Hellberg sah ihm nach.
»Wirklich ein netter Mensch, dein Chef. Kann einem leid tun. Daß ihm so etwas passieren muß.«
»Glaubst du etwa an die Wunder deines Dr. Tezza?« fragte Marion Gronau. »Oder wolltest du ihm nur unbedingt was Nettes sagen?«
»Ich verstehe zuwenig davon. Ich bin dafür, nichts unversucht zu lassen. Gerade in diesem ganz besonderen Fall.«
Marion Gronau erschrak.
»Wieso ist dies ein ganz besonderer Fall?« fragte sie, ohne ihn anzusehen.
»Na, du bist gut, Marion«, antwortete Frank Hellberg. Anscheinend völlig arglos. »Wo die Haußmanns so freundlich waren, uns mitzunehmen.«
Kapitel 3
Erika lag mit geschlossenen Augen da, als Karl das Zimmer betrat. Er ging zu ihr hin und küßte sie.
»Rika, Liebste«, sagte er. »Ich habe eine gute Neuigkeit.«
Er zog den Sessel an ihren Liegestuhl heran, setzte sich zu ihr und berichtete von Dr. Tezza aus Capistrello. Zum Schluß sagte er:
»Er behandelt nach einer individuellen Methode, Rika. Ohne chirurgische Eingriffe. Sollten wir es nicht wenigstens versuchen?«
»Daß du dir soviel Sorgen um mich machst, du Guter.«
»Das.« versteht sich doch von selbst, hatte er sagen wollen. Er ließ es und fügte statt dessen hinzu:
»Wir lassen die anderen beiden hier, fahren ganz allein gemütlich zu diesem berühmten Arzt. Auf der Rückfahrt kommen wir dann wieder hier vorbei. Wenn ich daran denke, Rika: In drei Wochen bist du wieder gesund.«
Sie lächelte. Er war wie ein Kind. Sie mochte ihm die Hoffnung nicht zerstören.
»Gut, Karl, fahren wir. Wann soll es denn losgehen?«
»Gleich morgen, Rika.«
Sie widersprach nicht, sondern griff nach seiner Hand und drück-te sie.
»Und jetzt, Rika, jetzt laufe ich schnell hinunter und bestelle uns eine Pulle Sekt.«
»Wie? Jetzt? Vor dem Mittagessen?«
»Ja, Rika, wir müssen darauf anstoßen. Auf ein gutes Gelingen, auf unsere Hoffnung, auf deine baldige Genesung.«
An der Tür kehrte er noch einmal um. Er zog sie ungestüm in seine Arme. So, als wollte er seinen Optimismus gewaltsam auf sie übertragen.
Sie fuhren doch nicht allein.
Frank Hellberg hatte inständig darum gebeten, mitreisen zu dürfen. Er hatte berufliches Interesse vorgeschützt, obwohl ihn in erster Linie menschliche Anteilnahme trieb, dabeizusein.
Und Marion Gronau hatte gesagt: »Wenn eine Frau krank ist, kann eine Frau ihr nützlicher sein als zwei Männer.«
Sie fuhren auch keineswegs gemütlich.
Karl Haußmann trat aufs Gas, als säße ihm der Teufel im Nacken. Mit den flinken, kleinen Italienern ließ er seinen großen Wagen um die Wette rasen. Aber es war kein Sport. Es war wie eine Flucht vor dem schlechten Gewissen. Oder wie eine Verfolgungsjagd, als gälte es, Versäumtes einzuholen.
So eine Fahrweise verlangt ungeteilte Aufmerksamkeit. Gerade sie fehlte Karl Haußmann. Ihn irritierte, daß Marion Gronau hinter ihm saß.
Was soll das? dachte er. Warum wollte sie unbedingt mit in dieses Bergnest, statt in Rimini am Strand zu bleiben? Welchen Zweck verfolgt sie? Spielt sie die Sanftmütige, die Hilfsbereite nur, um in Wirklichkeit ihre Stellung zu behaupten? Oder war sie tatsächlich aus Zuneigung, aus Anhänglichkeit mitgefahren? Ein Gedanke, der Karl Haußmann zwar schmeichelte, aber nicht sympathisch war.
Um zehn Uhr waren sie in Rimini gestartet. In Porto Recanan-ti, dreißig Kilometer hinter Ancona, aßen sie zu Mittag. Gegen sech-zehn Uhr, in der Höhe von Giulianova Lido, geschah es:
An einer wegen Bauarbeiten verengten Straßenstelle tauchte plötzlich ein Sportwagen hinter einem entgegenkommenden Laster auf, um zu überholen.
Haußmann, der mit hoher Geschwindigkeit über den Schottergrund rasselte, wollte scharf nach rechts lenken. In diesem Augenblick gab es einen Knall.
