»Was haben wir denn damit zu tun, sie ist eine Partisanin«, sagte ich, immer noch an Stasj gedrückt. »Sie hatte das Kommando.«
»Alles klar. Also gehört sie zu den ›Schrecklichen‹?« Stasj schob mich etwas von sich weg und schaute mir ins Gesicht. »Geh dich waschen, während ich diese zwei Mörder wieder ins Leben zurückrufe.«
Die Tür zum Bad öffnete ich mit einiger Vorsicht und stellte mir dabei vor, wie Natascha und Lion hier gestanden hatten, bereit, den tödlichen Schlag gegen den Hereinkommenden zu führen. Und wirklich, da lag die Hantel auf dem Boden und dort der Baseballschläger. Und eine Kachel war gesprungen — sicher durch die herunterfallende Hantel.
»Keine Angst, dort sind keine Killer mehr«, stichelte Alexander, der mein Zögern auf der Schwelle bemerkt hatte. Er achtete auf alles…
Ich ließ Wasser ins Waschbecken — ich konnte die Angewohnheit, Wasser zu sparen, nicht ablegen — und wusch mich. Ich schaute in den Spiegeclass="underline" Meine Augen waren rot, sonst ging es.
Stasj ist auf Neu-Kuweit! So was!
Jetzt erst spürte ich meine Erleichterung. Ein dramatischer Fehler war uns nicht unterlaufen. Auch wenn die Untergrundkämpfer alles durcheinandergebracht hatten, auch wenn wir drei uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatten, das war egal. Stasj wird sich etwas einfallen lassen. Wir kommen hier irgendwie raus und kehren nach Avalon zurück. Weit, weit weg von diesem schlimmen und unglücklichen Planeten, weg vom verfluchten Inej und seiner Präsidentin.
Als ich ins Zimmer zurückkam, war Natascha schon wieder bei Bewusstsein, saß auf dem Bett und rieb sich die Stirn. Lion saß ebenfalls aufrecht, hielt jedoch die Augen geschlossen wie eine Puppe. Stasj massierte ihm den Nacken und presste ab und zu bestimmte Punkte. Lion stöhnte, aber sichtlich vor Behagen und nicht vor Schmerzen.
»Wie beschränkt muss man denn sein«, sagte Stasj währenddessen, »um gleichzeitig einen eintretenden Menschen zu überfallen. Dadurch habt ihr euch gegenseitig behindert. Ihr hättet sowieso keinen Erfolg gehabt, aber bei dieser Konstellation…«
»Ich habe dich trotzdem erwischt«, meinte Lion. Also war er schon zu sich gekommen und sich der Situation bewusst.
»Getroffen… natürlich. Gott sei Dank hatte ich erkannt, wer mich da überfällt und nicht mit voller Kraft zugeschlagen. Deshalb hast du mich getroffen. Sind die Kopfschmerzen weg?«
»Es tut noch ein bisschen weh.«
»Das ist nicht zu ändern. Nimm eine Tablette. Ich bin fertig mit dir.«
Lion öffnete die Augen und schaute mich schuldbewusst an.
Natascha äußerte aus unerfindlichen Gründen: »So…«
Alexander grinste schal und beleidigend.
»Das ist nicht zum Lachen«, unterbrach ihn Stasj. »Kinder, nun erzählt mal! Wer befahl euch, uns zu töten, und wann war das? Warum habt ihr auf ihn gehört?«
»Das war Elli«, berichtete Natascha schuldbewusst. »Sie…« Natascha schaute mich an und vergewisserte sich: »Ist er wirklich ein Phag?«
»Ja«, bekräftigte ich.
»Elli gehört zum Untergrund«, fuhr Natascha fort. »Sie sagte uns, dass die Widerstandsbewegung beschlossen hatte, den Edemer Oligarchen Bermann, der zu Inej übergelaufen war, zu liquidieren…«
»Hier gibt es keinen ernst zu nehmenden Widerstand«, widersprach Stasj entschieden. »Außer der Partisanenbrigade des alten Semetzki… und auch er wird nur aus propagandistischen Zwecken geduldet. Jeder Anschlag der ›Schrecklichen‹, jeder Überfall auf Materiallager, sogar eure lächerlichen Sendungen ›Neuigkeiten des Widerstandes‹ werden zum Zweck der Gegenpropaganda ausgeschlachtet.«
Natascha wurde rot.
»Das ist nicht wahr!«
Stasj holte Luft: »Und wie wahr das ist, Mädchen. Ich möchte nichts Schlechtes über euren Chef und über eure Truppe äußern. Aber wenn es Inej für nötig gehalten hätte, euch zu vernichten, wärt ihr nicht einmal einen Tag lang aktiv gewesen.«
»Aber Elli dachte…«
»Kennst du diese Elli schon länger?«
»Nein.« Natascha schämte sich noch mehr. »Aber sie kam von einem zuverlässigen Menschen! Dem Wächter der Anlagestelle, er hilft uns seit langem.«
»Das ist entweder ein Provokateur oder die Wahrheit wurde im Ministerium für Verhaltenskultur aus ihm herausgepresst. Und eure Elli — ist eine Mitarbeiterin des Geheimdienstes vom Inej.«
»Sie ist doch nur ein Mädchen«, trat Lion für Elli ein.
