Bevor er sich von dem Überraschungsangriff erholt hatte, traf ihn der nächste Schlag. Dieses Mal hieb der Alte den Schlüssel in seinen Bauch. Kid stürzte vornüber, ihm blieb die Luft weg. Tränen stiegen in seine Augen, während der über den Boden rollte, um dem nächsten Schlag auszuweichen.
Gerade noch rechtzeitig.
Krachend hieb das Metall in den Fußboden. Funken sprühten und das Echo hallte laut und hässlich in Kids Ohren wider. Er robbte über den Fußboden, während der Alte ihm weiter nachsetzte.
„Mach, dass du hier raus kommst, Bürschchen! Oder ich schlag dich so windelweich, dass dich nicht einmal deine eigene Mutter wieder erkennt!“
Kids Augen tränten noch immer. Seine Umgebung verschwamm. Dann stolperte er, krachte gegen einen an der Wand befestigten Gegenstand. Geistesgegenwärtig riss er ihn aus der Halterung, zog den Sicherheitssplint und zielte mit dem Ende des kurzen Gummischlauches auf den heranstürmenden Alten.
Dieser war dermaßen überrascht, als sich der Schaum des Feuerlöschers über seinem Gesicht ausbreitete, dass er seinen Angriff tatsächlich unterbrach. Wild begann er, sich mit der freien Hand den Schaum aus den Augen zu reiben, bevor er den Schraubenschlüssel fallenließ, um auch die zweite Hand zu Hilfe nehmen zu können.
Auf diesen Augenblick hatte Kid gewartet.
Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er das Messer aus seiner Hosentasche, ließ die glänzende Stahlklinge herausspringen und machte einen Schritt auf den noch immer eingeschäumten Werkstattbesitzer zu.
Bevor dieser wusste, wie ihm geschah, befand sich Kid hinter ihm und hieb ihm mit einer blitzschnellen und beinahe unsichtbaren Bewegung das Messer seitlich in den Hals.
Der Mann gab ein kurzes Grunzen von sich, drehte sich um und sah Kid mit weit aufgerissenen Augen an.
Kid blickte auf die blutige Klinge seines Messers.
Volltreffer.
Dann kippte der Alte rückwärts in Richtung der Hebebühne.
Öl spritze nach allen Seiten, als der schwere Körper in die tiefschwarze Flüssigkeit klatschte. Kid beobachtete, wie der Körper des Mannes zu seiner großen Überraschung vollständig in der widerlichen Brühe der Ölwanne versank.
Du meine Güte, dachte er. Wie lange hat diese Grube niemand mehr geleert?
Kid zuckte mit den Schultern. Schließlich konnte es ihm nur recht sein, wenn die Leiche des Alten so lange wie möglich verschwunden blieb.
Erneut fiel sein Blick auf das Messer in seiner Hand.
Das war knapp, murmelte er. Auch wenn er den Tod des Werkstattbesitzers in keiner Weise geplant hatte, war er doch die einzige Möglichkeit gewesen, die Situation zu bereinigen.
Schließlich waren sie ohnehin schon viel zu spät dran.
Er ließ das Messer wieder in seiner Hosentasche verschwinden und klopfte den Staub von seiner Kleidung. Dann sah er auf die Uhr, die direkt neben dem Rolltor hing und verglich die angezeigte Zeit mit den Zeigern seiner Armbanduhr.
Höchste Zeit. Bevor mein Brüderchen noch auf dumme Gedanken kommt.
Er wusste, dass sein Bruder manchmal schnell die Kontrolle über sich selbst verlor.
Das Ersatzrad vor sich her rollend, verließ er pfeifend die Werkstatt.
KAPITEL 14
„Und diesen Zettel hat sie dir tatsächlich gegeben? Für mich?“, fragte Ronnie den Barkeeper, der ihm immer noch gegenüberstand und ihn schweigend angrinste. „Woher wusste sie denn, dass ich hier auftauchen würde?“
„Keine Ahnung. Vielleicht so was wie weibliche Intuition. Jedenfalls hat sie gesagt, dass ich dir diesen Zettel geben soll. Das habe ich hiermit getan. Alles klar? Ich habe noch zu tun.“ Dann widmete er sich wieder voll und ganz der Blondine, die ihren Cocktail inzwischen ausgetrunken hatte und sich sichtlich langweilte.
