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Seit zwei Jahren waren sie nun ein Paar und eigentlich funktionierte es prima. Irgendwie passten sie wunderbar zusammen. Ronnie ärgerte sich, bei der Diskussion um die heutige Übernachtung so unnachgiebig gewesen zu sein und es auf einen handfesten Streit angelegt zu haben. Andererseits hätte auch Sandy nachgeben können und ihm eine Nacht im Hotel zugestehen können. Eine Nacht in einem richtigen Bett, eine Nacht, um ihre Klamotten zu trocknen und sich in einer heißen Badewanne zu entspannen. Eine Nacht, in der sie sich nicht auf einer langsam aber stetig erschlaffenden Luftmatratze lieben musste.

Wie auch immer, es war anders gekommen und nicht mehr zu ändern. Sie waren im Streit auseinandergegangen und er würde alles dransetzen, Sandy vor Einbruch der Nacht wiederzufinden und ihr ein Friedensangebot zu unterbreiten.

Aber warum ging sie nicht an ihr Handy? War sie noch immer wütend? Hatte sie keine Lust, sich zu versöhnen?

Eigentlich konnte er es sich kaum vorstellen, denn Sandy war normalerweise nicht besonders nachtragend. Das war eher eine Schwäche, die er sich selbst eingestehen musste.

Er erreichte den Eingang. Hinter einem kleinen Tresen hockte eine junge Frau und kassierte von jedem Gast fünf Euro Eintritt.

„Sind aber Mindestverzehr. Kannste also komplett versaufen“, sagte sie mit einer überraschend piepsigen Stimme.

Ronnie betrachtete ihr Gesicht, während er einen Geldschein aus der Hosentasche angelte. Das Mädchen war ausgesprochen hübsch, zumindest sofern er das durch die üppige Schminkschicht hindurch beurteilen konnte. Ein winziger Brillantstecker funkelte in ihrem rechten Nasenflügel und kleine Silberringe schmückten die Unterlippe sowie die rechte Augenbraue. Mit ihren schwarz umrandeten, blauen Augen funkelte sie ihn an.

„Hier, ein Fünfer zurück und deine Verzehrkarte. Nicht verlieren, sonst is´n Fuffi fällig.“

Ronnie nickte, ließ das Geld und die gelbe Pappkarte in der Seitentasche seiner Cargohose verschwinden und betrat die Disco.

Ohrenbetäubende House-Musik und feuchtheißes Waschküchenklima schlugen ihm entgegen, als er den schummrigen Vorraum verließ und den Hauptraum betrat, in dem sich neben einer langgezogenen Bar auch die Tanzfläche befand. Für diese Uhrzeit war der Laden schon überraschend voll.

Na klar, wo sollte man am Freitagabend in einem Kaff schon hingehen, in dem es nicht einmal ein Kino gab?

Ronnie sah sich um.

Über der Tanzfläche entdeckte er einen dicken, knallgelben Engel. Er war etwa zwei Meter groß und hing an einem an der Decke befestigten Stahlseil. Ein Motor sorgte offenbar dafür, dass er sich unentwegt um die eigene Achse drehte, wobei er sein unübersehbares und deutlich überdimensioniertes Gemächt völlig schamlos der anwesenden Dorfjugend präsentierte. Da er sein Ding dabei in den Händen hielt, erweckte er den Eindruck, direkt auf die tanzende Menge zu urinieren.

Typisch Dorfdisco, dachte Ronnie und beschloss, das bunte Treiben von der Bar aus zu beobachten. Vielleicht hatte er ja sogar das Glück, Sandy irgendwo in der Menge zu finden. Falls nicht, würde er einfach ein paar Leute fragen, ob sie ihnen eventuell aufgefallen war. Klar, es war die viel zitierte Suche nach der Nadel im Heuhaufen, aber letztlich seine einzige Chance. Zumindest solange Sandy sich weigerte, seine Anrufe anzunehmen. Er zog das Handy aus der Hosentasche, um es auf entgangene Anrufe hin zu überprüfen.

Fehlanzeige.

Dann steuerte er einen freien Hocker an winkte den Barkeeper zu sich heran.

„Ein Becks“, brüllte er, wobei er sich weit über die Theke lehnte, um überhaupt eine Chance zu haben, sich gegen die wummernden Bässe durchzusetzen.

