Endlich traten sie in den Salon … Die alte Dame war unsagbar erfreut, Arkadij Iwanowitsch kennen zu lernen; sie hätte ja schon so viel von ihm gehört, sie … Sie kam nicht weiter. Ein helles, freudiges »Ach!«, das plötzlich ertönte, unterbrach sie mitten im Satze. Mein Gott! Lisa stand mit kindlich gefalteten Händen vor dem Häubchen, das plötzlich aus seiner Umhüllung zum Vorschein gekommen war, und lächelte, lächelte … Mein Gott! Warum hat es bei Madame Leroux nicht ein noch viel schöneres Häubchen gegeben?!
Aber, mein Gott, wo kann man denn auch ein schöneres Häubchen finden? Ich meine es durchaus ernst! Mich ärgert und kränkt es sogar, wenn Verliebte so undankbar sind! Schauen Sie nur her, meine Herrschaften, und sagen Sie selbst, ob es überhaupt etwas Schöneres als dieses entzückende, göttliche Häubchen geben kann! Bitte, schauen Sie es sich nur an! Doch nein, nein, meine Vorwürfe sind unbegründet: sie sind mit mir bereits alle einverstanden; es war nur eine momentane Verirrung, ein Fieberanfall, der ihre Sinne verwirrte; und ich will ihnen gerne verzeihen … Schauen Sie es sich dennoch an! … Sie müssen mich schon entschuldigen, meine Herrschaften, ich spreche noch immer von diesem Häubchen: es ist aus ganz leichtem Tüll, zwischen dem Kopfteil und der Rüsche läuft ein breites, von einer Spitze verdecktes kirschrotes Band, und zwei weitere breite und lange Bänder sind rückwärts angebracht: sie werden etwas unterhalb des Nackens auf den Hals herabfallen … Man muß das ganze Häubchen etwas in den Nacken rücken: schauen Sie nur her! Und ich werde Sie dann nach Ihrer Ansicht fragen! Ich sehe aber, daß Sie gar nicht hinschauen! Das Häubchen scheint Sie gar nicht zu interessieren … Sie haben Ihren Blick auf etwas anderes gerichtet … Sie sehen, wie zwei große perlengleiche Tränen blitzschnell in die pechschwarzen Augen treten, wie sie einen Augenblick in den langen Wimpern zittern und dann in dieses Nichts, das eigentlich Tüll ist und aus dem das Kunstwerk der Madame Leroux gebildet ist, herabfallen. Doch ich muß mich schon wieder ärgern: diese beiden Tränen galten anscheinend nicht nur dem Häubchen allein! Nein, so einen Gegenstand soll nur ein ganz kaltblütiger Mensch schenken; nur dann kann man seinen Wert richtig einschätzen! Ich muß gestehen, meine Herrschaften, ich gäbe für das Häubchen alles her!
Man nahm Platz: Wassja neben Lisa, und das alte Mütterchen neben Arkadij Iwanowitsch; ein Gespräch kam in Fluß, und Arkadij Iwanowitsch war der Situation durchaus gewachsen. Ich stelle dies mit Genugtuung fest. Nach einigen einleitenden Worten über Wassja, brachte er das Gespräch sehr geschickt auf Wassjas Wohltäter – Julian Mastakowitsch. Und er sprach so klug, so klug, daß das Gespräch eine ganze Stunde im Flusse blieb. Man muß es wirklich mit angehört haben, mit welchem Geschick und Takt Arkadij Iwanowitsch einige Eigentümlichkeiten Julian Mastakowitschs streifte, die eine direkte oder indirekte Beziehung zu Wassja hatten. Die alte Dame war nun auch wirklich ganz bezaubert: sie gestand es auch selbst ein; sie rief Wassja etwas zur Seite und sagte ihm, daß sein Freund ein ganz ausgezeichneter und wohlerzogener junger Mann sei; vor allen Dingen aber ein ernster und solider junger Mann. Wassja war nahe daran, vor Entzücken aufzulachen. Er mußte denken, wie dieser solide Arkascha ihn eine viertel Stunde lang auf dem Bette gewürgt hatte! Die alte Dame zwinkerte Wassja zu und bat ihn, ihr leise und unbemerkt in das andere Zimmer zu folgen. Ich muß gestehen, daß ihre Handlungsweise gegen Lisa nicht ganz einwandfrei war: von überschwenglichen Gefühlen verleitet, beging sie einen Treuebruch an ihrer Tochter und zeigte Wassja das Geschenk, das diese ihm als Überraschung zu Neujahr zugedacht hatte. Es war eine mit Glasperlen und Gold bestickte Brieftasche; die Zeichnung war entzückend: auf der einen Seite war ein sehr schnell rennender Hirsch dargestellt, so natürlich, so ungemein ähnlich und lebenswahr! Auf der anderen Seite war das Bildnis eines sehr bekannten Generals gestickt, gleichfalls vorzüglich ausgeführt und sprechend ähnlich. Von Wassjas Entzücken will ich schon gar nicht reden. Doch auch die im Salon Zurückgebliebenen hatten ihre Zeit nicht unnütz vergeudet. Lisa war auf Arkadij Iwanowitsch zugegangen, hatte seine beiden Hände ergriffen und ihm für irgend etwas gedankt; Arkadij Iwanowitsch hatte begriffen, daß die Rede wiederum vom teuren Wassja war. Lisa war sogar tief gerührt: sie hätte gehört, daß Arkadij Iwanowitsch ein so guter und aufrichtiger Freund ihres Bräutigams sei, daß er ihn so liebte, bemutterte und auf Schritt und Tritt mit seinen heilsamen Ratschlägen begleitete; darum könne sie, Lisa, nicht umhin, ihm zu danken; ja, sie könne das Gefühl ihrer Dankbarkeit gar nicht unterdrücken; sie hoffe, daß Arkadij Iwanowitsch auch sie liebgewinnen würde, und wenn auch nur halb so wie er seinen Freund liebte. Dann erkundigte sie sich, ob Wassja seine Gesundheit genügend schone, äußerte einige Bedenken wegen der allzugroßen Entzündbarkeit von Wassjas Charakter, wegen seines Mangels an Menschenkenntnis sowie seiner Unkenntnis des praktischen Lebens überhaupt; sagte, daß sie hingebungsvoll auf ihn aufpassen und sein Schicksal mit liebevoller Hand leiten würde, und daß sie schließlich hoffe, Arkadij Iwanowitsch werde sie beide nicht verlassen, sondern bei ihnen wohnen.
»Wir wollen alle drei wie ein Mensch sein!« rief sie in naiver Begeisterung aus.
Doch die Gäste mußten aufbrechen. Man versuchte natürlich, sie zurückzuhalten, Wassja erklärte aber mit aller Entschiedenheit, daß es nicht ginge. Arkadij Iwanowitsch bestätigte dies. Man fragte sie selbstverständlich nach den Gründen, und nun kam es heraus, daß Julian Mastakowitsch Wassja mit einer höchst dringenden und furchtbar wichtigen Arbeit betraut hatte, die unbedingt übermorgen früh abgeliefert werden mußte, während Wassja diese Arbeit nicht nur nicht fertig gemacht habe, sondern auch furchtbar im Rückstande sei. Mütterchen schrie vor Entsetzen förmlich auf; auch Lisa erschrak sehr; sie wurde unruhig und drängte Wassja zum Gehen. Der Abschiedskuß hat aber unter dieser Eile nicht im geringsten gelitten: er war kürzer und hastiger, dafür aber glühender und leidenschaftlicher. Schließlich trennte man sich, und beide Freunde traten den Heimweg an.