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»Ich glaube«, begann er, ganz leise und so ruhig, wie er konnte, »diesmal haben wir verloren, Kiina.« Seine Hand glitt an ihrer Wange herab, fand die dünne Spange, die den Schleier hielt, und löste sie. Es war undenkbar, hinter den Schleier der Margot zu blicken, ein todeswürdiges Verbrechen allein der Gedanke daran, aber Gowenna ließ es geschehen, ohne sich zu wehren. Ihr Gesicht zuckte, und er sah, wie sie mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfte.

Sie benahmen sich immer noch wie die Kinder, dachte er. Beide. Gowenna und er. Sie belauerten sich gegenseitig, warteten auf ein Zeichen von Schwäche, nur um endlich selbst schwach sein zu dürfen. »Gowenna«, murmelte er. »Ich -«

Sie hob die Hand, brachte ihn mit einer entschiedenen Geste zum Schweigen. »Nicht, Skar«, bat sie. In ihrem Auge glitzerte eine Träne, ihre Stimme zitterte, aber sie war trotzdem fest. »Ich mag keine großen Abschiedsszenen«, fuhr sie fort. »Stell... stell dir vor, wie albern wir uns vorkommen müssen, wenn wir doch überleben.« Sie versuchte zu lachen, aber es mißlang kläglich.

Skar drehte sich um und sah nach Westen. Der Dronte war da. Er war herangekommen, zehnmal so schnell, wie er gefürchtet hatte, ein titanischer schwarzer Schatten, der schäumend und lautlos auf die Hafeneinfahrt zuschoß. Das Segel war bis zum Zerreißen gebläht, die schwarzen Ruder peitschten wie wirbelnde Insektenbeine das Wasser, und hinter seiner Bordwand glühte ein hellrotes, flackerndes Höllenauge.

Etwas fehlt noch, dachte er. Es war noch nicht komplett, ein winziges Steinchen des Mosaiks fehlte noch, damit alles einen Sinn ergab. Eine seltsame, unnatürliche Ruhe begann von den Männern Besitz zu ergreifen. Ihre Stimmen verklangen, eine nach der anderen, versickerten im Murmeln der Brandung und im Heulen des Windes, und Skar spürte ohne hinzusehen, wie sie stehenblieben, stumm und mit einer Ruhe, um die er sie für einen winzigen Moment beneidete, dem näher kommenden Dronte entgegenstarrten. Ein paar Hände griffen nach Schwert oder Schild, aber es waren nur leere Gesten. Sie wußten, daß es kein Entkommen mehr gab. Sie waren am Ende der Welt; es gab keinen Ort mehr, wohin sie sich flüchten konnten.

Reglos sah er dem Dronte entgegen. Er wuchs heran, schnell, unglaublich schnell, sprang mit einem gewaltigen Satz aus dem Licht der Vormittagssonne hinein in die Höhle, wie ein bizarres Ungeheuer aus den Abgründen der Zeit, das Wasser pflügend und weiße Gischt wie einen Schleier hinter sich herziehend, und Skar wußte, daß Helth hinter ihnen erwachte, genau in diesem Moment, da sich das Ding in seinem Inneren regte, tastend, noch unsicher, aber endlich Herr seines Körpers, endlich erwacht und im Vollbesitz seiner Kräfte.

»Skar...« Gowennas Stimme bebte, brach. »Wir... wir müssen hier weg. Das Schiff wird explodieren, wenn... wenn er es trifft.«

Das Höllenfeuer hinter der Reling des Dronte begann heller zu lodern; eine winzige Sonne, die das Wasser mit roter und goldener Glut überzog. Das schwarze Schiff schoß heran. Die Ruder hoben sich aus dem Wasser, bildeten einen Moment lang ein waagerechtes Spalier neben seinem Rumpf und senkten sich wieder, nur auf einer Seite und gegen den Takt, den sie bisher geschlagen hatten. Der Dronte zitterte, legte sich in einer schwerfälligen, ungeheuer kraftvollen Bewegung auf die Seite und schwenkte herum, so scharf, daß sein Heck ein Stück weit unter die Wasseroberfläche gedrückt wurde und der Bug sich aufbäumte, so daß sie den langen, mit hornigen Widerhaken versehenen Rammsporn sehen konnten.

»Wir müssen hier weg!« keuchte Gowenna noch einmal. Ihr Gesicht war grau vor Furcht. Sie wich einen halben Schritt zurück und preßte das Baby so fest an sich, daß es erneut zu schreien begann. »Die Schiffe werden brennen wie...«

»Laß es sein, Gowenna«, unterbrach sie Skar leise. »Es hat keinen Sinn mehr.« Und in Gedanken fügte er hinzu: Wenigstens wird es schnell geben.

