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Skar nickte. »Natürlich. Aber wann? In einer Woche? Einem Monat? Sechs Monaten? Wie lange reichen unsere Lebensmittel?«

»Einen Monat«, antwortete Rayan, »wahrscheinlich sogar länger. Und die halbe Ladung besteht aus Carbafrüchten. Allerdings fürchte ich, daß dir diese Diät nicht allzu lange munden wird. Ich sehne mich schon jetzt nach einem anständigen Stück Fleisch«, fügte er lächelnd hinzu. »Aber wenn es sein muß, dann halten wir eine ganze Weile aus.«

»Er nicht«, sagte Skar überzeugt. »So lange hält er nicht durch. Entweder er belagert uns und zieht nach ein paar Tagen wieder ab, oder er versucht uns in den Kanal zu folgen. In jedem Fall haben wir die besseren Chancen.«

»Alles ist besser, als sich auf einen Kampf auf offener See einzulassen«, brummte Rayan, krauste aber trotzdem zweifelnd die Stirn und begann mit seinem Dolch zu spielen. Allen waren ihre Waffen zurückgegeben worden, bevor sie in den Kanal einliefen, und Skar mußte, wenn auch widerwillig, zugeben, wie gut Rayan sein Schiff gegen einen Überfall gewappnet hatte. Die scheinbar harmlosen Matrosen waren in bis an die Zähne bewaffnete Krieger verwandelt.

»Ich hoffe, die Götter sind uns gnädig«, murmelte Rayan.

Skar schwieg dazu. Normalerweise lächelte er über derartige Bemerkungen - er hing keiner der drei großen und unzähligen kleinen Religionen Enwors an und verleugnete im Gegenteil alles, was mit Götter- und Dämonenglauben zusammenhing, aber in ihrer jetzigen Situation erschienen ihm Rayans Worte seltsam passend. Wäre er selbst religiös gewesen, dann hätte er jetzt gebetet. Manchmal tat es ihm fast leid, daß er es nicht konnte.

Nebeneinander gingen sie zum Bug. Die SHAROKAAN hatte das Ende des Kanals jetzt fast erreicht. Die schmale Wasserstraße, auf der sich das Schiff bewegte, verbreiterte sich vor ihnen zu einem runden, sicher eine Meile oder mehr durchmessenden See, der sich wie ein gewaltiger blauer Spiegel vor ihnen ausbreitete. Die Wände stiegen an drei Seiten senkrecht in die Höhe und gaben Skar das Gefühl, sich in einem riesigen wassergefüllten Krater zu befinden. Nur an Backbord gab es eine Stelle, die man mit sehr viel gutem Willen als Strand bezeichnen konnte. Das Wasser schwappte dort gegen eine glatte, steil emporsteigende Rampe, deren oberes Ende vom Fuße einer zerklüfteten Eislandschaft gebildet wurde, die sich kraß von den wie poliert wirkenden weißen Mauern ringsum unterschied. Ein geschickter und entsprechend ausgerüsteter Kletterer konnte dort den Aufstieg bewältigen, dachte Skar. Wenigstens saßen sie nicht vollkommen in der Falle, wenn der Dronte den Kanal allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz überwand. »Perfekt«, lobte er. »Besser konnten wir es uns kaum wünschen. Wenn ich einen Ort wie diesen hätte entwerfen sollen, dann hätte er genauso ausgesehen.«

»Ich hoffe, daß der Kapitän des Dronte nicht dasselbe denkt«, knurrte Rayan. Dann drehte er sich abrupt um und begann Kommandos zu brüllen. Eine hektische Aktivität breitete sich über dem Schiff aus. Stangen und Enterhaken wurden eingezogen, Matrosen turnten mit schnellen, geübten Bewegungen in der Takelage empor und nahmen ihre Plätze ein, und die zwei Dutzend gewaltigen Ruder, die bisher einen eisüberzogenen Zaun beiderseits der Reling gebildet hatten, klatschten gleichzeitig ins Wasser. Das Schiff bebte und erzitterte einen Moment und setzte sich dann wie ein großes, schwerfälliges Tier in Bewegung. Der stumpfe Bug teilte rauschend das Wasser und schwenkte langsam herum. Eine sanfte Wellenbewegung pflanzte sich über den See hinweg fort und zerbrach an den Eiswänden. Der blaue Spiegel zerbarst in ein Mosaik blitzender Scherben.

