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Hellberg nickte und reichte Dr. Battenberg die Hand. »Ich danke Ihnen«, sagte er heiser. »Ich danke Ihnen herzlich. Ich wünschte, ich könnte so optimistisch sein wie Sie.«

Später saß er neben der Wachschwester in dem gläsernen, runden Zimmer, von dem aus man die Frischoperierten übersehen konnte.

Claudia lag in Zimmer 5, ein schmaler, bleicher Kopf mit schwarzen, nun kurzgeschnittenen Haaren, der fast in dem Kissen verschwand. Sie lag noch in der Narkose, und eine OP-Schwester saß neben dem Bett und wartete auf ihr Erwachen.

»Sie ist gleich da«, sagte die junge Schwester neben Hellberg. Sie wunderte sich im stillen, wieso der sonst so strenge Chef es erlaubt hatte, daß ein Angehöriger in der Intensivstation sitzen durfte. »Sie bewegt schon die Hände.«

Hellberg nickte stumm. Er starrte auf Claudia. Ihre Finger tasteten über das Bett-Tuch, ihre Beine zuckten, der Kopf drehte sich langsam.

Sie kam ins Leben zurück.

Und Frank Hellberg schwor sich in diesem Augenblick, alles vorzubereiten: Wenn Claudia aus der Klinik entlassen wurde, würden sie nicht wegfahren aus Heidelberg, sondern von der Tür der Klinik aus würde ein Wagen sie zum Standesamt fahren, und er würde sein Leben für immer mit dem Claudias verbinden.

Ich liebe dich, dachte Hellberg stumm und faltete die Hände, als Claudia die Augen aufschlug und die OP-Schwester - das sah er, aber hörte er nicht - mit ihr sprach. O Gott, ich liebe dich.

Und ich weiß, daß du gesund bist, daß wir den Tod in dir besiegt haben.

Ob es Professor Seidler war oder Dr. Zeijnilagic - das ist im Augenblick nicht wichtig.

Du lebst.

Und ich danke Gott dafür.

Durch den Sand des Lido von Venedig liefen zwei glückliche Menschen um die Wette, balgten sich wie übermütige Kinder, jagten sich gegenseitig in das aufspritzende Meer, warfen sich einen großen Luftball zu und spielten Federball.

Die Sonne und das Wasser bräunten ihre Haut. Und manchmal setzte sich der Mann in den Sand, hob die Arme hoch empor und rief:»Ich kapituliere! Ich ergebe mich! Rika, hab Mitleid; ich bin ein alter Mann!«

Dann lachte sie, bewarf ihn mit Sand, kugelte ihn zum Ufer und stieß ihn ins Wasser, und dann prustete er wie ein Seehund und lachte und hätte schreien können vor Glück.

Alle, die zuschauten, freuten sich mit ihnen. Sie ahnten nicht, was sechs Wochen vor diesen übermütigen Tagen noch geschehen war, und sie sahen auch nicht die hellrote Narbe auf dem Leib der jungen, schönen Frau; der Badeanzug verbarg sie allen Blicken. Sie beneideten nur den Mann um diese temperamentvolle, schlanke Frau mit den kastanienfarbenen Haaren, die in der Sonne leuchten konnten wie rotglühendes Gold.

Wenn Karl Haußmann fortging, Eis holen oder eine Limonade, umlagerten Papagalli den Liegestuhl Rikas und riefen Komplimente. Betraten sie den Saal des Hotels zum Abendessen, bekam Hauß-mann ein steifes Kreuz vor Stolz, denn er sah die Blicke der anderen Männer, die seiner Frau folgten. Wie ein Pfau ging er neben ihr, und um zu zeigen, wie sinnlos alle anderen Männergedanken waren, legte er beim Gehen seinen Arm um ihre Hüften und sie spielte mit, bog sich zurück und lachte schallend.

In der Nacht lagen sie jetzt wach und sahen in den mondhellen Himmel.

Vor dem Fenster plätscherte das Meer. Aus der Bar klang leise Tanzmusik zu ihnen herauf. Irgendwo, vielleicht in dem Cafe auf der Piazza St. Giulio, sang eine helle Männerstimme von Amore. Es war heiß im Zimmer, und sie lagen auf den Bettdecken, bekleidet mit dem Mondschein.

»Du.«, sagte Erika leise und legte ihre Hand auf Haußmanns Brust.

»Ja, Rikchen?«

»Wann ist das Paradies zu Ende?«

»Nie!«

»Wie lange bleiben wir noch in Venedig?«

»Noch eine Woche.« Haußmann drehte sich auf die Seite. Der nackte, braune Körper seine Frau glänzte im Mondlicht. Unterhalb des Nabels war die lange, rote Narbe . eine Straße, die aus der Todesangst herausgeführt hatte.

