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Skar setzte zu einer scharfen Antwort an, beließ es aber dann doch bei einem resignierenden Achselzucken. Ihr Zerwürfnis war keineswegs vergessen, auch wenn es nicht einmal offen zum Ausbruch gekommen war. Und fast hätte sich Skar wohler gefühlt, wenn sie sich wirklich gestritten hätten. Sie hatten einen Burgfrieden geschlossen, mehr nicht. Und er nahm sich vor, sich dieser Tatsache immer bewußt zu sein. In jeder Beziehung.

»Und dann?« fragte er.

Gowenna runzelte fragend die Brauen. »Was dann?«

»Der Gedanke, mit einem halben Hundert bis zum Tode erschöpfter Männer über diese Eiswüste zu marschieren, gefällt mir nicht. Sie werden mich fragen, wohin wir gehen. Und ich weiß keine Antwort. Oder«, fügte er wider besseres Wissen hinzu, »soll ich ihnen sagen, daß wir unterwegs sind, um deine Rache zu vollziehen?«

Gowennas Mine verdüsterte sich. »Sag ihnen, was du willst«, schnappte sie.

»Natürlich«, nickte Skar. »Schließlich bin ich ja der Kommandant, nicht?«

Gowenna überging den sarkastischen Tonfall. »Ich weiß nicht, was du ihnen sagen wirst, Skar, aber ich beneide dich nicht um diese Aufgabe.«

»Oh«, spöttelte Skar, »danke. Dein Mitgefühl freut mich.«

»Und dein Spott verletzt mich«, gab Gowenna ernst zurück. »Ich weiß, daß du glaubst, guten Grund dazu zu haben, aber er hilft uns nicht weiter. Wir haben gar keine andere Wahl, als zu diesen Bergen zu gehen.«

Skar schwieg, aber er dachte an Helth, diesen ungestümen jungen Narren, der ihm nur genauso lange gehorchen würde, wie es ihm paßte. Nein; Gowenna hatte recht. Sie konnten nicht hierbleiben. Vielleicht wäre es möglich gewesen ohne Helth, sie hätten auf die winzige Chance bauen können, daß sich der Dronte zurückzog, daß er sie nicht noch einmal angriff. Aber auch das war nur ein Vielleicht. Es konnte Tage dauern, vielleicht Wochen, bis sich das bizarre Wesen soweit erholt hatte, daß es den Kanal freigab. Es war ausgeschlossen, so lange tatenlos herumzusitzen. Ging die Rechnung nicht auf, würden sie trotzdem fliehen müssen. Eine Woche oder einen Monat älter und erschöpfter. Nein - es blieb ihnen keine andere Wahl.

Wie oft hatte er diese Worte schon gedacht, seit er Gowenna zum ersten Mal begegnet war? Zu oft auf jeden Fall. Zu oft hatte er keine andere Wahl mehr gehabt, als das Falsche zu tun. Es war falsch gewesen, Ikne zu verlassen; falsch, nach Combat zu gehen; und falsch, sich Vela auf den brennenden Ebenen vor der Stadt in den Weg zu stellen; falsch, ihr nach Elay zu folgen, falsch, falsch...

Er sah auf, aber Gowenna hatte sich ein paar Schritte entfernt und stand hoch aufgerichtet und starr im Wind, das Gesicht den Bergen am Horizont zugewandt, und er spürte, daß es nicht richtig wäre, sie jetzt zu stören. Vielleicht war es das letzte Mal in ihrem Leben, daß sie noch einmal so etwas wie Hoffnung verspüren konnte.

Er sah wieder auf den See hinab. Das Bild wirkte so friedlich, so absurd friedlich.

Aber wann hatte er das letzte Mal wirklichen Frieden empfunden? Seine Gedanken kehrten wieder - vielleicht ausgelöst durch die gleiche Situation, die Tatsache, daß er zum zweiten Mal in kurzer Zeit auf der Zinne dieser eisigen Festung stand, zum zweiten Mal nicht allein und doch einsamer als je zuvor in seinem Leben, und zum zweiten Mal am Vorabend einer Schlacht, die er nicht gewinnen konnte - vielleicht ausgelöst durch diese Wiederkehr der Umstände, dachte er wieder an Del, und wieder verspürte er diese seltsame Mischung aus Trauer und Zorn und Verbitterung, wieder war es der Del, den er in Cosh verloren hatte, nicht der, welcher in der Höhle unter ihnen über die schlafende Errish wachte. Ein Bild stieg vor seinem inneren Auge auf; eigentlich zwei Bilder, in einer blitzartigen Vision vermengt zu einem einzigen. - Er sah noch einmal die schwarze, hornschimmernde Gestalt auf dem Achterdeck des Dronte, und er sah noch einmal Brad, der mit einem lautlosen Schrei auf den Lippen in die Tiefe stürzte.

