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Kapitel 7

Der Morgen danach

Ein Stück die Straße hinunter litt Jeremiah Ratchet unter den Ausschweifungen der vergangenen Nacht. Er war mit pochenden Kopfschmerzen und gereiztem Magen aufgewacht.

»Billiges Bier«, brummte er. »Möchte wissen, warum ich ausgerechnet in dieser stinkigen Stadt in die Schenke gehe.«

Aber natürlich wusste er das. Er fuhr hin, weil er den Wirten in Pagus Parvus nicht zutraute, dass sie ihm ein anständiges Bier hinstellen würden. Das einzige Mal, als er in die Blaue Forelle unten an der Straße gegangen war, hatte er sich des Verdachts nicht erwehren können, der Wirt Benjamin Tup habe in sein Bier gespuckt. Aber die Anschuldigung war nicht besonders gut angekommen. Ohnehin verachtete er die anderen Biertrinker aus dem Dorf, von denen die meisten in seiner Schuld standen. Ihr Geld nahm er gern, doch ihre Gesellschaft in der Schenke vermied er lieber. Eine Einstellung, die durchaus wechselseitig war.

So kam es, dass Jeremiah lieber in die Stadt fuhr, wo er im Flinken Finger auf der Brücke über dem Foedus Unterhaltung suchte. Dort trank er Wein und Bier, rauchte dicke Zigarren, spielte Karten bis in die Morgenstunden und saß mit einem bunt gemischten Haufen beisammen: Dieben und Spielern, sogenannten Wiedererweckern und zweifellos mit dem einen oder anderen Mörder. Nie würde er es zugeben, aber er fühlte sich im Flinken Finger wie zu Hause.

Als ihm einfiel, dass er gestern beim Kartenspielen eine gehörige Summe verloren hatte, stöhnte er wieder.

Da hilft alles nichts, dachte er, ich werde die Mieten erhöhen müssen.

Jeremiah bevorzugte einfache Lösungen, und die einfachste Lösung für die meisten seiner Probleme waren nun mal Mieterhöhungen. Die schwierige Situation, in die er seine Mieter damit stürzte, interessierte ihn nicht. Er drehte sich im Bett um, doch der Mief, der unter der Decke hervorwehte, vereitelte jeden Versuch, weiterzuschlafen.

Zu viele Zwiebeln gegessen, dachte er, als er schließlich die Bettvorhänge zurückzog und seine Beine über den Rand schwang. Er blinzelte im hellen Licht, und erst jetzt hörte er den Lärm auf der Straße. Rülpsend und auf unsicheren Beinen tappte er zum Fenster und sah Scharen von Menschen die Bergstraße hinaufziehen.

»Polly!«, rief er. »Polly!«

»Ja, Sir«, antwortete sie und sprang auf. Sie hielt sich im gleichen Zimmer auf, denn sie hatte gerade das Feuer im Kamin geschürt und dabei an den Jungen mit den grünen Augen gedacht, den sie letzte Nacht gesehen hatte.

»Was ist das für ein Lärm? Kein Mensch kann schlafen bei einem derartigen Tumult!«

»Ich glaube, im Hutladen ist jemand eingezogen, Sir.«

»Ein Hutmacher?« Jeremiah trug gern Hüte, je höher, desto besser. Einen Hut betrachtete er als sichtbares Zeichen seiner Wichtigkeit. Außerdem ließ ihn ein Hut größer erscheinen, denn was Jeremiah Ratchet an Aufgeblasenheit zu viel hatte, das fehlte ihm an Zentimetern.

»Ich weiß es nicht, Sir. Die Leute sagen, es könnte ein Laden für Haustiere sein.«

»Haustiere!«, spottete Jeremiah. »Wer kann sich denn in diesem Dorf den Luxus leisten, Haustiere zu halten?«

Die Vorstellung, dass auch nur ein einziger seiner Mieter ein Haustier besitzen könnte, war zu viel für Jeremiah. Obwohl er sich selbst gern alle möglichen Ausgefallenheiten leistete, wurmte ihn der Gedanke, dass auch andere sich welche erlauben könnten. Höchst verärgert kleidete er sich an und stiefelte mit hochrotem Gesicht die Dorfstraße bergauf, der Alkoholdunst der vergangenen Nacht drang durch seine erweiterten Poren, und ihm war übel. Er bohrte die Hände in die Taschen und schlug den Kragen hoch. Seine Stimmung hatte sich nicht gerade gehoben, als Polly gemeldet hatte, sie könne weder seine Handschuhe noch das Tuch und den Geldbeutel finden.