Er wandte sich um. Helth (Helth ??!) war aufgestanden. Sein Körper war vollends zerfallen, das Ding, das in ihm herangewachsen war, hatte ihn abgestreift wie einen leeren, vertrockneten Kokon und war, nach Jahrtausenden, vielleicht Jahrmillionen, die es geduldig gewartet und gelauert hatte, zu neuem, eigenem Leben erwacht. War es das, dachte er matt, wogegen die Alten gekämpft hatten? War dieses schwarze glitzernde Ding, das sich seinen Blicken immer noch auf geheimnisvolle Weise entzog, ein Sternengeborener, oder war es nur eine weitere Waffe, ein Diener wie der Dronte und die schwarzen Kolosse aus Tuan? Es fiel Skar schwer zu glauben, daß dieses Wesen, das nur aus Haß und Vernichtungswillen zusammengesetzt war, wirklich ein Teil jener Rasse sein sollte, die Städte wie Cor-ty-cor oder Urcôun erschaffen hatten, daß es überhaupt wirklich lebte und nicht künstlich gemacht war: eine Waffe, ein Ding, das zum Töten und Morden gut war und zu sonst nichts. Eigentlich nicht mehr als das Schwert an seiner Seite.

Die Kreatur richtete sich auf, schattig, finster und wabernd, in einen Mantel aus Furcht und Dunkelheit gehüllt. Sie war nicht groß. Skar hatte Helth fast um Haupteslänge überragt, und das Ding war noch ein gutes Stück kleiner als der Vede, der es geboren hatte; trotzdem wirkte es auf unbestimmte Art gewaltig.

Irgendwo weit, weit unter ihm bewegte sich etwas. Skar löste seinen Blick von der Erscheinung, versuchte das Halbdunkel im hinteren Teil der Höhle zu durchdringen und glaubte etwas zu sehen, war sich aber nicht sicher. Ein weißes Blitzen und Schimmern wie von Eis. Eis oder-»Satai! Errish!« Die Stimme war in ihren Köpfen, ein Ton wie ein Messer, der Skar und Gowenna und die Männer wie unter Schmerzen aufstöhnen ließ, ein Echo aus einer Welt, die fremd und vor einer Million Jahren untergegangen war. »Das Spiel ist aus! Gebt mir, was mir zusteht, und ihr könnt gehen!«

Das Blitzen wiederholte sich, kurz und hell, ein Lichtstrahl, der sich auf einer niedrigen Balkonbrüstung aus Eis brach und über die gigantischen, hoch aufgerichteten Gestalten dahinter strich. Gestalten aus Eis, die so fremd waren wie dieses schwarze Etwas dort unten und doch gleichzeitig vertraut. Skar wußte, daß es unmöglich war, aber für einen Moment glaubte er, trotz der großen Entfernung ihre Gesichter zu erkennen, Gesichter, die jetzt vollständig ausgebildet waren und ihn aus schimmernden gläsernen Augen musterten. Eine Vision blitzte durch seine Gedanken, ganz kurz nur, aber so heftig, daß er erneut aufstöhnte: Er war noch einmal oben auf der Eismauer, sah die Flammen, die wie gierige rote Hände zu ihm hinaufleckten, und erlebte noch einmal mit, wie Brad in die Tiefe gerissen wurde und mit dem brennenden Leib des Dronte verschmolz.

»Satai!« stöhnte die Stimme in seinem Schädel. »Eure Zeit ist um! Gebt mir das Kind!«

»Hol es dir, du Bastard«, flüsterte Skar.

Das Ungeheuer starrte ihn an. Es hatte keine Augen, aber Skar fühlte, wie es ihn musterte, ihn durchdrang, bis in den verborgensten Winkel seiner Seele blickte und seine geheimsten Gedanken und Wünsche erkannte.

»Wie du willst«, flüsterte es. Und dann noch einmal, und so laut, daß die gewaltige Höhle unter den Worten zu zittern schien: »WIE DU WILLST, SATAI!«

Skar wandte den Kopf. Der Dronte hatte seine Drehung vollendet und kehrte ihnen jetzt seine Breitseite zu. Sein schwarzer Leib schien im Rhythmus langsamer, schwerfälliger Atemzüge zu pulsieren. Etwas Dunkles, Fremdes und gleichermaßen beinahe erschreckend Vertrautes berührte Skars Seele. Das schwarze Schiff zitterte. Seine Ruder senkten sich ins Wasser, um seinen Katapulten freie Schußbahn zu gewähren.

Helth stieß einen krächzenden Laut aus und hob die Arme. Seine dunkle Aura wuchs, raste wie eine schwarze Flutwelle auf das Schiff zu und erreichte die ersten Männer. Neben ihm schrie Gowenna in nackter Todesangst auf, fiel auf die Knie und warf sich schützend über das Kind.