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Die Kälte begann ihn zu lähmen. Skar ruderte verzweifelt mit den Armen, bekam irgendwie den Kopf über Wasser und sog gierig die Luft ein, aber er fühlte, wie seine Glieder rasch und beinahe schmerzlos erstarrten. Er hatte nicht mehr die Kraft zu verhindern, daß er wieder mit dem Gesicht unter die Wellen geriet. Er schluckte Wasser. Rote und grüne Ringe begannen vor seinen Augen zu tanzen. Seine Beine waren taub, seine Haut ein Panzer aus Eis, der sich mit phantastischer Schnelligkeit in seinen Körper hineinfraß, das letzte bißchen Kraft aus ihm heraussaugte und ihn tötete.

Plötzlich war in seinem Inneren Wärme, eine wohltuende, verlockende, unglaublich angenehme Wärme, die allen Schmerz und jeden Rest von Angst und Verzweiflung davonspülte. Seine Gedanken begannen sich zu verwirren. Es war der Tod. Das Ende. Er wußte es, aber er wehrte sich nicht mehr. Alles, was er fühlte, war ein schwaches Erstaunen darüber, daß es so angenehm war.

Irgend etwas klatschte neben ihm ins Wasser, tauchte in einer sprudelnden Wolke aus Luftblasen unter und stieß mit einer eleganten Bewegung wieder zu ihm hinauf, aber Skar beachtete es nicht mehr. Er merkte kaum, wie rauhe Hände nach ihm griffen, ihn auf den Rücken drehten und auf das Schiff zuzogen.

Er verlor nicht das Bewußtsein, aber er versank in einem Dämmerzustand zwischen Wachsein und Koma, in dem er alles, was um ihn herum vorging, weiter wahrnahm, aber nicht in der Lage war, die Eindrücke richtig zu verarbeiten oder gar darauf zu reagieren. Die beiden Matrosen, die ihn aus dem Wasser gefischt hatten, wollten ihn unter Deck tragen, in den hinteren, geheizten Raum des Schiffes, aber Skar wehrte sich dagegen und machte ihnen irgendwie - mit Gesten und Kopfschütteln und leisen, erstickten Lauten - klar, daß er an Deck bleiben wollte, und so beschränkten sie sich darauf, ihn in einen windgeschützten Winkel vor dem Achteraufbau zu setzen und ihm die nassen Kleider vom Leibe zu ziehen und ihn trockenzureiben.

Er fieberte. Die Hände, die über seinen Körper strichen, ihn massierten und mit schmerzhafter Kraft das Leben in seine Muskeln zurückzwangen, taten weh, und die beiden Männer erschienen ihm wie Folterknechte. Etwas berührte seine Lippen, erst sanft, dann, als er nicht reagierte, mit gnadenlosem Druck, zwang seine Kiefer auseinander; eine bitter schmeckende, heiße, unerträglich heiße Flüssigkeit füllte seinen Mund und lief brennend in seine Kehle. Er hustete, krümmte sich voller Qual auf und kämpfte mit aller Macht darum, die Augen offenzuhalten. Er war gefangen in einem schmalen, von Schatten und quälenden Visionen erfüllten Grenzbereich, zwischen Bewußtsein und Schwärze, und wenn er dazu fähig gewesen wäre, hätte er um den Tod gebettelt, geschrien, daß sie ihn in Ruhe sterben lassen sollten.

Seltsamerweise funktionierte sein Zeitgefühl weiter. Ein Teil seiner Sinne war gestört, gelähmt von der Kälte und der dumpfen Furcht, die sich wie ein schleichendes Gift in seinen Gedanken eingenistet hatte; die Männer waren graue Schatten mit zerfaserten Rändern, die Berührung ihrer Hände trotz der Schmerzen, die sie ihm zufügten, unwirklich, aber der andere Teil arbeitete dafür mit einer seltenen Klarheit: Er hörte jedes Wort, das an Deck gesprochen wurde, und er spürte die sanften, gleichmäßigen Vibrationen, mit denen sich die Wellen an der Bordwand des versteinerten Schiffes brachen, mit jeder Faser seines Körpers. Der Wind war kälter geworden und fauchte mit ungebrochener Kraft in die gewaltige Höhle, und für einen Moment glaubte er den Dronte zu sehen, ein gewaltiges schwarzes Ungeheuer, das auf die Höhle zuschoß, das Feuer der Hölle hinter seiner Reling und das Segel gebläht von einem Sturm, den er selbst entfacht hatte. Er versuchte, sich zu bewegen. Seine Glieder gehorchten ihm, aber es war ein schmerzhafter, unglaublich mühsamer Prozeß. Er brauchte Minuten, um sich auf die Knie zu erheben, und seine ganze Kraft, um nicht erneut zurückzusinken. Ein weiterer Schatten erschien vor ihm, ein wenig grauer als die anderen, kleiner und schlanker, und als er sich mit der Hand über die Augen fuhr und die Tränen wegwischte, erkannte er Gowenna. Sie preßte ein winziges, in grobe Wolldecken eingeschlagenes Bündel an ihre Brust. »Was ist passiert, Skar?« fragte sie. »Wo ist Del?«