»Wie auch Natascha.« Stasj lachte auf. »Unsere Sache steht schlecht, Leute. Ist euch klar, was hier gespielt wird?«
Mir war es klar und ich sagte laut: »Du bist enttarnt, stimmt’s? Deshalb wurde befohlen, dich zu vernichten!«
»Im Großen und Ganzen hat es den Anschein.« Stasj nickte. »Aber es gibt da bestimmte Feinheiten. Wenn Inej wirklich den Austausch erkannt hätte, hätte man uns liquidiert oder ein doppeltes Spiel gespielt. Euch zu schicken war dumm. Wenn es nicht…«
»Eine Überprüfung ist?«, mutmaßte Alexander. »Wenn wir diejenigen sind, für die wir uns ausgeben…«
»Wären die drei erfolgreich gewesen«, ergänzte Stasj. »Sie hätten Bermanns Tochter und ihn selbst getötet. Aber derartige Überprüfungen gibt es nicht, der echte Bermann ist für Inej viel zu wertvoll.«
»Das heißt, sie wissen, wer wir sind«, folgerte Alexander ruhig. »Das ist unangenehm. Haben sie eventuell eine Genprobe genommen?«
Stasj winkte ab. »Inej besitzt keine Genkartei der Bermanns. Und sie hatten keinen Grund, uns nochmals zu überprüfen, durch die Standardpersonenkontrolle sind wir gekommen.«
»Nur, dass Bermann einen Sohn an Stelle einer Tochter hat«, konnte ich mich nicht enthalten zu sagen.
»Das ist nicht kontrolliert worden.« Stasj lachte. »Eine Wahl hatten wir so oder so nicht. Es gibt keine weiblichen Phagen. Und für unsere Mission war es unabdingbar, dass Alexander während des Fluges im Zeittunnel bei Bewusstsein blieb.«
»Was sitzen wir hier herum?«, machte sich Natascha wieder bemerkbar. »Wenn sie euch verdächtigen oder entlarvt haben, müssen wir fliehen!«
»Eilen sollte man erst dann, wenn man verstanden hat, was vor sich geht«, erwiderte Stasj ruhig. »Wir stehen noch im Dunkeln. Es ist nicht endgültig geklärt, ob wir entlarvt wurden oder nicht. Es ist nicht klar, was von euch, und unklar, was von uns erwartet wurde. Nichts ist klar…«
Er schaute Alexander an. »Nun, Praktikant, was sagt das Lehrbuch, ausgehend von den vorliegenden Präzedenzfällen, wie man sich in einer derartigen Situation zu verhalten hat?«
»Entsprechend der übernommenen Rolle sind die Handlungen weiterzuführen«, antwortete Alexander schnell.
Stasj nickte.
Aber Alexander war noch nicht fertig. »Die echten Bermanns würden, wenn es ihnen gelungen wäre davonzukommen, ihre Gegner eigenhändig verhören, eventuell unter Einsatz von Folter und psychotropen Mitteln. Danach hätten sie die Gegner entweder liquidiert oder sie der Wache übergeben, um genauere Aufklärung einzufordern.«
Stasj hakte interessiert nach: »Du schlägst vor, erst zu foltern und sie danach zu töten?«
Alexander warf einen Seitenblick auf mich. Er antwortete unsicher: »Nicht unbedingt. Es würde ausreichen, als Wahrheitsserum memerotrophe Präparate der Indolonreihe einzusetzen. Grundlage: Tiefenverhör. Nebenwirkungen: retrograde Amnesie für alle Ereignisse der letzten zwei bis drei Wochen.«
Stasj schwieg.
»Ich bestehe auf dieser Variante«, beharrte Alexander, der sich zunehmend an seinen Vorschlägen berauschte. »Unsere Mission ist zu wichtig, um sie in Frage zu stellen. Letztendlich ist das durchaus human.«
»Ich werde dir selbst eine Amnesie verpassen, und zwar ohne Präparate!«, schrie Lion und sprang auf. »Schweinehund!«
»Du hältst die Klappe! Euretwegen ist die ganze Operation…«, begann Alexander sich zu rechtfertigen. Er kam nicht weiter. Lion schnappte sich ein Kopfkissen vom Bett und warf sich auf ihn. Das sah recht lustig aus, als ob sie wie die Kinder eine Kissenschlacht veranstalten wollten. Aber Lion machte durchaus keinen Spaß. Als Alexander, ohne aufzustehen, mit Leichtigkeit das auf ihn zufliegende Kopfkissen fing, hockte sich Lion äußerst elegant hin, drehte sich und warf mit seinen Beinen Alexander zusammen mit dem Stuhl um. Unmittelbar darauf stürzte er sich auf ihn, nahm das Kopfkissen und drückte es kräftig auf das Gesicht des Phagen.