Diesmal wich Helth dem Hieb nicht mehr aus, sondern fing die Waffe mit der bloßen Hand auf. Seine Hand zerfiel unter dem Biß der Klinge zu davonwirbelnden grauen Flocken, aber unter dem toten Fleisch kam kein Knochen zum Vorschein, sondern etwas Schwarzes, Glitzerndes, eine fürchterliche dreifingrige Klaue aus glänzendem Horn oder Chitin, die sich in einer fast spielerischen Bewegung um die Schwertklinge schloß und sie zerbrach.
Yar-gan stieß ein ungläubiges Keuchen aus, prallte zurück und starrte auf den zersplitterten Stumpf des Schwertes. Seine Augen weiteten sich. Helth griff abermals an. Sein Arm traf den Yar-gans und schmetterte ihn beiseite; der Schwertstumpf klirrte zu Boden, und der Sumpfmann taumelte abermals gegen die Wand. Helth' Faust ballte sich zum tödlichen Hieb.
»DEL!« Skars Stimme überschlug sich. Er schrie, warf sich nach vorne und trieb den Veden allein durch die ungestüme Wucht seines Anpralls von seinem Opfer zurück. Helth taumelte; sein Hieb ging ins Leere, und für eine halbe Sekunde kämpfte er sichtlich um sein Gleichgewicht. Skar setzte ihm nach, stieß ihm die flachen Hände in die Seite und versuchte, nach seinem Standbein zu treten, um ihn vollends zu Boden zu schleudern. Helth fegte seinen Fuß beiseite und schlug ihn mit der anderen Hand vor die Brust.
Skar ging mit einem erstickten Schrei zu Boden. Ein unerträglicher Schmerz raste durch seinen Körper und lähmte sein Atemzentrum. In einer Bewegung, die mehr Reflex als bewußtes Handeln war, stemmte er sich auf die Knie, verkrampfte die Hände vor der Brust und sank abermals nach vorne. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Wie durch einen blutigen Schleier sah er Helth' Fuß auf sich zurasen, drehte den Kopf zur Seite und hob in einer schwächlichen, langsamen, viel zu langsamen Abwehrbewegung den Arm. Helth' Fuß traf nicht sein Gesicht, sondern streifte nur seine Schläfe, aber schon diese fast flüchtige Berührung reichte, Skar hoch- und zurückzureißen und meterweit durch den Stollen zu schleudern. Er überschlug sich, prallte gegen Felsen und Eis, sein Gesicht schrammte mit grausamer Wucht über rauhen Stein, dann krachte er gegen die Wand und lag still. Der Schmerz verebbte. Er bekam wieder Luft, aber gleichzeitig brodelte schwarze Bewußtlosigkeit wie ein betäubender Nebel in seine Gedanken. Er versuchte sich hochzustemmen, aber seine Arme waren kraftlos und schwach.
»Stirb, Satai!« kreischte Helth' verzerrte, unmenschliche Stimme. Skar hob mühsam den Kopf und sah den Veden auf sich zukommen, die Hände zu asymmetrischen, gierigen Klauen geöffnet, seine Gestalt wirkte verzerrt und verdreht, auf unmögliche Weise zusammengestaucht und falsch, und er war nicht sicher, ob es nur die Schwäche und die Schmerzen waren, die seinen Blick verschleierten. »Stirb, Satai«, krächzte Helth noch einmal. »Fahr zur Hölle!« Seine Stimme bebte vor Haß, dem gleichen abgrundtiefen Haß, den er Skar vom ersten Tag an entgegengebracht hatte. Er war nicht mehr Helth und schon gar nicht mehr Mensch, aber etwas von seinem Haß war auf dieses Ding, in das er sich verwandelt hatte, übergegangen, ein winziger Teil des alten Helth lebte noch. Mit einem irrsinnigen Kreischen zerrte er Skar auf die Füße, schleuderte ihn gegen die Wand und rammte ihm das Knie in den Leib. Skar krümmte sich, aber Helth riß ihn abermals hoch, warf ihn gegen die Wand und schlug nach seinem Gesicht. Ein Schatten tauchte hinter dem Veden auf, umschlang seinen Oberkörper mit den Armen und hob ihn wie ein Spielzeug in die Höhe. Helth brüllte vor Zorn und Wut, schlug sinnlos in die leere Luft und strampelte mit den Beinen. Yar-gan riß ihn herum, stemmte ihn mit einer gewaltigen Kraftanstrengung noch höher und verstärkte gleichzeitig den Druck seiner Arme. Skar konnte nicht mehr richtig sehen; Blut verschleierte seinen Blick, und er nahm nur noch Schatten und tanzende Schemen wahr, aber er hörte, wie Helth' Rippen unter dem gnadenlosen Druck nachgaben und brachen. Helth schrie, und diesmal war es ein Laut des Schmerzes.
