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»Natürlich. Phagen benutzen keine Füllwörter, die verräterisch sind.«

Lion schüttelte den Kopf, aber dieses Mal vor Begeisterung.

»Alex, darf ich…« Natascha, die schon lange um den Standspiegel herumgeschlichen war, blickte zu den Cremedosen.

»Selbstverständlich«, sagte er. »Von diesem Zeug habe ich massenhaft… Einen ganzen Abend habe ich mir eingebläut, was wohin geschmiert wird. Probier dieses Peeling da, mit zerstoßenen Muscheln und Lotusextrakt.«

»Und, wirkt es irgendwie besonders?«, fragte Natascha.

»Natürlich nicht. Ist doch egal, ob es Muschel oder Nussschale ist. Aber eine Dose kostet vierhundert Kredit.«

Natascha stieß einen Schrei aus und fing sofort an, ihr Gesicht einzureiben.

Alex wandte sich wieder zu uns: »Dann verließen wir heimlich den Edem. Die echten Bermanns planten, an ihrer Stelle Zwillinge dazulassen. Ehrlich gesagt, kamen wir unter dem Deckmantel der Zwillinge auch zu ihnen. Nur, dass wir jetzt alles umgedreht machten — heimlich flogen wir nach Neu- Kuweit, und die Bermanns blieben in ihrer Villa, um sich selbst zu spielen. Sie sind etwas extravagant, also haben ihre Mätzchen niemanden erstaunt.«

»Und was wolltet ihr auf Neu-Kuweit machen?«, erkundigte ich mich.

»Auf keinen Fall euch retten… Ich weiß es nicht, Stasj leitet die Operation. Aber selbst wenn ich es wüsste, würde ich nichts sagen.«

»Ihr wolltet euch sicher mit der Präsidentin des Inej treffen und sie dabei töten?«, überlegte Lion. »Aber…«

»Aber alle sagen, dass man sie nicht töten kann.« Alex nickte. »Das ist es. Es wäre nicht schlecht, das herauszufinden.«

»Und, ist es euch gelungen?«, fragte Lion weiter.

»Gar nichts ist gelungen. Die Präsidentin hat uns nicht empfangen, sie hat ihre Berater vorgeschickt. Um auf dem Platz ihre Prophezeiungen unters Volk zu bringen, dafür hat ihre Zeit gereicht…« Alex’ Gesicht war wütend und angespannt. Er wusste natürlich, wie Tien erniedrigt worden war. Das konnte er Inna Snow nicht verzeihen.

Ich fand, dass Alex eigentlich gar nicht so übel war. Boshaft — das stimmt, aber was konnte man schon erwarten, wenn einer von Geburt an in Zucht gehalten wird und lernt, sich zu verstellen und zu töten. Alex kannte ja nicht einmal seine Eltern, er wurde praktisch im Reagenzglas geboren. Er kannte nur Erzieher und Lehrer. Bis zum dritten Lebensjahr auch noch die Kinderfrauen, sie allein durften liebevoll mit den kleinen Phagen umgehen.

Danach war Schluss.

Sie wurden gelobt, wurden gefördert, doch sie zu umarmen oder zu streicheln wurde nicht empfohlen.

Aber so ist das Leben: Die Kämpfer gegen das Böse haben es nicht einfach. Natürlich nur dann, wenn es keine Streifenpolizisten sind, die für Ordnung in der Stadt sorgen, sondern solche Supermänner wie die Phagen oder die Garde des Imperators. Die wird ebenfalls von Kindesbeinen an ganz besonders erzogen.

Irgendwann einmal hatte Stasj einen Satz gesagt, der mich kichern ließ, dessen Sinn ich in Wirklichkeit aber nicht verstand: »Um gegen das ungeheuer Böse zu kämpfen, muss man ungeheuer gut sein.«

Wenn ich mir Alex jetzt anschaute, verstand ich das. Außerdem wusste ich, dass ihn Stasj niemals streicheln oder ihm eine Kopfnuss geben würde. Höchstens bei einer Aufgabe wie der jetzigen, wo Stasj den besorgten Vater spielte, aber dieses »So tun, als ob« war etwas ganz anderes. Und Alex selbst erwartete auch nicht, dass man ihn umarmen oder ihm etwas Liebevolles sagen würde.

Er war ein Soldat.

Er war die kleine Verkörperung des ungeheuer Guten.

Auch wenn ich auf einem elenden Planeten aufgewachsen war und nicht einmal einen zehnten Teil dessen, was Alex gelernt hatte, wusste oder konnte, auch wenn er jetzt ein Held war und ich nur ein Junge, der den Helden zwischen den Füßen herumlief — er tat mir leid. Er war viel unglücklicher, als ich jemals gewesen war.

Wie gut, dass ich kein Phag war!

