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Natürlich folgte ich ihnen. Mit Abstand, damit sie mich nicht sehen konnten. Mama drehte sich sehr oft um, und ich verstand, dass sie meine Nähe fühlte. Ich zeigte mich aber nicht, denn ich hatte ja versprochen, sie nicht zu begleiten.

Als sie im »Haus des Abschieds« verschwanden, blieb ich noch eine Weile stehen und trat gegen die Wand des Rathauses. Nicht etwa aus Protest, sondern weil gerade dieses Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite der Allee der Erstbesiedler steht.

Dann machte ich kehrt und ging in die Schule.

Weil ich es versprochen hatte.

Erster Teil

Der falsche Ritter

Kapitel 1

Unser Herbst ist sehr schön.

Ich lag auf einer glatten Steinplatte, die aus unerfindlichen Gründen nicht verbaut worden, sondern ans Flussufer gelangt war, und schaute in den Himmel. Über der Kuppel tobte ein Sturm. Die Sonne war klein und dunkelrot, weil sie vom wirbelnden Sand verdeckt wurde. Die Außenbewohner hatten es jetzt sehr schwer. Bei ihnen herrscht eine erhöhte Radioaktivität, der feine Sandstaub kriecht in jede Ritze.

»Tiki-Tiki!«

Ich drehte mich um, obwohl ich genau wusste, wer das war. Nur Dajka nennt mich Tiki-Tiki. Seit der ersten Klasse. Zuerst wollte sie mich damit ärgern, mittlerweile aber nicht mehr. Das glaubte ich jedenfalls.

»Wohin schaust du?«

»Zum Raumschiff«, schwindelte ich. Es war wirklich ein Raumschiff am Himmel. Sicher ein Erztransporter vom Hafen 2. Es kämpfte sich mit Hilfe seiner Plasmatriebwerke durch den Sturm und zog eine orange Schleife aus Protuberanzen hinter sich her. Nichts Atemberaubendes. Der Sturm an sich war entschieden interessanter.

»Ein schönes Raumschiff!«, rief Dajka. »Ich wäre gern Pilot.«

Sie streckte sich neben mir aus, sodass ich zur Seite rücken musste. Sie trug einen neuen Badeanzug, ganz wie eine Erwachsene. O lala!

»Hm«, sagte ich, »du würdest zu einem Eiszapfen gefrieren!«

Dajka schwieg einige Zeit und erwiderte: »Na und? Du wirst auch kein Pilot.«

»Wenn ich es will, werde ich es«, antwortete ich. Dajka störte mich. Sie war mir zu aufdringlich und konnte einfach nicht verstehen, dass ich allein sein wollte. Ganz allein.

»Weißt du denn nicht, wie viel eine Pilotenausbildung kostet?«

»Viel.«

»So viel wirst du niemals verdienen!«

»Wenn ich Glück habe, verdiene ich genug.« Ich hielt es nicht mehr aus. »Aber du kannst garantiert kein Pilot werden! Du hast kein Y-Chromosom! Dich kann man im Weltraum nur als Gepäck befördern. Tiefgekühlt, mit Eiszapfen an den Wimpern.«

Dajka sprang auf und ging schweigend weg. Das war gemein von mir. Sie begeisterte sich mehr als mancher Junge für den Kosmos. Aber sie hat nun einmal kein Y-Chromosom. Und das bedeutet, dass sie stirbt, wenn sich das Raumschiff im Zeitsprung befindet. Natürlich nur dann, wenn sie nicht in Anabiose liegt. Eben mit Eiszapfen an den Wimpern…

»Dajka!«, rief ich und stützte mich auf die Ellenbogen, »Dajka!«

Aber sie ging weiter, ohne sich umzusehen.

Also räkelte ich mich wieder auf der Steinplatte und folgte mit dem Blick der Flugbahn des Raumschiffs. Der Zeitkanal, den die Raumschiffe für den Flug zwischen den Sternen benutzen, verläuft ganz in unserer Nähe. In einer Stunde würde das Raumschiff in ihn eintauchen und das Erz auf einen Industrieplaneten transportieren. Und danach vielleicht in andere interessante Welten. Natürlich würde ich nie genug Geld verdienen, um mir eine Pilotenausbildung leisten zu können.

Wenn ich überhaupt jemals in den Kosmos fliegen könnte, dann sowieso nur als Bestandteil eines Computers. Als »Gehirn in der Flasche«, wie das landläufig genannt wird.

Aber es ist immerhin eine Art Fliegen. Manchmal verdient man dadurch so viel, dass man ein richtiger Pilot werden kann. Ich drehte mich um und warf ein Steinchen an Glebs Schulter. Gleb sonnte sich nicht weit von mir. Er war es eigentlich, der mich an den Fluss gelockt hatte, denn er hält einzig die Herbstbräune für gesund und echt. Gleb hob den Kopf vom Handtuch und schaute mich fragend an. Entweder hatte er mein Gespräch mit Dajka nicht gehört oder ihm keine Beachtung geschenkt.