»Lauf, Skar!« keuchte der Sumpfmann. Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, verzerrt vor Anstrengung und Furcht. Er drehte sich, Helth wie in einer grausigen Umarmung an sich gepreßt, schleuderte den Veden hin und her wie eine Katze eine gefangene Ratte und versuchte so zu verhindern, daß er die Beine auf den Boden bekam und seine unnatürliche Kraft voll zum Einsatz bringen konnte. Seine Muskeln (Dels Muskeln!!) spannten sich wie dicke knorpelige Stricke unter der Haut. Aus seinem Mund lief Blut.
»Lauf endlich, du... Idiot!« keuchte er. Helth begann wie ein Irrsinniger zu toben. Dels Umarmung hielt, aber unter den zerbrochenen Rippen des Veden mußte etwas sein, das härter als Stahl war. Seine linke Hand krallte sich in Dels Mantel und riß tiefe blutige Wunden in sein Fleisch. Del schrie, warf sich zurück und riß Helth erbarmungslos mit sich. Der Vede bäumte sich auf. Sein Körper spannte sich wie eine Feder, krümmte sich auf ganz und gar unmögliche Weise und entspannte sich wieder mit einem hörbaren, krachenden Laut. Dels Griff lockerte sich nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber dieser winzige Zeitraum genügte dem Veden. Mit einer letzten, gewaltigen Kraftanstrengung sprengte er die tödliche Umarmung des Sumpfmannes vollends, stürzte sich zu Boden und fuhr mit einem wütenden Zischen herum. Seine Arme zuckten hoch. Seine rechte, menschliche Hand verkrallte sich in Dels Kehlkopf und zermalmte ihn, die andere holte aus, traf seinen Schädel und schleuderte ihn zurück, die gekrümmten Hornklauen bohrten sich wie tödliche Dolche tief in sein Gesicht. Es war das zweiten Mal, daß er Del sterben sah, und irgendwo in Skar zerbrach etwas.
Er schrie, so hoch und spitz und laut, daß der Ton einen grellen Schmerz durch seinen Schädel jagte, und er spürte, wie das Ding in seinem Inneren den Schrei annahm und erwiderte, wie es aus seinem Versteck in den finsteren Abgründen seiner Seele emporquoll wie ein Sturmwind, aber diesmal wehrte er sich nicht, sondern ließ es geschehen, registrierte, wie es seine Gedanken und seinen Willen davonfegte, seinen Körper in eine Puppe verwandelte und mit einem einzigen, schmerzhaften Schlag Besitz von ihm ergriff. Er sprang auf, bückte sich nach seinem Schwert, warf sich nach vorne und rollte über die Schulter ab, auf Helth zu und an ihm vorbei, trat ihm die Beine unter dem Leib weg und sprang abermals hoch, alles in einer einzigen, fließenden Bewegung, erfüllt von einer Kraft, die so groß war wie die seines Gegners und vielleicht größer.
Und so finster.
Helth fiel, stemmte sich hoch und griff mit seiner schrecklichen linken Klaue nach ihm, aber seine Reaktionen erschienen Skar mit einem Male lächerlich langsam. Fast spielerisch wich er aus, fegte Helth' Arm mit einem Tritt zur Seite und schlug ihm mit einem einzigen gewaltigen Hieb seines Schwertes den Kopf von den Schultern.
Eine halbe Sekunde lang blieb Helth in einer grotesken, kauernden Stellung hocken, dann kippte er langsam nach vorne und zur Seite und blieb reglos liegen.
Aber nur für einen Moment.
Irgend etwas geschah mit seinem Körper. Das Licht reichte nicht aus, um zu erkennen, was, und vielleicht wäre es auch im hellen Sonnenlicht nicht zu erkennen gewesen, weil es etwas absolut Fremdes war, das nicht auf diese Welt und nicht in dieses Universum gehörte, etwas, das sich dem menschlichen Begriffsvermögen entzog und von dem nur ein schwacher Schatten sichtbar war, ein winziger Zipfel des wirklichen Geschehens, das aus den Dimensionen der Alpträume und des Wahnsinns stammen mochte. Er veränderte sich, schrumpfte, begann sich auf unmögliche Weise in sich zu drehen und zu winden, das Fleisch begann zu verdorren, da und dort zu zerlaufen wie eine braunschwarze, zähe Masse. Helth' Leib zuckte, wand sich hier- und dahin, kroch wie ein schwarzer blinder Wurm über den Boden, eine Spur aus Finsternis und zerbröckelndem totem Fleisch hinter sich lassend. Sein Brustkorb platzte auseinander, gab den Blick auf die darunterliegende Höhlung und das Etwas frei, das darin herangewachsen war wie ein Parasit, der seinen Wirt allmählich von innen heraus aufgefressen und ausgehöhlt hatte, etwas Schwarzes, Käferartiges mit dünnen Spinnenbeinen und -armen, kopflos und glänzend wie lackiertes Eisen, umgeben von einer Aura finsterer Macht und Fremdheit, böse, böse, böse...