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»Ada Schnee ist die Matrize von Inna Snow«, erklärte ich. »Sie hat zweitausend Klone. Sie regieren gemeinsam. Viele teilen ein gemeinsames Bewusstsein, aber einige haben es abgelehnt.«

Stasj nickte. Ich berichtete ihm nichts Neues.

»Stasj, wusstest du, dass ich auch ein Klon bin?«, fragte ich ohne Umschweife.

Lion entgleiste das Gesicht. Natascha schrie erstaunt auf und drängte sich an den Urgroßvater. Alex wälzte sich herum, beugte sich vom oberen Bett herab und schaute mich aufmerksam an, dann lachte er auf und legte sich wieder hin. Sein ganzes Gesicht war zerschrammt und voller blauer Flecken, als ob er geschlagen wurde, aber nicht vor kurzem, sondern schon vor ein paar Tagen. Einem Mädchen ähnelte der junge Phag mittlerweile kein bisschen mehr.

»Ich wusste es«, antwortete Stasj.

»Von Anfang an?«, wollte ich wissen. Wenn er »Ja« sagte, dann wäre das die letzte Frage, die ich ihm je gestellt hätte.

»Nein. Ich habe es erst auf dem Avalon erfahren. Und auch das nicht sofort… Ich wurde selbst gründlich wegen eines möglichen Seitenwechsels überprüft.« Er schwieg, dann meinte er: »Jetzt ist auch klar, warum wir alle zusammengesteckt wurden. Inna Snow lechzt nach der Fortsetzung der Show… Frag, Tikkirej. Ich werde auf alle deine Fragen antworten.«

»Ehrlich antworten?«, hakte ich nach.

»Ja. Wenn ich keine ehrliche Antwort geben kann, werde ich schweigen.«

»Wie ist es dazu gekommen, dass ich nach Neu-Kuweit kam und dich getroffen habe? War es die Einmischung der Phagen oder des Geheimdienstes des Inej?«

»Soweit ich weiß, war es Zufall«, antwortete Stasj bestimmt. »Ein Zufall, wie er bei jeder komplizierten Unternehmung passieren kann. Wir befragten die Mannschaft der Kljasma, ich flog auf deinen Planeten und überprüfte die Umstände… des Todes deiner Eltern. Es war Zufall, Tikkirej. Inna Snow wusste nichts von deiner Existenz. Es war nicht möglich, das Schicksal aller Klone zu verfolgen. Du kamst völlig zufällig auf Neu-Kuweit. Deine Eltern haben sich wirklich für dich aufgeopfert. Die Mannschaft der Kljasma hatte wirklich Mitleid mit dir und erlaubte dir deshalb, von Bord zu gehen. Dubistnichtdurchdiestandardmäßige Einwanderungskontrolle bei Verlassen des Raumschiffes gegangen, die Agenten des Inej haben zu spät von dir erfahren.«

»Wenn ich also das Raumschiff wie üblich verlassen hätte…«

»Hätte dich sofort der Resident des Inej aufgespürt und mit allen Ehren an einen sicheren Ort gebracht. Ich denke, dass du dich nicht auf die Übernahme eines fremden Bewusstseins eingelassen hättest. Aber man hätte dich überredet, auf der Seite des Inej zu stehen! Bestimmt!«

»Das ist nicht wahr!«, rief Natascha erbost aus. Aber ich wusste, dass Stasj Recht hatte. Als ob ich, gerade dem Raumschiff entflohen, fröhlich, naiv und lebensfroh wie ein Welpe, auf Hilfe von irgendeiner Seite verzichtet hätte! Als ob ich mich nicht über Tausende »Brüder« und »Schwestern« gefreut hätte!

Vielleicht wäre ich sogar mit dem fremden Bewusstsein einverstanden gewesen.

»Warum haben uns die Phagen nach Neu-Kuweit geschickt?«, fragte ich.

»Um die Reaktion der Gegenspionage des Inej zu beobachten. Und die Matrize zu finden.«

»Und du hast mir nichts gesagt…«, flüsterte ich.

Stasj rieb sich die Stirn. Zerstreut schaute er nach oben — vielleicht suchte er die Überwachungsapparaturen an der Decke, vielleicht die passenden Worte.

»Ich weiß nicht, ob du mich verstehen wirst, Tikkirej.«

»Versuch es!«, erwiderte ich. »Ich bin sehr verständnisvoll.«

»Weißt du Tikkirej, es gibt verschiedene Arten der Zuneigung. Ein Vater schickt seinen Sohn in den Krieg und wünscht ihm Sieg und Ehre. Ein anderer nimmt ihn am Schlafittchen, versteckt ihn im Untergrund und ist bereit, in den Tod zu gehen, um seinen Sohn vor dem kleinsten Übel zu bewahren. Es steht mir nicht an, zu urteilen, wer von den beiden Recht hat. Und du bist mir kein Sohn. Und für den Krieg bist du noch zu jung. Aus alldem folgt, dass ich dich einfach benutzt habe. Hintergangen. Aber dem ist nicht so. Ich konnte nicht gegen dein Schicksal handeln.«

»Welches Schicksal?«, fragte ich fordernd.