Karl Haußmann beugte sich vor, legte seinen Kopf auf Erikas Leib und küßte die Narbe. Mit beiden Händen umgriff sie seinen Kopf und drückte ihn an sich.

»Wenn du willst . ich bleibe so lange hier, bis du sagst: Nun laß uns fahren«, sagte Haußmann.

»Wir haben noch zwei Kinder, Karl.«

»Die sind erwachsen! Wir sollten endlich unser eigenes, unser ganz alleiniges Leben genießen.«

»Deine Fabrik.«

»Ich habe einen guten Prokuristen!« Haußmann umarmte den Leib Erikas. »Überhaupt das Geldverdienen . der Satan ist da drin. Was hat die Jagd nach dem Geld aus uns gemacht, Rika!«

»Zwei moderne Menschen, Karl.«

»Ich möchte lieber unmodern sein, aber glücklich mit dir!«

»Dann laß uns fahren, Karl.«

»Fahren?« Haußmann richtete sich auf und legte seine Hände auf ihre Brüste. Er spürte, wie sie zitterten. »Wann?«

»Morgen schon.« »Wohin denn, Rika?«

»Zurück nach Gelsenkirchen. In unser Haus . in meine Heimat . zu uns. Karl.«

»Weg von Venedig, Rika?«

Sie nickte und lächelte. Und plötzlich sah er, wie sie weinte, wie lautlos die Tränen aus ihren großen, schönen Augen rollten.

»Wir haben ein so schönes Haus, Karl.«

»Aber die Gegend ist staubig, rußig, es regnet immer, und die Sonne schwimmt hinter den Rauchwolken der Fabriken.«

»Trotzdem.« Sie ergriff seine Hände und zog sie an ihre Lippen. »Laß uns morgen schon fahren, Karl. Ich ... ich habe Sehnsucht nach den Kindern . nach unserer Terrasse, nach dem Wohnzimmer mit dem indischen Teppich - weißt du noch, zum 40. Geburtstag hast du ihn mir gekauft -, nach dem Blick aus meinem Schlafzimmer, der auf die Blutbuche im Garten fällt ... ich habe Sehnsucht nach unserer kleinen, eigenen Welt, die wir beide uns gemeinsam geschaffen haben.«

Karl Haußmann nickte und zog sie an sich.

Er war so glücklich, daß er tief atmen mußte, denn großes Glück macht das Herz schwer, wie mit Blei gefüllt.

Am nächsten Morgen fuhren sie ab. Zurück nach Deutschland.

Das >Schiff der Hoffnung< fuhr auch weiterhin.

Von Bari nach Dubrovnik.

Von Dubrovnik nach Bari.

Täglich hin und her, mit einem Leib voller Autos, mit fröhlichen, urlaubsübermütigen Menschen auf den Decks.

Die Kranken waren verschwunden. Nur wenige, die von Bekannten oder aus alten Zeitungen von dem HTS hörten, begaben sich auf die weite Reise nach Sarajewo. Aber nichts Sensationelles war mehr an ihnen, keiner beachtete sie mehr, kein Reporter schrieb über sie, kein Fotograf schickt ihre Bilder in alle Welt.

Das Neue, das Außergewöhnliche, der große >Knüller<, wie es die Presse nannte, war vorüber. Auch vor dem Haus des Dr. Zeijnila-gic standen sie nicht mehr Schlange, bettelten die Kranken nicht um die helfenden Kapseln, entfalteten sich keine Tragödien auf den Stufen der abgetretenen Treppe des Hauses Obala-Straße 40. Das alles war vorbei.

Die Kapseln wurden fabrikmäßig hergestellt und unentgeltlich verteilt. Der jugoslawische Staat wollte nicht daran verdienen, Dr. Zeijnilagic hatte nie daran verdient, sondern nur sein eigenes Vermögen dafür geopfert. Wie Drops wurden sie ausgegeben, und wie saure Drops werden die Kapsel HTS seitdem auch von der schnell beleidigten Schulmedizin betrachtet.

Wer prüft heute das HTS? Wo finden Versuchsreihen statt? Wo entwickelt man Statistiken des Heilens oder auch nur Helfens? Welche Kliniken setzen sich heute dafür ein? Wer hält den Namen Dr. Zeijnilagic im Gespräch?

Denn es geht doch um den Krebs!

Die Geißel der modernen Menschheit.

Jeder fünfte stirbt heute an einem Karzinom.

Millionen hoffen auf ein Heilmittel. Millionen Kranke hoffen auf die Kunst der Ärzte, auf die Entdeckungsgabe der Wissenschaften, auf den Genieblitz eines Außenseiters.

Oder dürfen diese Blitze nicht sein?

Ein häßlicher Verdacht taucht auf:Noch ist der Krebs ein großes Geschäft. Solange Menschen sterben, leben ganze Industrien von ihrem Tod.