Also erklärte ich ihm, was ich vorhatte.

Gleb meinte, ich sei ein Idiot. Der Anschluss eines menschlichen Gehirns an einen Computer als »Modul« würde nämlich Neuronen verbrennen, den freien Willen unterdrücken und einen verdummen. Da sei es schon einfacher, ins »Haus des Abschieds« zu gehen, davon habe wenigstens der Staat noch einen Nutzen…

In diesem Moment erinnerte er sich an meine Eltern und hielt inne. Ich nahm es ihm nicht übel. Erwiderte lediglich, dass viele berühmte Piloten damit angefangen hätten, als Module in Raumschiffen zu arbeiten. Man muss rechtzeitig kündigen, das ist wichtig. Und wenn man es überhaupt riskieren will, dann genau in unserem Alter, solange das Gehirn noch formbar ist und sich entwickelt. Dann kann es alles kompensieren.

Gleb wiederholte, dass ich ein Idiot sei, und räkelte sich unter der trüben orangefarbenen Sonne. Ich sagte auch nichts mehr, legte mich wieder hin und schaute in den Himmel. Er ist bei uns sogar bei schönem Wetter orange. Auf der Erde und dem Avalon ist er blau. Er kann auch grün, dunkelblau oder gelb aussehen. Die Wolken müssen nicht aus Sand sein, es gibt welche aus Wasserdampf. Wenn du aber nur auf dem Karijer bleibst, bekommst du das nicht zu sehen.

Auf einmal wurde mir klar, wie einfach alles war, dass es gar keinen Ausweg gab:

Hier konnte, wollte und würde ich nicht leben. Der Sozialarbeiter unseres Wohngebiets war eine Frau. Vielleicht sorgte sie sich deshalb so um mich, als ich ihr mitteilte, dass ich mich als Modul auf einem Raumschiff verdingen wollte. Sie sah mich lange an, ganz als ob sie erwartete, dass ich rot werden, mich abwenden und die Antragsunterlagen vom Tisch nehmen würde. Aber ich blieb sitzen und wartete, bis sie aufgab und die Aktenmappe öffnete.

Meine Unterlagen waren in Ordnung. Die staatliche Ablösesumme für die Arbeitserlaubnis im Kosmos konnte ich mit meinem Recht auf die Lebenserhaltungssysteme und der Wohnung, die mir die Eltern überschrieben hatten, bezahlen. Drei Zimmer zu acht Quadratmetern, Küche und Sanitärblock… Meine Eltern hatten wirklich einmal gut verdient. Die Mindestgrundausbildung hatte ich erhalten. Die Wohnungsnachbarn gaben mir wirklich sehr gute Beurteilungen. Vielleicht rechneten sie damit, die Wohnung untereinander aufteilen zu können.

»Tikkirej«, meinte die Beamtin leise, »eine Arbeit als Modul ist Selbstmord. Verstehst du das?«

»Ja.« Ich hatte mir vorgenommen, weder zu diskutieren noch etwas zu erklären.

»Du wirst im Koma liegen und dein Gehirn wird Datenströme verarbeiten!«

Sie verdrehte die Augen zur Decke, als ob man ihr selbst die Kabel mit den Datenströmen an den Neuroshunt angeschlossen hätte.

»Du wirst erwachsen, dann älter werden, nur für wenige Tage im Monat erwachen, und dein Körper ist plötzlich gealtert. Verstehst du das? Das ist ungefähr so, als würdest du nicht einhundert Jahre leben wie alle anderen Menschen, sondern nur ein Zwanzigstel davon. Kannst du dir das vorstellen, Tikkirej? Dir bleiben noch fünf Jahre zum Leben!«

»Ich arbeite fünf bis zehn Jahre, dann kündige ich und werde Pilot«, sagte ich.

»Was heißt kündigen!?« Die Beamtin schlug mit der Akte auf den Tisch. »Du willst das dann gar nicht mehr! Dein Gehirn verlernt es, irgendetwas zu wollen!«

»Mal sehen«, erwiderte ich.

»Ich werde nichts unterschreiben, Tikkirej«, erklärte die Beamtin. »Nimm deine Unterlagen und geh in die Schule. Deine Eltern haben sich so um dich gekümmert und du…«

»Sie haben kein Recht, nicht zu unterschreiben«, sagte ich. »Sie wissen das selbst ganz genau. Wenn ich keine Unterschrift bekomme, gehe ich zum städtischen Sozialdienst und beschwere mich über Sie. Wegen grundloser Ablehnung einer Erlaubnis wird man Ihnen das Nutzungsrecht für die Lebenserhaltungssysteme für ein halbes Jahr oder, wenn es ganz schlimm kommt, für ein Jahr entziehen. Das Gesetz muss geachtet werden!«