Ronnie zerknüllte den Zettel und warf ihn auf den Boden.
Lass mich einfach in Ruhe, hatte Sandy geschrieben.
Was sollte der Scheiß? Hatte sie diesen Zettel wirklich hier an der Bar für ihn hinterlegt? Er beschloss, den Laden zu verlassen und sich auf dem Parkplatz umzuhören. Vielleicht würde er dort noch etwas herausfinden.
Ronnie schob sich durch die immer voller werdende Disco. Schweißnasse Körper rieben sich an ihm, drängelten, schubsten und in der Luft hing eine Mischung aus Schweiß und süßem Parfüm. Als er den Ausgang erreichte, legte er Miss Piercing wortlos seine Verzehrkarte vor.
„Schon fertig? Du bist doch eben erst gekommen. Und deinen Mindestverzehr hast du auch noch nicht eingelöst. Solche Kunden könnten wir öfter brauchen. Hat´s dir nicht gefallen?“
„Doch. Klasse Laden. Danke“, entgegnete Ronnie und wollte die Unterhaltung so schnell wie möglich beenden, als ihm eine Idee kam.
„Sag mal, hast du dieses Mädchen gesehen?“, fragte er und legte Sandys Foto neben die Kasse.
„Sieht nett aus. Deine Freundin?“ Sie nahm das Foto in die Hand und betrachtete es eingehend.
Ronnie nickte.
„Sie ist verschwunden und ich bin auf der Suche nach ihr. Ich glaube, dass sie heute Abend hier gewesen ist. Kannst du dich vielleicht an sie erinnern?“ Noch während er es aussprach, wunderte er sich selbst über seine eigene Wortwahl.
Sie ist verschwunden.
Genau genommen war Sandy ja gar nicht verschwunden. Sie beide waren lediglich im Streit auseinandergegangen und nun war er auf der Suche nach ihr. Ja, so musste es richtig heißen.
Hoffentlich.
Plötzlich beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl. Es war das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.
Die junge Frau überlegte kurz.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass sie vor einer Stunde oder so mit diesem Typ abgehauen ist.“
„Mit was für einem Typ denn?“ Langsam kamen Ronnie Zweifel, ob die Geschichten, die man ihm hier aufzutischen versuchte, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Das alles sah seiner Sandy überhaupt nicht ähnlich. Weder diese ominöse Nachricht, die sie angeblich für ihn hinterlassen hatte, noch die Aussage, dass sie sich mit einem Typ aus dem Staub gemacht haben sollte.
„Kannst du dich erinnern, wie dieser Kerl ausgesehen hat?“
Die junge Frau schürzte die Lippen und Ronnie konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Nein, der war nicht besonders auffällig. Schlank, vielleicht ein bisschen kleiner als du. Vielleicht auch ein bisschen größer. Keine Ahnung, hab da nicht so drauf geachtet. Nur seine Karre ist mir aufgefallen. Stand da drüben unter den Bäumen.“ Sie deutete auf die andere Straßenseite. „Da wo jetzt der Gelbe steht. Da hat er geparkt.“
„Was war denn so auffällig an seinem Wagen?“
„Der Wagen war eigentlich ganz normal. Aber wie krank musst du sein, am Wochenende mit einem Leichenwagen in die Disco zu fahren?“
„Mit einem Leichenwagen? Hast du gerade gesagt, dass die Frau auf diesem Foto mit einem Kerl in einen Leichenwagen gestiegen ist?“
„Hab ich doch eben gesagt, oder?“
„So eine verfluchte Scheiße.“ Ronnie riss dem verdatterten Mädel das Foto aus der Hand und rannte los.
Außer Atem erreichte er seinen Wagen, der völlig alleine in einer verlassenen Ecke des ansonsten gut gefüllten Parkplatzes stand. Das liebestolle Pärchen von vorhin war samt seiner tiefergelegten Fummelkiste verschwunden und auch sonst hatte sich niemand neben ihn gestellt.
Sofort fiel sein Blick auf den platten Vorderreifen. Die Ursache war eindeutig. Jemand hatte die Ventilkappe abgeschraubt und ihm die Luft abgelassen. Und dieser jemand hatte eine mit Lippenstift geschriebene Nachricht auf seiner Windschutzscheibe hinterlassen.