann legte seine Hand auf Franks Arm. »Sie nehmen einen großen Druck von mir.«

»Das Geld, das Sie mir in Bari gaben.«

»Kein Wort mehr davon!« sagte Haußmann laut.

»Doch! Ich zahle es Ihnen ab.« Hellberg zog ein Telegramm aus der Tasche. »Bitte, betrachten Sie das als eine Art Schuldschein oder Sicherheit. Die Redaktion der in unserem Verlag erscheinenden Illustrierten hat die HTS-Story für eine große Serie aufgekauft. Die erste Folge habe ich schon geschrieben. Ich werde Ihnen das Geld in acht bis zehn Wochen zurückgezahlt haben.«

Haußmann nahm das Telegramm, überflog es und zerriß es. »Ich bin beleidigt, wenn Sie auch nur einen Pfennig schicken, Frank. Was wird mit Claudia?«

»Wir fahren nach Heidelberg. Dort soll sie operiert werden.«

»Schwerer Fall?« Haußmanns Stimme wurde leise. Hellberg atmete tief auf.

»Sicherlich kein leichter. Aber die Heilungschancen sind da, wenn keine Metastasen-Ausstreuung vorhanden ist. Das will Dr. Zeijni-lagic mit dem HTS verhindern. Ich glaube daran, daß es ihm gelingt.«

»Und Heidelberg, das ist klar?«

»Ich hoffe.«

»Sie haben noch keine Zusage, kein Bett, keinen Termin?«

»Nein.«

»Und die Kosten? Es wird ein paar tausend Mark verschlingen.«

»Ich habe das Honorar der Artikelserie.«

»Und wovon wollen Sie heiraten? Frank, Sie sind ein sturer Hund. Ich übernehme alles! Fahrtkosten, Operationskosten, ein Zimmer I. Klasse, eine sechswöchige Erholungsreise.«

»Nein!«

»Verdammt noch mal! Doch! Keine Widerrede! Ohne Sie, ohne alle die Verwicklungen in unserem Leben wären wir nie nach Mo-star gekommen, hätte ich nie wieder eine gesunde Frau bekommen. Das Schicksal geht oft komische und krumme Wege, aber man soll ihm immer dankbar sein.« Haußmann trank sein Glas aus und gab Hellberg beide Hände. »Frank, kümmern Sie sich nur noch um Ihre Claudia. Alles andere überlassen Sie mir! Wir werden uns, so nehme ich an, nicht mehr sehen, aber wir werden immer voneinander hören. Leben Sie wohl, Frank, und viel, viel Glück mit Ihrer Claudia, so wie ich es mit meiner Erika habe.«

»Herr Haußmann.« Hellberg wollte hinter Karl herlaufen, der aus der Bar hinausging. Dann besann er sich, blieb sitzen, trank noch einen doppelten Kognak und fuhr dann zurück zum Hotel Beograd.

Karl Haußmann hielt Wort. Nach drei Tagen traf aus Heidelberg, von der I. Chirurgischen Klinik, die Nachricht ein, daß ein Bett I. Klasse am 2. September frei sei. Operationsbeginn sei völlig unbestimmt, da man ja erst die Kranke genau untersuchen und diagnostizieren müsse.

»Am 2. September«, sagte Hellberg und sah auf seinen Kalender. »Hast du Angst, Claudia?«

Sie schüttelte den schmalen Kopf mit den langen, schwarzen Haaren. Ihre Rehaugen glänzten. »Du bist ja da, Liebster.«

»Dr. Zeijnilagic hat versprochen, daß du nach den HTS-Kapseln so stark sein wirst, die Operation ohne weiteres zu überstehen.«

»Ich habe gar keine Angst.« Claudia schüttelte den Kopf. »Ich muß ja gesund werden, um deine Frau zu werden. Dieses Müssen ist stärker als jede Medizin.«

Und dann kam der Tag heran, an dem Hellberg und Claudia aus Sarajewo abreisen mußten. Der 2. September war nicht mehr weit; sie mußten einen Umweg über Belgrad machen, um bei der italienischen Botschaft vorzusprechen, der sie ihre abenteuerliche Reise nach Sarajewo genau geschildert hatten. Fast vierzehn Tage lang hörten sie nichts aus Belgrad, dann kam ein Brief der Botschaft, nach dessen Lesen Claudia im Kreise herumzutanzen begann.

».Wir haben Ihre Angaben in Bari nachprüfen lassen und können Ihnen zu unserer Freude mitteilen, daß Ihr Paß bei dem inzwischen gefaßten Mörder gefunden wurde. Wir haben um die Zusendung des Passes nach Belgrad gebeten, und Sie können ihn in den nächsten Tagen in der Italienischen Botschaft, Konsularabtei-lung, Zimmer 19, abholen.«

»Ich habe meinen Paß wieder! Ich habe ihn! Ich habe ihn!« jubelte Claudia. »Nun gibt es gar keine Schwierigkeiten mehr, nach Deutschland zu kommen.«

Der Abschied von Dr. Zeijnilagic war herzlich.

»Gott segne Sie«, sagte Dr. Zeijnilagic und legte die Hände auf Claudias Kopf. »Und glauben Sie ganz fest daran, daß Sie gesund werden.«

Dabei sah er Frank Hellberg an, und Frank erkannte die Sorge in seinen Augen.

»Es ist schon viel besser geworden, Doktor«, sagte er. »Wenn Claudia hustet, hat sie nicht mehr diese stechenden Schmerzen. Sie ißt mit Appetit - und sehen Sie nur ihr Gesicht! Sie hat sogar leicht rote Backen. Sie fühlt sich viel wohler als zuvor; so wohl, wie seit zwei Jahren nicht mehr!«

»Das ist ein gutes Zeichen.« Dr. Zeijnilagic sah Claudia lange stumm an. Er fühlte ihr den Puls, maß den Blutdruck, kontrollierte die Durchblutung der Schleimhäute und bat sie, sich noch einmal auszuziehen. Zum letztenmal hörte er sie mit dem Membranstethoskop ab. Ein zartes, zerbrechliches Körperchen von porzellanhafter Schönheit. »Sie haben Monate wieder aufgeholt«, sagte er, als Claudia wieder angezogen war. »Ich bin ehrlich glücklich. Ich hätte es selbst nicht erwartet.«