»Verdammter Kutscher!«, fluchte Jeremiah, während er durch den Schnee trottete. »Diebischer Hund, verlogener. Prügel verdient der Kerl.«

Polly wartete, bis ihr Herr ein Stück die Straße hinauf war, dann warf sie sich ihren schäbigen roten Umhang über und folgte in sicherem Abstand. Jeremiah erreichte den Laden gerade rechtzeitig, um Joes Ansprache zu hören. Danach aber machte er auf seine, Jeremiahs, Person aufmerksam (obwohl die Umstehenden seine üble Ausdünstung längst erschnuppert hatten und von ihm abgerückt waren).

Kapitel 8

Fragment aus den

Erinnerungen des Ludlow Fitch

Ich blieb, während Joe draußen war, in der Tür stehen und sah zu, wie die Dorfleute, einer nach dem anderen, zu ihm gingen. Jeder reichte ihm die Hand, und er nahm sie und umschloss sie mit der seinen. Dabei beugte er sich vor und sagte etwas. Was immer das sein mochte, es brachte die Frauen zum Lächeln, und die Männer strafften ihre Schultern und warfen sich in die Brust. Ich musste unwillkürlich grinsen, ohne zu wissen warum.

Während Joe noch dabei war, Hände zu schütteln, entstand in den hinteren Reihen eine leichte Unruhe. Ich reckte den Kopf und sah einen unförmigen Mann mit schweißglänzendem Gesicht, der sich durch die Menge nach vorn drängte. Unwillig machten die Leute Platz, um ihn durchzulassen. Als er schließlich im Schnee stehen blieb, nahm er eine derart großspurige Haltung an, dass man hätte denken können, er werde allein von seiner Selbstgefälligkeit gestützt. Er neigte seinen großen Kopf zur Seite und warf einen flüchtigen Blick auf die goldenen Kugeln über dem Eingang.

Der Mann hatte etwas Unangenehmes an sich: Sein massiger Körper wirkte abstoßend, seine Haltung aggressiv. Ich hatte keine Lust, seine Bekanntschaft zu machen, und blieb deshalb, wo ich war.

Ich glaube, Joe hatte ihn längst bemerkt, doch übersah er ihn geflissentlich. Endlich, nachdem der Mann sich unweit vor ihm aufgebaut und dreimal laut gehustet hatte, nahm Joe seine Anwesenheit wahr und stellte sich ihm vor.

»Joe Zabbidou«, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen.

Der Mann musterte Joe, als wäre der eine Schnecke auf seinem Schuh.

»Ratchet«, sagte er schließlich, ohne Joes Hand zu ergreifen. »Jeremiah Ratchet. Geschäftsmann hier am Ort. Mir gehört der größte Teil des Dorfes.«

Ich spitzte die Ohren, als ich diesen Namen hörte. Das also war Jeremiah Ratchet, der Mann, der mich unbeabsichtigt nach Pagus Parvus und somit in ein neues Leben geführt hatte. Mit dieser ziemlich prahlerischen Erklärung erntete er leises, verächtliches Schnauben aus der Menge, hier und da sogar ein Zischen. Seine breite Stirn kräuselte sich ärgerlich. Er stemmte die Hände in die Hüften und sog dabei die Luft ein, laut prustend wie ein nach Wurzeln grabender Eber. Hätte ich in der Menge gestanden, hätte ich ihm in null Komma nichts seinen Geldbeutel geklaut. Er gehörte genau zu der Sorte von Menschen, die es verdienten, dass ihnen die Taschen ausgeräumt wurden. Als mir plötzlich einfiel, dass ich das ja längst getan hatte, musste ich mir zum zweiten Mal ein Grinsen verkneifen.

Die beiden Männer standen einander gegenüber, und Joes ruhiger Blick wanderte über Ratchets Gestalt. Alles an Jeremiah roch nach Geld: von seinem parfümierten Haar bis zu dem dunklen, dreiviertellangen Wollmantel; von seinen senfgelben Kniehosen bis zum glänzenden Leder seiner Reitstiefel. Leider roch nichts an ihm nach gutem Geschmack.

»Hört zu, Mr Zappelhut oder wie Ihr Euch nennt. Hier könnt Ihr kein Geschäft machen. Hier werdet Ihr nicht gebraucht. Diese Leutchen besitzen nichts von Wert.« Jeremiah lachte unfreundlich und reckte seine Brust noch weiter heraus. »Ich muss es schließlich wissen, die meisten sind bei mir mit der Miete im Rückstand.«

»Wir werden sehen«, sagte Joe und wich ein wenig zurück. Jeremiahs Atem roch ziemlich unangenehm. »Ich habe in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung gemacht, dass meine Hilfe den meisten Menschen wohltut.«