Und zudem gab es keine Kuppel über dem Kopf…
Den eigentlichen Sonnenaufgang konnte ich nicht sehen, der Wald störte.
Es war aber trotzdem beeindruckend, wie der Himmel hell wurde, sich von Schwarz in Tiefblau färbte, wie die Sterne verblassten — alle außer den zwei, drei hellsten, die auch tagsüber zu sehen waren, wenn man genau hinschaute.
Ab und an flogen Linienflugzeuge oder winzige Flyer in großer Höhe vorüber. Raumschiffe starteten mindestens einmal pro halbe Stunde. Ich hatte mich noch niemals so wohl gefühlt. Und die Hauptsache war, dass ich jetzt endgültig davon überzeugt war, dass ich immer und überall guten Menschen begegnen würde. Solchen, wie der Mannschaft der Kljasma oder Kapitän Stasj.
Wie sollte ich da nicht mit meinen Problemen fertig werden?
»He, kann ich mich zu dir setzen?«
Ich wandte mich um und erblickte einen Jungen meines Alters, vielleicht etwas älter. Er stand da mit irgendeinem Getränk und schaute mich recht unfreundlich an.
»Na sicher, setz dich.« Ich rückte sogar etwas meinen Stuhl, um ihm am Tisch Platz zu schaffen.
»Hier ist der beste Platz, um den Sonnenaufgang zu beobachten«, erklärte der Junge, »hast du dich deshalb hierher gesetzt?«
»Ja. Das ist also dein Platz?«
»Meiner. Okay, bleib sitzen, ich habe ihn ja nicht gepachtet.«
Wir beäugten uns vorsichtig. Bei Erwachsenen ist es einfach, herauszufinden, ob sie gut oder schlecht sind. Er jedoch war mein Altersgenosse und ähnelte überhaupt keinem meiner Freunde. Er war dunkel, dünn und sicher floss eine große Portion asiatischen Bluts in seinen Adern.
Seine Frisur war sehr eigenartig, seitlich verschoben, sodass der Neuroshunt über dem rechten Ohr unbedeckt war. Bei uns war es umgekehrt: Alle verdeckten den Shunt mit den Haaren. Er trug einen weißen Anzug, als ob er gerade auf dem Weg ins Theater oder zu einer Versammlung wäre.
»Wie heißt du?«, fragte der Junge.
»Tikkirej. Oder Tik, oder manchmal Kir. Aber das ist für Freunde.«
Er dachte einen Moment lang nach.
Dann sagte er: »Ich heiße Lion. Nicht Leon, sondern Lion. Kapiert?«
»Kapiert.«
Wir verstummten. Die Kellnerin ahnte, dass wir nichts mehr bestellen würden und verschwand in den Tiefen des Restaurants.
»Kommst du von hier?«, wollte Lion wissen.
»Nein, ich bin erst gestern gelandet. Ich komme vom Karijer. Das ist ein Erzplanet.«
Lion sagte lächelnd: »Und ich bin schon seit einer Woche hier. Wir kommen von Service-7, das ist eigentlich gar kein Planet, sondern eine Raumstation im offenen intergalaktischen Raum. Dort gibt es eine bequeme Zeittunnelkreuzung, und deshalb wurde beschlossen, eine Raumstation zu bauen! Die nächste Kolonie von uns ist Dshabber in acht Lichtjahren Entfernung.«
»Oho!«, rief ich aus.
»Meine Eltern haben beschlossen, dass es an der Zeit wäre, auf einen Planeten umzuziehen und nicht weiter als Kosmonauten zu leben. Ich habe noch eine jüngere Schwester und einen Bruder. Wenn du sie ärgerst, poliere ich dir die Fresse!«
»Aber ich habe doch gar nicht vor, sie zu ärgern!«
»Ich sage das für den Fall der Fälle«, teilte Lion mit, »damit du Bescheid weißt. Hast du Geschwister?«
»Nein.«
»Und was sind deine Eltern? Mein Vater ist Ingenieur, meine Mutter Programmiererin.«
»Meine Eltern sind gestorben.« Ich ging nicht ins Detail.
»Oh, entschuldige«, Lion änderte sofort seinen Ton. »Und mit wem bist du hier?«
»Allein.«
»Hast du etwa eine Staatsbürgerschaft?«
»Ja, die des Imperiums.«
Es sah ganz so aus, als ob er mich ein wenig beneidete. Nur warum? Bei uns erhält man die Staatsbürgerschaft, sobald der Verbrauch von Sauerstoff und Nahrungsmitteln die Hälfte der Erwachsenenration beträgt.