Skar beobachtete das Treiben an Bord mit wachsender Ungeduld. Nach Tagen untätigen Abwartens brannte es ihm in den Fingern, endlich eine Entscheidung herbeizuführen. Nicht, daß er sich auf den Kampf freute. Sie hatten alle Trümpfe in der Hand, aber der Dronte war ein Gegner, der immer für eine Überraschung gut war, und im stillen hoffte Skar sogar darauf, daß der Pirat die Falle erkennen und sich auf eine Belagerung einlassen würde, die er früher oder später aufgeben mußte. Die Kälte würde ihnen auch hier drinnen zu schaffen machen, aber die zweihundert Fuß hohen Eismauern gaben ihnen wenigstens Schutz vor dem Wind und der unbändigen Kraft des Ozeans, während sich der Dronte draußen mit dem Sturm und anderen Naturgewalten herumschlagen mußte; Gegnern, denen nicht einmal er auf Dauer gewachsen war. Aber irgend etwas sagte ihm, daß es trotzdem zum Kampf kommen würde. Ein Dronte weicht nie wieder von einer einmal aufgenommenen Spur ab, klangen Rayans Worte in ihm nach. Es gibt kein Entkommen und kein Unentschieden.

Das Schiff hatte die Mitte des Sees erreicht und begann sich zu drehen, bis es quer zur Fahrrinne lag. Rayan feuerte die Männer an den Rudern mit zornigem Gebrüll an und beschleunigte ihren Takt. Die SHAROKAAN bewegte sich wie ein störrischer Esel rückwärts und glitt gemächlich an die Eiswand neben dem Kanal heran. Für jeden, der gleich ihnen die schmale Wasserstraße befuhr, war das Schiff jetzt nicht mehr zu sehen. Aber es war da, ein vielleicht plump aussehendes, aber trotzdem gefährliches Raubtier, das sich auf die Lauer gelegt hatte und darauf wartete, daß sein Opfer in die vorbereitete Falle lief. Die SHAROKAAN war keineswegs wehrlos. Der Ruf, der dem Dronte vorauseilte, der Mythos der Unbesiegbarkeit, fußte zu einem nicht geringen Teil auf der Taktik der schwarzen Mörder, ihre Opfer aus großer Entfernung zu schlagen; sie mit Feuer und Tod zu überziehen, lange ehe es zu einem wirklichen Kampf kommen konnte. Auch, wenn es dem Dronte gelingen sollte, den Kanal zu überwinden, so hatten sie ihm seine stärkste Waffe genommen. Er würde es nicht wagen können, seine Katapulte einzusetzen. Nicht auf diese kurze Distanz. Ihr Höllenfeuer würde ihn selbst ebenso versengen wie sein Opfer. Er verscheuchte die Gedanken an Kampf und Tod und wandte sich fröstelnd, um zum Achterdeck zurückzugehen. Jetzt, als sie neben der gewaltigen glatten Eiswand lag, erschien ihm die SHAROKAAN kleiner. Das Klatschen der Ruder hatte aufgehört, und das Schiff bewegte sich kaum noch. Auch die Wellen, die es bei seiner Einfahrt in den See selbst verursacht hatte, verliefen sich langsam wieder, und die Wasseroberfläche würde in kurzer Zeit wieder so glatt und unbewegt sein wie zuvor. Skar blieb auf halber Strecke stehen und sah über die Reling aufs Wasser hinab. Rayans Vermutung, es hier mit einem gewaltigen schwimmenden Eisberg zu tun zu haben, war falsch gewesen. Die Strömung, die die SHAROKAAN auf ihrem Weg durch den Kanal begleitet hatte, war keine Strömung, sondern es waren die letzten Ausläufer der Flut. Unter dem Eis mußte Land sein, vielleicht nur eine Insel, aber immerhin festes Land. Vielleicht waren sie sogar an die Küste eines fremden, bisher unbekannten Kontinentes verschlagen worden. Aber wenn, dann war es ein Kontinent der Kälte und des Schweigens. Selbst der Mann oben im Mastkorb sah nichts als Eis und glitzerndes Weiß, obwohl der Blick von dort aus unzählige Meilen weit reichte, so klar, wie die Luft war.

Skar legte die Hände auf die Reling, beugte sich vor und brach mit der Linken ein Stück Eis ab.

»Was tust du da?«

Skar drehte den Kopf, als er Rayans Stimme hörte. Der Freisegler war lautlos herangekommen und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Seine beiden Veden-Leibwächter folgten ihm wie Schatten.

Skar deutete zuerst auf das Wasser, dann auf das Eisstückchen in seiner Hand. »Sieh selbst«, sagte er. Mit einer schwungvollen Bewegung warf er den Eisklumpen über Bord. Er tauchte unter, erschien Sekunden später wieder auf dem Wasser und tanzte einen Moment auf der Stelle.

Rayans Stirnrunzeln vertiefte sich. »Was soll das?« fragte er.

»Warte«, antwortete Skar. »Ich glaube, ich habe etwas entdeckt.« Der Eisbrocken begann langsam, dem Sog der Strömung folgend, zur Mitte des Sees zu treiben. Plötzlich hielt er an, begann immer schneller zu kreiseln - und verschwand.