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Zögernd streckte er die Hände aus, nahm das Kind entgegen und legte es ungeschickt in seine Armbeuge. Ein leises, seltsam friedlich klingendes Seufzen kam über die Lippen des Knaben, und ein sonderbar fremdes Gefühl von Frieden ergriff von Skar Besitz.

Yar-gan und Gowenna wichen lautlos von ihm zurück. Er sah, wie der Sumpfmann an seinen Gürtel griff und sein Schwert zog, und er hörte das leise Kratzen hinter sich, als Gowenna dasselbe tat, aber er achtete nicht darauf, sondern blickte weiter wie gelähmt auf das Kind in seinen Armen herab, sein Kind, ein Stück von ihm, ganz gleich, wie man es sah. Seine Hände regten sich, griffen mit einer Bewegung, die es noch nicht beherrschen dürfte, in die Luft und suchten nach Halt. Dann hob es die Lider. Ihre Blicke trafen sich.

Und Skar hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen.

Es dauerte nur wenige Sekunden, aber als es geschah, schienen es Ewigkeiten zu sein.

Skar wußte nicht, was es war. Er hatte niemals etwas Derartiges erlebt oder davon gehört, ja, nicht einmal geglaubt, daß es möglich wäre. Es war eine Vereinigung, etwas, als würden ihre Seelen sich berühren und miteinander verschmelzen, mehr noch, es war, als wären er und dieses Kind eins, nur zwei Teile eines gewaltigen Ganzen, das getrennt worden war und sich jetzt wieder zusammenfand in einem erlösenden, freudigen Aufschrei. Er spürte die Gedanken des Kindes - es war kein Denken wie seines, sondern ein behutsames, noch unsicheres Tasten und Erforschen, und er spürte die ungeheure Macht, die diese Gedanken hätten, wäre ein Bewußtsein hinter ihnen, das sie lenkte. Eine Macht, die fähig war, diese Welt zu zertrümmern. Es war die gleiche Kraft, die auch ihn trieb, das Ding in seinem Innern, das er seinen Dunklen Bruder getauft hatte und das doch sein größter Feind war, aber es war tausend-, millionenmal stärker, ein gewaltiger Vulkan gegen das Flackern einer Kerzenflamme.

Und es war leer.

Wo in ihm dieses böse Flüstern, die zynische, berechnende Stimme des anderen, finstern Skar herrschte, war in dem Kind nichts. Es war stark, ungeheuer stark, eine Waffe, wie Gowenna gesagt hatte, aber es war auch gleichzeitig unschuldig, leer und bereit, geformt und gelenkt zu werden.

Für einen unendlich kurzen Moment spürte er die Verlockung. Nimm ihn! - wisperte die Stimme in seinem Inneren. Sein Dunkler Bruder sprang ihn an wie ein Raubtier, das bisher geduldig in seinem Versteck gelauert und auf den Moment gewartet hatte, in dem es zuschlagen konnte, in dem er unaufmerksam war und seine Deckung vernachlässigte, verletzbar wurde. Nimm ihn, wisperte sie. Du wirst Macht haben, Skar. Unglaubliche MACHT! Niemand wird dich mehr aufhalten können. Die Stimme wurde lauter, machtvoller, zwingender. Nimm ihn! drängte sie. Es ist leicht, Skar. Noch ist es leicht. Er wußte, daß sie nicht log. Sie waren eins, für diesen Moment, ein einziger Geist in zwei verschiedenen Körpern, und es war ein Augenblick, der sich nie mehr wiederholen würde. Er konnte die Kraft dieses Kindes in sich aufnehmen, sie mit der flüsternden Stimme in seinem Innern vereinen, und er würde die Macht haben, von der sein Dunkler Bruder sprach: Niemand und nichts würde ihm mehr widerstehen können, nicht einmal mehr Helth oder der Dronte.

Aber er wußte auch gleichzeitig, daß das Flüstern in seiner Seele dann zu einem machtvollen Schrei werden, daß sein Dunkler Bruder endgültig und unwiderruflich Gewalt über ihn erlangen würde. Unsterblichkeit und vielleicht Unverwundbarkeit gegen den Preis seiner Menschlichkeit.