»Wisst ihr, wie die Karriere von Inna Snow in Wirklichkeit begonnen hat?«, fragte währenddessen Alex. »Nein? Wir mussten alle Archive durchsieben, um es herauszufinden. Sie beendete ihr Studium der Soziologie, arbeitete als Soziologin und Psychologin und schrieb ihre Magisterarbeit. Dann begann auf Inej eine Wirtschaftskrise, Inna Snow verlor ihre Arbeit, fing aber als Nachrichtensprecherin beim Fernsehen an. Sie war äußerst ansehnlich…«

»Also hat sie ein normales Gesicht?«, fragte Lion interessiert. »Denn sie versteckt es die ganze Zeit unter einem Schleier…«

»Ein hübsches Gesicht«, bestätigte Alex nachdrücklich. »Als Nachrichtensprecherin war sie sehr populär. Aber vor sieben Jahren hörte sie auf, selbst vor der Kamera zu stehen, und übernahm eine Tätigkeit in der Marketingabteilung, um zu erforschen, welche Sendungen den Zuschauern besser gefallen, und dann entsprechende Empfehlungen zu erarbeiten. Danach wurden die Fernsehprogramme vom Inej ungeheuer beliebt. Das waren Kindersendungen wie ›Die Bastion des Imperiums‹, Fernsehserien für Hausfrauen, Shows für Männer und Bildungssendungen, zum Beispiel, wie man in zehn Minuten ein Mittagessen kocht.«

Ich erinnerte mich, dass ich auch manchmal »Lecker!« geschaut hatte — eine Sendung, in der lustige junge Schauspieler allerlei schmackhafte Gerichte zubereiteten und gleichzeitig Mundharmonika oder Gitarre spielten, jonglierten oder auf andere Art und Weise das Publikum unterhielten. Also gab es sogar bei uns einige Programme vom Inej.

»Bestimmt ist sie sehr talentiert«, dachte Alex laut. Wiederholte er die Meinung von Stasj oder hatte er selbst darüber nachgedacht? Ich wusste es nicht. »Sie hatte ein Gespür dafür, was bei den Zuschauern ankam und was nicht. Das konnte man natürlich schon vor ihr feststellen, aber sie war besser als alle anderen. Wie sie jedoch dazu kam, Programme in die Menschen einzuschleusen und wie sie diese in den Sendungen verstecken konnte — das wissen wir bislang noch nicht. Vielleicht hat ihr dabei jemand geholfen. Sie konnte ja auch ohne jegliche Programmierung Menschen davon überzeugen, ihr zu helfen. Und mit den Programmen erst… Zunächst erreichte sie, dass sie zur Präsidentin des Inej gewählt wurde.

Sie war nur sehr wenig als Politikerin in Erscheinung getreten, lediglich einige Male auf dem Bildschirm zu sehen — und mit einem Mal wurde sie von allen verehrt! Der Präsident selbst ging in den Ruhestand und veranlasste vorgezogene Wahlen. Könnt ihr euch das vorstellen? Damals war noch niemandem klar, was vor sich ging. Sie hatte das Programm auf ihrem Heimatplaneten aktiviert. Und es begann…«

»Alex«, meinte ich, »sag mal, hat man bereits herausgefunden, wie diese Programme funktionieren?«

Er nickte. »Ja, man hat es herausgefunden. Durch ihn…« Er nickte in Richtung Lion, der vor Stolz rot wurde. »Das Gehirn des Menschen kann arbeiten wie ein Computer. Dieser Effekt wird bei Onlinerechenoperationen genutzt, aber dabei berechnet das Gehirn eine fünfdimensionale Navigation, und hier schafft es eine virtuelle Welt, in der der Mensch zu leben beginnt. Alle diejenigen, bei denen das Programm funktionierte, bemerkten es nicht. Als sie aufwachten, glaubten sie, dass sie lebten wie zuvor, Inna Snow ihre Präsidentin war und der Imperator plötzlich beschlossen hatte, alle zu verdrängen, worauf der Krieg begann. In einer Nacht durchlebten sie ein ganzes Leben. Und dieses Leben überzeugte sie davon, dass Inna Snow zu den Guten gehörte, dass sie die beste Regierungschefin sei…«

»Und hatten alle die gleichen Träume?«

»Natürlich nicht. Wie können die Träume gleich sein bei einem Akademiker, einer Hausfrau und einem dreijährigen Kind? Alle hatten verschiedene Träume. Diejenigen, die von Abenteuern träumten, zogen in den Kampf. Wer von Reichtum und einem Leben in einem Penthouse träumte, wurde reich und lebte dort. Wer von Liebe träumte, verliebte sich… Aber immer waren Inna Snow und der Imperator präsent. Snow verkörperte das Gute, der Imperator das Böse.«

»Aber dann endete der Traum«, meinte ich und schaute aus den Augenwinkeln auf Natascha. Die war völlig mit den Cremes, Parfüms und Pudern beschäftigt. Wie ist sie nur im Wald ohne das alles zurechtgekommen?