»Alles klar. Zimmer 73. Da ist der Kapitän.«
»Wer ist das?«, erklang eine feine Mädchenstimme aus dem Zimmer.
»Niemand für uns«, rief Anton. Aus dem Zimmer schaute eine dunkle Schönheit, eines der Mädchen, die gestern gelacht hatten. Bei meinem Anblick begann sie erst zu lächeln, dann schaute sie deprimiert. Vielleicht deshalb, weil sie ganz nackt war und sich im Bettlaken verheddert hatte.
»Guten Tag«, sagte ich.
»Was bist du nur für ein Dummkopf!«, meinte das Mädchen. »Mein Gott, woher kommen nur…«
»Kusch dich, du Pack!«, zischte ich. Es funktionierte. Fast wie beim Ältesten. Das Mädchen schwieg und zwinkerte nervös. Anton hielt einen Augenblick mit dem Rasieren inne, machte aber gleich weiter. Hoch — runter.
Ich drehte mich um und ging zum Zimmer 73. Der Kapitän war jünger als der Älteste und der Arzt. Er hatte sicher eine Elite-Kosmonautenschule absolviert, da man ihm bereits das Kommando über ein Raumschiff anvertraute. Er war kräftig und sah gut aus in seiner weißen Paradeuniform.
»Tikkirej«, begrüßte er mich, als ich ins Zimmer trat. Intuitiv wusste ich, dass er den Bericht über meine gestrige Untersuchung gelesen hatte, und ich schämte mich. Vor Anton oder dem Ältesten schämte ich mich nicht. Aber vor einem echten Kapitän, der sogar alleine im Hotelzimmer seine Paradeuniform trug, schämte ich mich.
»Ja, Kapitän.«
»Du hast es dir also nicht anders überlegt?«
»Nein, Kapitän.«
»Den Vertrag hast du dir angesehen?«
»Ja, Kapitän.«
Den Vertrag hatte ich bis drei Uhr nachts gelesen. Es war wirklich ein Standardvertrag, aber ich überprüfte alles.
»Tikkirej, denkst du eventuell daran, uns zu betrügen«, fuhr der Kapitän fort, »einen oder zwei Flüge mitzumachen, einen passenden Planeten zu finden und dort zu kündigen?«
»Geht das denn?«, wunderte ich mich gekonnt.
»Natürlich, aber was hättest du davon?«
Der Kapitän sah mich einige Sekunden lang durchdringend an: »Okay, ziehen wir das Ganze nicht unnötig in die Länge.«
Er setzte sich an den Tisch und sah schnell meine Papiere durch, kontrollierte die Echtheit der Siegel mit einem Handscanner, unterschrieb den Vertrag und gab mir ein Exemplar zurück. Er reichte mir die Hand: »Ich beglückwünsche Sie, Tikkirej. Nunmehr sind Sie ein Mitglied der Recheneinheit des Raumschiffs Kljasma.«
Mir missfiel die Tatsache, dass er mich nicht Mitglied der Mannschaft, sondern der Recheneinheit nannte. Noch weniger gefiel mir die Äußerung: »Aber was hättest du davon?« Trotzdem lächelte ich und gab ihm die Hand.
»Hier hast du einen Vorschuss«, der Kapitän holte einige Geldscheine aus der Tasche. »Er steht nicht im Vertrag, ist aber eine schöne Tradition vor dem ersten Start. Sieh aber zu, dass du das Geld nicht…«
Für eine Sekunde fiel der Kapitän in Schweigen, dann begann er zu lachen: »Nein, nein, ich glaube, du wirst es nicht vertrinken.«
»Ich werde es nicht vertrinken«, versprach ich. Nach dem Wodka gestern musste ich mich im Bus übergeben. Vielleicht war das aber auch nur eine Folge der Überprüfung meines Arbeitsvermögens…
»Wir treffen uns um fünf Uhr unten im Foyer«, teilte mir der Kapitän mit, »und, das steht auch nicht im Vertrag, aber wenn du dort fehlen solltest, werde ich dich nicht verklagen. Dann zerreiße ich einfach den Vertrag.«
»Ich komme.«
»Gut, Tikkirej.«
Ich verstand, dass das Gespräch jetzt beendet war, und verließ das Zimmer. Unten in der Bar war es wieder genauso leer und der Barkeeper war derselbe. Er lächelte mir zu, und ich ging zu ihm und legte einen Geldschein auf den Tresen.
»Das ist für gestern. Und… haben Sie Milchshakes?«
»Na klar, haben wir.« Der Barkeeper gab mir das Wechselgeld. »Und, haben sie dich genommen?«
»Ja. Ich hatte gute Werte. Wirklich.«
»Schön! Aber hör rechtzeitig mit dieser Arbeit auf, ja! Was möchtest du für einen Shake?«
»Mit Apfelsine«, bestellte ich, ohne nachzudenken.