Was nutzt sie dir, deine Menschlichkeit? wisperte die Stimme. Was hat sie dir bisher genutzt, wobei hat sie dir geholfen ? Was wirst du vermissen? Liebe? Es gibt niemanden, der einen Satai liebt, Bruder. Und selbst wenn - es wäre ein geringer Preis. Du hättest die Macht, diese Welt zu retten. Du und ich und dieses Kind, wir können Enwor zu einem Paradies machen. Wolltest du das nicht immer? Ist es nicht das, was die Satai schwören in ihren geheimen Zeremonien? Kriege und Not und Ungerechtigkeit zu beseitigen ? Du kannst es, du - Skar schrie. Für einen schrecklichen Moment glaubte er seinen Dunklen Bruder mit Velas Stimme reden zu hören, und plötzlich wußte er, was mit ihr geschehen war, welcher Art die Verlockung gewesen war, die ihr den Untergang gebracht hatte.

Er taumelte, brach in die Knie und spürte, wie der Geist des Kindes mit einem lautlosen Schrei vor dem Schmerz und der Dunkelheit zurückschreckte, die plötzlich zu ihm hinüberflossen, wo vorher Liebe und Vertrauen gewesen waren.

»Gowenna«, wimmerte er. »Hilf... mir...«

Er sah die Gestalt der Errish wie einen verzerrten Schatten vor sich auftauchen, versuchte nach ihr zu greifen und verfehlte sie. Gowennas Hände preßten sich gegen seine Schläfen, nicht flüchtig und sanft wie vorhin, als sie seinen Dunklen Bruder das erste Mal zurückgedrängt hatte, sondern mit schmerzhafter Kraft; und diesmal war es kein Verjagen, keine Warnung mehr, sondern ein vernichtender Hieb, mit aller Gewalt geführt.

Hinter seiner Stirn schien ein Vulkan auszubrechen. Er sah Flammen, und für den Bruchteil einer Sekunde fühlte er unerträglichen Schmerz.

Yar-gan sprang im letzten Moment vor, als Skar das Bewußtsein verlor und das Kind seinen Armen entglitt.

29.

Er mußte lange bewußtlos gewesen sein. Skar spürte, daß Zeit vergangen war, viel Zeit, und er spürte, daß irgend etwas geschehen war, während er reglos hier gelegen hatte. Das erste, was er fühlte, war Wärme. Er lag neben einem Feuer; seine linke Gesichtshälfte und die Hand brannten unter der Hitze der offenen Flamme, die andere Körperhälfte war taub vor Kälte. Dunkelrotes Licht sickerte durch seine geschlossenen Lider. Der Boden unter ihm vibrierte im Rhythmus der Wellen, die gegen den versteinerten Rumpf des Schiffes anrannten, und er hörte Stimmen. Die Stimmen zahlreicher Männer. Aufgeregte Stimmen.

Skar blinzelte, hob die Hand über die Augen, um sie vor der Hitze der Flammen und dem grellen Licht zu schützen, und setzte sich halb auf. Der Raum verschwamm vor seinen Augen, als er sie vollends öffnete, und hinter seinen Schläfen machte sich ein dumpfer, unangenehmer Druck bemerkbar.

»Du bist wach. Gut.« Gowenna kniete vor ihm nieder, sah ihn einen Herzschlag lang besorgt an und lächelte. Er konnte nur den schmalen Streifen über den Augen und Nasenwurzeln ihres Gesichts erkennen; der Rest war hinter einem grauen, seidig glänzenden Schleier verborgen. Der gleiche Stoff bedeckte ihren Kopf, die Schultern und den ganzen Körper, soweit ihn Skar sehen konnte. Selbst ihre Hände steckten in hautengen Handschuhen aus dem gleichen Material. Auf ihrer Stirn glänzte ein winziger fünfzackiger Stern aus Silber. Die Kleidung einer Errish. Und der Stern einer Margoi.

»Was ist... wie lange war ich bewußtlos?« fragte er verwirrt. In seinem Kopf drehte sich alles. Bilder blitzten hinter seiner Stirn auf, aber er war nicht in der Lage, sie zu ordnen und einen Sinn darin zu erkennen.

»Nicht lange. Eine Stunde, vielleicht weniger«, antwortete Gowenna. »Yar-gan hat -«

»Sag es mir nicht«, unterbrach sie Skar und hob die Hand an den Kopf. Der Druck verschwand, aber dafür erwachte ein dünner, quälender Schmerz hinter seinen Augen. »Ich will gar nicht wissen, was er mit mir getan hat.« Er stöhnte. »Was ist geschehen?«

»Das Kind -«