»Wenn ich das wüsste! Aber eines ist es gewiss nicht — auf dem Avalon in die Schule gehen und Schneeballschlachten machen. Indem du nach Neu-Kuweit gegangen bist, konntest du in einem großen Krieg helfen. Tausende, Millionen von Leben retten. Und das hast du gemacht.«

»Gemacht? Wie?« Ich lachte auf. »Ich konnte nicht einmal die Matrize töten, obwohl ich mit aller Kraft auf sie geschossen habe! Ich habe nichts erreicht. Ich kann gar nichts anderes, außer auf dem Avalon zur Schule zu gehen und mit Schneebällen zu schmeißen! Du hast doch Alex, ihr hättet ihn maskieren können, damit er aussieht wie ich, und ihn herschicken können! Es ist das Schicksal eines Phagen, gegen Schurken zu kämpfen! Warum mischt ihr euch dann in mein Leben ein?«

Ich verstummte, weil ich mir in diesem Augenblick die Antwort vorstellte:

»Also hätte man dich auf Neu-Kuweit zurücklassen sollen?«

Aber das sprach Stasj nicht aus.

Alex, der sich immer noch im Bett herumwälzte, mischte sich ein. »Du mühst dich umsonst, Stasj. Er wird nichts verstehen! Außerdem hat er Recht: Er sollte in die Schule gehen, Fußball spielen und im Fluss baden.«

»Und warum habt ihr Lion hierhergeschickt?«, fuhr ich, angeregt von der unerwarteten Unterstützung, fort. »Warum habt ihr ihn betrogen?«

»Ich hab es selbst gewollt«, sagte Lion unerwartet. »Ich wollte zu meinen Eltern. Auch wenn sie hirnamputiert sind, sie sind meine Eltern.«

»Natascha?« Ich schaute sie an. »Sag, hab ich Recht?«

Sie zuckte mit den Schultern.

An ihrer Stelle fing der alte Semetzki an zu reden: »Tikkirej, ein Rennpferd spannt man nicht vor den Pflug. Nimm einmal an, du wärst jetzt auf dem Avalon. Wir anderen alle wären hier. Und du auf dem Avalon. Du hast Schule. Danach gehst du nach Hause, isst etwas und siehst fern. Würde dir das gefallen?«

»Das ist doch egal! Ich bin hier!«

»Stell es dir trotzdem vor!«, wiederholte Semetzki hartnäckig, »Das ist eine Art Spiel. Wenn dir irgendetwas nicht gefällt, stell dir vor, wie es anders sein könnte.«

»Das ist nicht fair.«

»Warum nicht fair? Nein, sag mir, möchtest du auf dem Avalon sein?«

»Ja!«, erwiderte ich boshaft.

Überraschend mischte sich Stasj ein: »Frag die Matrize. Sie schicken dich zum Avalon zurück.« Ich konnte darüber nur lachen. Aber Stasj fuhr hartnäckig fort: »Du hast keine Ahnung, welche Gefühle die Klone füreinander empfinden. Besonders die Matrize zu ihren Klonen. Du kannst auf die Matrize schießen, das mindert ihre Sympathie zu dir nicht. Du bist für sie nur ein verirrtes, betrogenes Kind. Sie löschen in deinem Gedächtnis alles, was du von dem weißt, was auf Neu- Kuweit passiert ist, und schicken dich zum Avalon. Glaub mir! Du musst sie lediglich darum bitten.«

»Das ist kein Ausweg!«, rief ich. »Und du weißt selbst, dass ich das nicht will! Das wäre fast wie Selbstmord, das Gedächtnis zu löschen!«

»Dann bitte darum, dass sie dich hier in Ruhe lassen, auf einem Planeten des Inej«, schlug Stasj vor. »Du wirst in die Schule gehen, Fußball spielen und angeln. Worin besteht da der Unterschied für dich?«

Ich glaubte bei mir, dass Stasj wahrscheinlich Recht hatte. Ich erinnerte mich lebhaft daran, welche Sorge in der Stimme von Ada Schnee mitgeklungen hatte: »Ihr haftet für ihn mit eurem Kopf!«

»Worin besteht der Unterschied? Und wenn der Krieg ausbricht? Was wird dann?«

»Es wird keinen Krieg geben«, meinte Stasj müde. »Das Imperium hat Verhandlungen mit Inej begonnen. Der Status quo wird vereinbart: die Existenz von zwei menschlichen Zivilisationen in der Galaxis. Sollen sie sich ruhig ihrer Herrschaft freuen. Sollen sie die Gesellschaft aufbauen, die ihnen gefällt. Die Zeit wird zeigen, wer Recht hat.«

»Schnee wird sich niemals darauf einlassen! Sie fordert alles und das sofort!«

»Alles, aber nicht sofort. Ihnen ist klar, dass sie gegenwärtig nicht im Vorteil sind. Inej kann das Imperium zerstören, aber nicht besiegen. Snow und alle anderen Klone brauchen keine in Asche gelegten Planeten. Der Imperator braucht sie auch nicht. Es wird einen schalen Frieden geben.«