»Und du möchtest nach Neu-Kuweit umziehen?«
»Ja.«
»Prima«, Lion streckte mir seine Hand entgegen. »Wir verzichten darauf, uns zu schlagen, Tikkirej, einverstanden?«
»Einverstanden.« Ich war verwirrt. »Wäre das nötig gewesen?«
»Na, zum Kennenlernen. Bei uns ist das so üblich… war das so üblich. Aber wir sind ja auf einem neuen Planeten.«
Wir fingen beide an zu lächeln. Lion war sicher kein Schlägertyp und die Aussicht auf eine Schlägerei wegen einer Bekanntschaft bedrückte ihn.
»Hier ist es schön, stimmt’s«, fragte er.
»Hm. Bei uns lebt man unter Kuppeln, die Atmosphäre ist sehr staubig. Solch eine Morgendämmerung gibt es nicht.«
»Wir hatten überhaupt keine Sonne«, gab Lion zu. »Über der Station hing eine riesige Plasmakugel zur Beleuchtung. Aber das ist nicht das Richtige. Und sie wurde nie ausgeschaltet, nicht einmal nachts. Nur das Spektrum wurde leicht geändert.«
»Unsere Sonne ist sehr aktiv«, erklärte ich. »Deshalb sind wir etwas mutiert, positiv. Um die Radioaktivität auszuhalten. Ich vertrage radioaktive Strahlung hundertmal besser als ein gewöhnlicher Mensch.«
»Ich habe lediglich die allgemeinmedizinische Mutation, die übliche…«, erwiderte Lion sauer auf diese Neuigkeiten. »Und die Knochen sind an niedrige Gravitation angepasst. Tikkirej, kannst du schwimmen?«
»Natürlich kann ich das.«
»Gehen wir!«
Er trank mit einem Zug sein Glas leer und stand auf: »Hier ist ein See, zwanzig Minuten zu Fuß. Ein echter, natürlicher See. Die Ufer sind mit Wasserpflanzen zugewachsen und es gibt Fische. Bringst du mir bei, wie man schwimmt?«
»Ich will es versuchen…«
Lion zog mich bereits hinter sich her und redete ohne Pause: »Ich hab meinen Vater gebeten, es mir zu zeigen, und er meinte, dass er keine Zeit habe. Ich glaube, er kann selber nicht schwimmen. Bei uns auf der Station gab es nur zwei Schwimmbecken, beide total winzig. Ich bringe dir auch etwas bei, willst du? Zum Beispiel, wie man sich bei niedriger Gravitation schlagen muss. Da gibt es eine spezielle Kampfart. Und wieso ist dein Gesicht voller Flecken, ist das auch eine Mutation oder eine Krankheit?«
»Das ist eine Allergie.«
»Ah, die hatte ich irgendwann auf Schokolade und Apfelsinen. Gemeinheit, oder? Warum gerade auf Schokolade und Apfelsinen und nicht auf Blumenkohl und Milch…« Gegen Abend war mir klar, dass ich einen neuen Freund gefunden hatte. An einem Tag konnte Lion natürlich nicht schwimmen lernen, aber am Ufer hielt er sich schon über Wasser. Wir sonnten uns und erklärten diese Stelle zu unserem gemeinsamen Stabsquartier, solange wir im Motel wohnen würden. Lion erzählte, dass es im Hotel noch drei Familien gäbe, die auf die Aufenthaltsgenehmigung warteten, aber in einer wären die Kinder noch ganz klein, in der zweiten gäbe es nur einen Säugling und in der dritten wäre der Junge eine dicke Rotznase, die mit niemandem reden wolle und immer ihrer Mama hinterherlaufen würde.
Wir brüsteten uns gegenseitig mit unseren Shunts — Lion hatte einen viel besseren, mit eingebautem Radio, sodass er sich nicht wegen jeder Kleinigkeit zu verkabeln brauchte. Im Gegenzug prahlte ich, dass ich als Modul auf einem Raumschiff geflogen sei, und Lion wurde echt sauer. Das war ein richtiges Abenteuer, nicht wie ein Flug zusammen mit Mama und Papa im Passagierraumschiff.
Seine Eltern lernte ich ebenfalls kennen. Es schien so, als ob sie sich über unsere Freundschaft freuten und es ihnen sehr leidtat, dass ich derartige Probleme mit der Erlangung der Neu- Kuweiter Staatsbürgerschaft hatte. Wir saßen an einem richtigen Lagerfeuer, ich wurde mit köstlichem Grillfleisch direkt vom Grill bewirtet, und danach versprachen sie, mich mit Lion in einigen Tagen mitzunehmen, um die Hauptstadt zu besichtigen. Seine Geschwister erwiesen sich als noch klein und dumm, aber sie wurden bald schlafen gelegt, sie störten uns fast nicht.