»Ist noch viel übrig geblieben?«
»Störe mich nicht, um Gottes willen, störe mich nicht, schweig!«
Arkadij Iwanowitsch ging auf den Fußspitzen zum Bett und setzte sich hin; nach einer Weile wollte er schon wieder aufstehen, besann sich aber, daß er seinen Freund damit stören könnte und blieb sitzen, obwohl es ihm bei seiner Aufregung sehr schwer fieclass="underline" die Nachricht hatte ihn offensichtlich furchtbar aufgeregt, und seine Begeisterung war noch nicht abgekühlt. Er warf Schumkow einen Blick zu; auch dieser warf ihm einen Blick zu, lächelte, drohte mit dem Finger, zog furchtbar die Brauen zusammen (als ob davon seine Kraft und der ganze Erfolg der Arbeit abhingen) und vertiefte sich wieder in die Arbeit.
Auch er schien seine Aufregung noch nicht überwunden zu haben: er wechselte einigemal die Feder, rückte auf seinem Stuhle hin und her, nahm immer neue Stellungen ein, fing immer von neuem an, doch seine Hand zitterte und wollte ihm nicht gehorchen.
»Arkascha! Ich habe ihnen auch von dir erzählt!« schrie er plötzlich auf, als wäre es ihm erst eben eingefallen.
»So?« rief Arkascha, »und ich wollte dich gerade danach fragen! Nun?«
»Nun! Ach, ich werde dir alles später erzählen! Bei Gott, es ist meine Schuld; ich hatte eben meinen Vorsatz vergessen, kein Wort zu sprechen, bevor ich nicht vier Bogen abgeschrieben habe. Und nun mußte ich wieder an sie und dich denken. Ich kann, mein Lieber, gar nicht schreiben: muß immer an euch denken …« Wassja lächelte.
Beide verstummten für eine Weile.
»Pfui! Was für eine elende Feder!« rief Schumkow plötzlich aus und warf die Feder auf den Tisch hin. Er nahm wieder eine neue Feder.
»Wassja! Höre einmaclass="underline" nur ein Wort …«
»Gut! Aber schnell und zum allerletztenmal …«
»Ist dir noch viel übriggeblieben?«
»Ach, mein Lieber! …« Wassja machte ein Gesicht, als ob es in der Welt nichts Schrecklicheres und Tödlicheres gäbe, als diese Frage. »Es ist noch viel, furchtbar viel!«
»Weißt du, mir kommt eben eine Idee …«
»Was für eine?«
»Nein, nein, schreibe nur weiter.«
»Nun was denn? Was wolltest du sagen?«
»Die Uhr geht schon auf sieben!«
Nefedewitsch lächelte bei diesen Worten Wassja zu, allerdings etwas unsicher: er wußte nicht, wie Wassja es aufnehmen würde.
»Also was denn?« fragte Wassja. Er hörte sofort zu schreiben auf, blickte ihm gerade in die Augen und erbleichte vor Erwartung.
»Weißt du was?«
»Um Gottes willen, was denn?«
»Weißt du was? Du bist zu aufgeregt und wirst wohl sowieso nicht viel zustandebringen … Warte, warte, warte, ich weiß schon, was du sagen willst, höre einmal!« sagte Nefedewitsch, in seiner Begeisterung vom Bette aufspringend und Wassja, der etwas entgegnen wollte, unterbrechend, um jedem Einwand zuvorzukommen: »Vor allen Dingen mußt du dich doch beruhigen und dich sammeln! Nicht wahr?«
»Arkascha! Arkascha!« rief Wassja und sprang von seinem Platze auf. »Ich werde die ganze Nacht durcharbeiten, bei Gott, die ganze Nacht!«
»Nun ja, gewiß! Doch gegen Morgen wirst du einschlafen …«
»Ich werde nicht einschlafen, um nichts in der Welt …«
»Nein, nein! Das geht nicht! Du mußt: um fünf Uhr kannst du dich schlafen legen, und um acht werde ich dich wecken. Morgen ist Feiertag; du setzt dich hin und schreibst den ganzen Tag … und dann wieder die Nacht … Ist noch viel übriggeblieben?«
»Hier! Schau her!«
Wassja zeigte ihm, vor Erregung und Erwartung zitternd, das Heft: »Schau her!«
»Weißt du, mein Lieber: es ist ja gar nicht viel!«
»Mein Lieber, das ist noch nicht alles: es ist noch etwas da!« sagte Wassja und blickte dabei Nefedewitsch so schüchtern an, als hinge von diesem der Entschluß ab, ob sie hingingen oder nicht.
»Wieviel?«
»Zwei Bogen …«
»Nun, was meinst du? Ich meine, wir werden damit noch fertig, bei Gott, wir werden fertig!«
»Arkascha!«
»Wassja! Höre einmal! Den Sylvesterabend verbringen doch alle Leute bei bekannten Familien, nur wir beide sind so gottverlassen und wie obdachlos … Ja, Wassinka!«
Nefedewitsch umarmte Wassja und erdrückte ihn beinahe in seinen Löwentatzen.