Der Barkeeper runzelte die Stirn und beugte sich zu mir vor. Verschwörerisch flüsterte er: »Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis: Die einfachsten Milchshakes sind immer die besten. Zum Beispiel mit Schokolade und einem Hauch Vanille.«
»Den nehme ich«, antworte ich ebenso flüsternd.
Er schmeckte wirklich gut.
Auf diese Art und Weise saß ich bis fünf Uhr in der Bar. Meinen Koffer hatte ich zum Barkeeper hinter den Tresen gestellt, um nicht auf ihn aufpassen zu müssen. Mehrmals ging ich auf die Toilette, damit sich der gestrige Schlamassel später nicht wiederholen konnte. Obwohl das auf dem Raumschiff sicherlich geregelt ist.
Den letzten Cocktail trank ich hastig, immer mit Blick auf die Uhr. Dann verabschiedete ich mich vom Barkeeper und ging ins Foyer.
Die ganze Mannschaft war schon versammelt. Der Kapitän, der Älteste, der Arzt und noch zwei, die ich nicht kannte — sicher Navigator und Lademeister.
»Du kommst zu spät, Modul«, bemerkte der Arzt eisig. Er hielt sein Versprechen — für ihn war ich schon kein braver Junge mehr.
»Entschuldigung, das kommt nicht wieder vor«, murmelte ich und umfasste krampfhaft den Griff meines Koffers. Der Älteste nahm mir schweigend den Koffer aus der Hand, prüfte das Gewicht und gab ihn mir zurück.
»Gehen wir«, sagte der Kapitän. Alle drehten sich um und gingen zur Schleuse, bei der schon ein Kleinbus wartete.
Niemand beachtete mich. Die Türen des Busses gingen zu, kaum dass ich meinen Fuß auf die Stufen gesetzt hatte.
Der Älteste und der Arzt saßen zusammen, Lagermeister und Navigator ebenfalls. Neben dem Kapitän war ein freier Platz, aber auf diesen legte er sehr sorgfältig seine Mütze.
Ich ging nach hinten und setzte mich in eine freie Reihe.
Der Kapitän nahm seine Mütze und setzte sie auf.
Der Bus folgte den orangen Markierungen. Die Kljasma war ein Gütertransporter der Standardklasse, wie sie bei uns ständig verkehrten. Der keramische Körper war zweihundert Meter lang und erinnerte an ein übermäßig in die Länge gezogenes Ei. Zur Landung hatte es Stützen ausgefahren, die im Vergleich zum Raumschiff fast unsichtbar schienen, so winzig waren sie. Es hatte den Anschein, als ob die Kljasma direkt auf dem Sand, der im Laufe der Jahre zu einer Steinkruste zusammengebacken war, auflag.
Die Ladeluke war bereits geschlossen, aber in der Ferne schwebte noch die Staubwolke der Schwerlasttransporter, die das angereicherte Erz zum Raumschiff gebracht hatten.
»Der letzte Flug in dieses Schlangennest«, sagte der Älteste, »Gott sei Dank!«
»Aber was für eine Menge Geld«, wandte leise derjenige ein, den ich für den Navigator hielt. Ein betagter dicker Schwarzer mit gutmütigem Gesicht.
»Richtig, der Verdienst ist gut«, stimmte der Arzt zu, »außerdem haben wir ein gutes Modul eingestellt.«
»Das müssen wir noch überprüfen«, widersprach der Älteste säuerlich.
»Ein gutes, ein gutes«, wiederholte der Arzt, »oder denkst du, dass ich das Testen verlernt hätte?«
Beide sprachen über mich, als ob ich ein Einkauf wäre, der auf dem Rücksitz lag. Ich biss die Zähne zusammen und schwieg eisern. Das ist bestimmt ein Test. Um festzustellen, ob ich ernsthaft mit ihnen arbeiten will oder anfange zu jammern und mich zu beklagen, dachte ich.
Der Bus fuhr an die Schleuse heran, ein durchsichtiges Rohr, das sich von oben herabneigte. Zu sechst pressten wir uns mit Mühe in den kleinen Fahrstuhl. Ich wurde gegen den Kapitän gequetscht.
»Entschuldigung, Kapitän«, sagte ich.
Er schwieg. Der Älteste tippte auf meine Schulter und belehrte mich eisig: »Gestatten Sie eine Äußerung, Kapitän…«
»Gestatten Sie eine Äußerung, Kapitän«, wiederholte ich.
»Ich gestatte.«
»Wo sind denn die anderen Mitglieder des Rechenzentrums? Sind sie früher zurückgekommen?«
Mir wurde auf einmal ganz seltsam zumute. Ich dachte, dass sie überhaupt keine anderen Module hätten und deshalb mein Gehirn ununterbrochen arbeiten müsste.
»Sie haben das Raumschiff nicht verlassen«, antwortete der Kapitän.