Skar stemmte sich weiter hoch und griff nach ihrer Schulter; sie wankte unter seinem Gewicht, fing sich aber sofort wieder und gab den Männern neben sich einen Wink. Skar wurde auf die Beine gehoben, stand einen Moment aus eigener Kraft und taumelte gegen den Mast. Allmählich klärte sich sein Blick, und die Kälte, die ihn bisher gelähmt hatte, hielt ihn jetzt wach.

»Was ist geschehen?« fragte Gowenna noch einmal. Ihre Stimme war wie ein Schrei, zu dem ihr die Kraft fehlte.

»Tot«, murmelte Skar. Er konnte kaum sprechen. Seine Zunge war taub, und ein Teil seines Körpers schien nicht mehr zu existieren. Er fühlte seine Hände, die rauhe Oberfläche des Mastes in seinem Rücken, das Brennen seiner Gesichtshaut, sonst nichts. Mühsam hob er die Hände vor das Gesicht und sah die grauen Flecken von Erfrierungen auf seiner Haut.

»Er ist... tot«, sagte er noch einmal. »Helth hat... hat ihn umgebracht.«

Gowenna fuhr sichtlich zusammen. Natürlich hatte sie es gewußt, sie und jeder einzelne Mann an Bord, im gleichen Moment, in dem sie Skar allein aus der Höhle kommen sahen und das Spinnending hinter ihm, aber seine Worte schienen ihr den Schrecken erst richtig zu Bewußtsein zu bringen.

»Helth...«, flüsterte sie. Skar konnte ihr Gesicht nicht erkennen; sie trug noch immer den seidigen grauen Schleier, der nur ihre Augen frei ließ, aber er war sicher, daß sich ihre Lippen beim Sprechen nicht bewegten. Sie starrte ihn an, drehte sich wie unter einem inneren Zwang um und schaute in Richtung der Höhle. Skar folgte ihrem Blick.

Helth war nicht ins Wasser gestürzt wie er. Sein Körper lag am Fuße der schmalen Steintreppe, verrenkt, zerrissen und zusätzlich zerschmettert von dem fünfzig Fuß tiefen Sturz.

Aber er lebte.

Er bewegte sich nicht, sondern lag vollkommen still, ein zusammengestauchtes, verdrehtes dunkles Bündel, das nichts mehr mit einem menschlichen Körper gemein hatte, und trotzdem war Leben in ihm, Leben oder etwas anderes, Finsteres. Er schien zu pulsieren, und etwas Dunkles, Unsichtbares kroch langsam über das schmale Felsband auf das Schiff zu.

»Bei allen...!« Gowennas Stimme versagte. Sie fuhr herum, so heftig, daß das Kind in ihren Armen erwachte und leise zu wimmern begann, starrte Skar aus weit aufgerissenen Augen an und wollte etwas sagen. Ihre Lippen zitterten unter dem dünnen Schleier. Skar schien es plötzlich, daß die Haut rings um ihr verletztes Auge wieder glatt und unversehrt war. Aber nur für einen Moment. Dann verging die Illusion, und er sah wieder das erloschene blinde Auge und den erstarrten graubraunen Schmerz unter ihm. Es war nur Blendwerk. Aber sie waren am Ende aller Täuschung.

Skar löste sich langsam vom Mast, trat auf Gowenna zu und berührte ihre Wange. Sein Blick streifte das Kind auf ihren Armen, und wieder verspürte er dieses seltsame, fremde Gefühl der Zärtlichkeit. Wie beim ersten Mal schreckte er davor zurück, versuchte es zu verdrängen und wegzuleugnen, und wie beim ersten Mal spürte er, daß er es nicht konnte. Und gleichzeitig hatte er Angst. Eine so tiefe, schmerzende Angst wie selten zuvor in seinem Leben. Dieses Kind war weder gut noch böse, sondern unschuldig und bereit, geformt zu werden, aber allein der Gedanke, wozu es einmal werden konnte, ließ ihn innerlich aufstöhnen. Und es gab nichts mehr, was sie dagegen zu tun in der Lage waren.