»Arkadij, es ist abgemacht!«
»Wassjuk, ich wollte dir nur noch das sagen. Sieh mal, Wassjuk, mein Dicker! Hör einmal! Hör einmal! Du kannst ja …«
Arkadij hielt mit offenem Munde inne, denn er konnte vor Begeisterung nicht weiter sprechen. Wassja hielt ihn an den Schultern, starrte ihm ins Gesicht und bewegte die Lippen, als wollte er den Satz statt seiner zu Ende sprechen.
»Nun?!« sagte er schließlich.
»Stelle mich ihnen heute vor!«
»Arkadij! Wir wollen heute zum Tee hingehen! Weißt du was? Weißt du was? Bis zwölf wollen wir nicht sitzen bleiben, sondern vorher heimgehen!« rief Wassja in echter Begeisterung.
»Das heißt, wir wollen im ganzen zwei Stunden dort bleiben, nicht mehr und nicht weniger! …«
»Und dann trennen wir uns, bis ich ganz fertig bin! …«
»Wassjuk!«
»Arkadij!«
In drei Minuten hatte Arkadij seinen besten Anzug an. Wassja bürstete seinen Anzug nur ab; er hatte ihn noch gar nicht abgelegt: mit solchem Eifer war er soeben an die Schreibarbeit gegangen.
Sie traten eilig auf die Straße hinaus, der eine freudiger als der andere. Ihr Weg ging von der Petersburger Seite zur Kolomna-Vorstadt. Arkadij Iwanowitsch schritt rüstig und energisch aus, so daß man schon an seinem Gang seine Freude über das Glück des sich daran immer mehr berauschenden Wassja merken konnte. Wassja machte kleinere Schritte, trippelte beinahe, bewahrte aber seine Würde vollkommen. Arkadij Iwanowitsch glaubte sogar, noch nie einen so günstigen Eindruck von ihm gehabt zu haben. In diesem Augenblick hatte er sogar mehr Achtung vor ihm als je, und der gewisse körperliche Fehler Wassjas, von dem der Leser noch nichts weiß (Wassja war nämlich etwas schief gewachsen), der im empfindsamen Herzen Arkadij Iwanowitschs immer tiefes Mitgefühl hervorgerufen hatte, trug jetzt noch mehr zum Gefühl inniger Rührung bei, das er in diesen Augenblicken seinem Freunde entgegenbrachte und dessen Wassja selbstverständlich in jeder Beziehung würdig war. Arkadij Iwanowitsch hatte sogar Lust, vor Freude zu weinen, doch er beherrschte sich.
»Wohin, wohin, Wassja? Hier ist es näher!« rief er, als er merkte, daß Wassja die Richtung zum Wosnessenskij-Prospekt einschlagen wollte.
»Schweige, Arkascha, schweige …«
»Hier ist es wirklich näher, Wassja …«
»Arkascha, weißt du was?« begann Wassja geheimnisvoll, mit vor Glück bebender Stimme. »Weißt du was? Ich möchte Lisa ein kleines Präsent mitbringen …«
»Was für eines?«
»Gleich an der nächsten Ecke ist der Laden von Madame Leroux, ein wundervoller Laden!«
»So, so!«
»Es ist ein Häubchen, mein Lieber, ein Häubchen; heute habe ich da ein so liebes, nettes Häubchen gesehen und mich danach erkundigt. Die Façon heißt ›Manon Lescaut‹, es ist wirklich ein Wunderwerk! Die Bänder sind kirschrot, und wenn es nicht zu teuer ist … Arkascha! Und wenn es auch teuer ist …«
»Ich glaube, du bist über allen Poeten erhaben, Wassja! Gehen wir also hin!«
Sie eilten weiter und traten nach zwei Minuten in den Laden. Sie wurden von einer Französin mit schwarzen Augen und Lockenfrisur empfangen, die beim ersten Blick auf die Eintretenden ebenso freudig und glücklich wurde, wie diese es waren, womöglich noch freudiger und glücklicher. Wassja hätte Madame Leroux beinahe abgeküßt: so entzückt war er.
»Arkascha!« sagte er leise, mit scheinbar gleichgültigem Blicke all das Schöne und Erhabene musternd, das, auf hölzernen Haubenstöcken prangend, den großen Ladentisch schmückte. »Es sind doch wahre Wunderwerke! Was sagst du zum Beispiel zu dem da? Hier dieses Bonbon meine ich, siehst du es?« flüsterte Wassja, auf ein reizendes Häubchen weisend, das ganz am Rande stand, doch durchaus nicht dasjenige war, das er zu kaufen beabsichtigte; denn er hatte schon von weitem seine Blicke in das andere, berühmte, echte Häubchen gebohrt, das am entgegengesetzten Tischende stand. Er starrte es so an, als hätte er Angst, daß jemand es stehlen könnte oder daß das Häubchen selbst, nur damit es nicht Wassja in die Hände fiele, von seinem Haubenstocke in die Luft wegfliegen würde.