Der linke Vorderreifen zerriß.
Haußmann verlor die Gewalt über den Wagen, der sich querstellte und schlitterte.
Die Schottersteine, die emporgeschleudert wurden, prasselten gegen die Bodenwanne. Ein Getöse entstand, das die Aufschreie der Frauen fast verschlang.
Zwanzig Zentimeter vor der Stoßstange des Lasters kam der Wagen zum Stehen. Das Sportkabrio, das Haußmann erschreckt hatte, war rechtzeitig sehr elegant zurückgetaucht und hielt knapp schrittweit hinter dem Laster. Die italienischen Fahrer traten an Haußmanns Wagen heran, besahen sich den Schaden, drückten gestenreich und achselzuckend ihr Bedauern und ihre Schuldlosigkeit aus, stiegen ein und fuhren davon.
Karl Haußmann saß noch immer da und hielt das Lenkrad umklammert. So, als hätten seine Hände sich verkrampft. Er war leichenblaß geworden. In seinem Gesicht zuckte es. Seine Lippen zitterten.
Erika war ebenfalls das Blut aus den Wangen gewichen. Ihre erste Reaktion war der Gedanke, Karl eine Tablette gegen Gallenbeschwerden anzubieten, doch dann fiel ihr ein, daß es ihn in Gegenwart der Gronau beschämen könnte. Und sie ließ es.
Marion Gronau goß Kölnisch Wasser auf ein Taschentuch und rieb ihre Schläfen ein. Dann reichte sie Erika das Flakon.
Keiner sagte ein Wort. Und das bedrückte Haußmann mehr, als wenn sie ihn mit Vorwürfen überschüttet hätten.
Gelassen blieb Frank Hellberg. Er ließ sich die Autoschlüssel geben, holte den Wagenheber und den Ersatzreifen aus dem Koffer-raum und begann mit der Montage. Als Karl Haußmann den Schock überwunden hatte, gesellte er sich zu ihm und faßte mit an.
»Danke«, sagte er und schlug Hellberg auf die Schulter. »Fahren Sie eigentlich selber?«
»Und wie gern.«
»Kommen Sie mit meinem Schlitten zurecht?«
»Kein Problem.«
»Unter der Bedingung, daß Sie nicht über achtzig fahren, können Sie mich ein bißchen ablösen. Einverstanden?«
»Ich wüßte nicht, was ich lieber täte.«
Marion Gronau behauptete, die Fahrt auf den Vordersitzen nicht vertragen zu können. Da Karl Haußmann auf jeden Fall vermeiden wollte, neben ihr zu sitzen, bat er Erika, im Fond Platz zu nehmen. Karl, der neben dem chauffierenden Hellberg saß, meinte die Spannung, die zwischen den beiden Frauen knisterte, im Rücken zu spüren. Er war heilfroh, als sie nach rund vierzig Kilometern in Pescara eintrafen und ein Hotel fanden, das direkt neben einer Autoreparaturwerkstatt lag. Bevor sie morgen den Weg ins Binnenland mit seinen Bergstrecken antraten, mußten alle fünf Reifen in Ordnung sein.
Am nächsten Tag setzte sich Frank Hellberg gleich ans Steuer. Wie selbstverständlich. Und Marion Gronau rutschte neben ihn. Es ginge ihr besser, sagte sie. Dabei wirkte sie so still, so bedrückt, daß Karl Haußmann vermutete, Frank Hellberg habe ihr den Kopf zurechtgesetzt.
Ob der helle Junge etwas gemerkt hatte? Nur das nicht, dachte Karl. Denn seine zwiespältigen, von Eifersucht beeinflußten Gefühle ihm gegenüber waren herzlicher Sympathie gewichen.
Hellberg erwies sich als glänzender Fahrer. Er ließ den Wagen zügig dahinrollen, reagierte frühzeitig auf Kurven und Hindernisse, so daß er scharfes Bremsen vermied. Daß er sich sogar auf Bergfahrt verstand, erwies sich, als sie das Pescaratal hinter Popoli verließen und zur Forca Caruso hinaufkurvten, um die Abruzzen zu überqueren.
Gegen Mittag hatten sie es geschafft.
Sie waren am Ziel.
Eines taten sie gleichzeitig, als sie das Ortsschild erkannt hatten und in Capistrello einfuhren.
Sie seufzten.
Abgrundtief.
Alle vier.
»Wir müssen uns entschuldigen für das, was wir Ihnen da zumuten«, sagte Erika.
»Ach wo«, entgegnete Frank Hellberg übertrieben munter. »Ich finde es ausgesprochen romantisch. Man kann doch jeder neuen Umgebung Reize abgewinnen.«
»Wenn man den guten Willen hat«, vollendete Marion Gronau. Es klang ironisch.