Der Typ hinter der Theke nickte und machte sich an einem Kühlschrank an der Rückseite der Bar zu schaffen. Dann stellte er Ronnie die geöffnete Flasche hin, strich mit einem schwarzen Filzstift zwei Euro fünfzig von Ronnies Verzehrkarte ab und widmete sich einem blonden Mädel in grenzwertig aufreizendem Outfit, das zwei Barhocker neben Ronnie Platz genommen hatte.

Ronnie nippte an seinem Bier und wandte sich der Tanzfläche zu.

Eine ganze Weile beobachtete er die Tanzenden, ohne eine Spur von Sandy zu entdecken.

Wäre ja auch zu einfach gewesen.

Eine junge Frau, Ronnie schätzte sie auf etwa achtzehn Jahre, lief an ihm vorbei. Ronnies Augäpfel schienen plötzlich ihren eigenen Willen zu entwickeln und sein Blick folgte dem Mädchen quer durch den Raum. Ihre Jeans waren so kurz abgeschnitten, dass sie mit Sicherheit den Blick auf ihre Pofalten freigegeben hätten, wenn eine schwarze Leggins diesen nicht auf Phantasie weckende Weise vereitelt hätte.

Während Ronnies Blick an den Beinen der jungen Frau hinunterwanderte, erregte plötzlich etwas völlig anderes seine Aufmerksamkeit. Es war nur eine Kleinigkeit, ein auf dem Fußboden liegender Gegenstand, der ihm irgendwie vertraut vorkam. Er stellte sein Bier auf der Theke ab und sprang von dem Hocker herunter.

Und just in dem Moment, in dem er sich nach besagtem Gegenstand bückte, kreuzten zwei rosafarbene Prinzessin Lillifee Schuhe mit integrierten Blinkleuchten seinen Weg, stiegen ihm beinahe auf die rechte Hand und das Mädchen, zu dem die Schuhe gehörten, hob den von ihm anvisierten Gegenstand auf.

Scheiße.

Ronnie erhob sich vom Boden und ehe er sich versah, ließ die Kleine den Gegenstand in ihrer Hosentasche verschwinden und wandte sich zum Weitergehen. Ronnie tippte dem Mädchen auf die Schulter, so dass sie stehenblieb und sich zu ihm umdrehte. Das Mädel war höchstens zwölf, aber aufgetakelt wie eine Achtzehnjährige. Abgesehen von ihren bei jedem Schritt blinkenden Schuhen.

Was um alles in der Welt machte die um diese Uhrzeit in so einem Laden?

Es war wohl kein Wunder, dass immer mehr Kinder vor die Hunde gingen, wenn es ihre Eltern einen Dreck interessierte, wo sich ihre Schützlinge nach Einbruch der Dunkelheit so herumtrieben.

„Entschuldige, du hast da gerade etwas eingesteckt.“

„Ja. Na und?“, giftete die Kleine ohne jede Vorwarnung. Ihre Augen funkelten ihn angriffslustig an. „Was geht dich das an?“

„Ich glaube, der Gegenstand gehört mir.“

„Tja, Pech gehabt, Alter. Das kann ja jeder behaupten:“

„Kannst du es mir bitte zurückgeben?“

Das Mädchen schüttelte grinsend den Kopf. Eine rosafarbene Kaugummiblase quoll aus ihrem Mund hervor und wuchs zu gigantischer Größe an. Als sie zerplatze, ging der dazugehörige Knall im Discolärm unter.

Ronnie legte seine Hand auf die Schulter des Mädchens. „Zeig es mir wenigstens. Ich muss nur wissen, ob es wirklich das ist, was ich glaube.“

In diesem Moment krallte sich eine Hand in Ronnies Oberarm und riss ihn unsanft herum.

Der Typ, dem sich Ronnie nun gegenübersah, war einen halben Kopf größer als er. Dicke Adern zogen sich wie Spinnennetze über seine muskulösen Oberarme.

„Gibt´s hier irgendein Problem?“

Ronnie schüttelte den Kopf.

„Was grabscht du dann meine kleine Schwester an?“

„Ich habe sie nicht angegrabscht, ich habe sie lediglich etwas gefragt. Sie hat eine Sache gefunden und ich glaube, dass sie mir gehört.

Der Typ sah das kleine Mädchen an und sagte etwas, das Ronnie nicht verstehen konnte.

Die kleine schüttelte trotzig den Kopf.

„Sie sagt, es stimmt nicht.“

„Sie lügt“, brüllte Ronnie gegen die ohrenbetäubende Musik und erntete dafür einen bitterbösen Blick des Muskelprotzes, an dessen Stiernacken nun ebenfalls schwülstige Adern hervortraten.