»Woran denkst du?«

Skar sah auf, hielt Gowennas Blick einen Moment stand und starrte dann wieder auf den See hinab. »An Del«, antwortete er.

»Del...« Irgendwie hatte das Wort in Gowennas Mund einen fremden, völlig anderen Klang. So, als spräche sie über einen ganz anderen Menschen als er. »Er hat sich verändert seit Elay, nicht?« Sie lächelte. »Er ist... erwachsen geworden.«

»Du irrst dich«, entgegnete Skar ruhig. »Ich meine nicht den Del, der mit uns auf dem Schiff ist. Der, den ich meine, ist in Cosh gestorben.«

Gowennas Miene verdüsterte sich. Sie blieb einen Moment reglos stehen, kam dann näher und berührte ihn an der Schulter, ganz sanft nur. Ihre Finger waren eisig und glatt, beinahe selbst wie Eis. »Wir hätten schon längst darüber reden sollen«, sagte sie. »Ich bin nicht blind, auch wenn du mir aus dem Weg gehst und nur mit mir sprichst, wenn es sich nicht umgehen läßt. Warum quälst du dich?«

Skar hob den Arm und wollte ihre Hand abstreifen, aber er führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern umklammerte nur ihr Handgelenk. Sie zog ihre Hand nicht weg, wie sie es vorher immer getan hatte, aber er spürte, wie sie unter der Berührung zusammenfuhr.

»Warum quälst du dich so?« fragte sie noch einmal. »Ich war lange genug mit ihm zusammen, um -« Sie brach ab, als sie den Ausdruck von Schmerz auf seinen Zügen sah. Wie sollte er ihr erklären, was in ihm vorging? Er hatte Dels Leiche gesehen, einen toten, ausgebluteten Körper, halb vergraben im Schnee. Er hatte die Totenwache neben ihm gehalten, vier Tage, wie es Sitte war, und er hätte ihn begraben, mit eigenen Händen, würde er die Zeit dazu gehabt haben. Er WUSSTE, daß Del tot war.

»Was die Sumpfleute getan haben«, sagte Gowenna sanft, »war keine Zauberei, Skar. Du hast sie erlebt - du hast mit Cosh selbst gesprochen, Skar, du weißt, wozu dieses Wesen in der Lage ist.« Ja, er wußte es. Noch jetzt glaubte er einen schwachen Hauch der ungeheuren geistigen Macht zu spüren, die ihn gestreift, irgend etwas in seiner Seele berührt und verändert hatte. Nicht einmal der Tod konnte für dieses Wesen unbesiegbar sein.

Und trotzdem. Wenn er die Augen schloß, sah er Dels totes Gesicht, wenn er mit ihm sprach, hörte er den Wind, der die Melodie zu seiner Totenwache gesungen hatte.

»Während du auf dem Weg nach Elay warst, Skar«, sagte Gowenna, »war er bei mir. Wir waren vier Monate zusammen. Und es gab während der ganzen Zeit nur ein Thema für ihn, Skar. Dich. Dieser Junge ist von den Toten wiederauferstanden, und sein erster Gedanke galt DIR, begreifst du das? Er hatte Angst um dich.« Sie trat zurück und richtete sich auf. In ihrem Auge blitzte Zorn. »Er hat das Heer geführt, aber er hat es nicht nach Elay gebracht, um Vela zu besiegen, sondern weil er Angst um dich hatte. Er hat ein zweites Leben geschenkt bekommen, und er war bereit, es zu opfern, um dich zu retten. Und du dankst es ihm, indem du ihn behandelst wie...«

»Wie?« fragte Skar, als Gowenna nicht weitersprach.

»Wie einen Fremden«, fuhr sie fort. »Glaubst du, er merkt es nicht?« Sie schüttelte den Kopf, und diesmal war wirklich Zorn in ihrer Stimme. »Ich habe mich daran gewöhnt, daß du mich wie einen Feind behandelst. Vielleicht habe ich es verdient. Aber Del nicht. Er ist noch immer dein Freund, und es tut ihm weh, was du mit ihm machst. Gib ihm eine Chance. Das bist du ihm schuldig.«

»Ich... kann es nicht«, murmelte Skar. Plötzlich fiel es ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten. »Vielleicht hast du recht, aber ich...« Er brach ab, fuhr mit einem Ruck herum und blickte auf den See hinunter. Aber er sah nicht die glänzende schwarze Fläche, sondern die verfallene Burgruine am Rande der Sümpfe von Cosh, in der er Dels Totenwache gehalten hatte.

Gowenna schwieg verwirrt. Sie wußte nicht, was in ihm vorging, nichts von dieser dunklen, bösen Macht in ihm, die mit jedem Tag stärker wurde. Und er würde es ihr auch nicht sagen. Nicht jetzt, und vielleicht gar nicht.