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Gowenna seufzte hörbar. »Du gibst mir mit jedem Tag mehr Rätsel auf, Satai«, nahm sie das Gespräch wieder auf.

Skar lächelte. »Ich bin ein gelehriger Schüler, Gowenna.«

»Das kann man wohl sagen, Skar. Ich -«

Gowenna unterbrach sich überrascht und deutete mit einer raschen, erschrockenen Bewegung nach unten. Skar fuhr herum, sah aus zusammengekniffenen Augen auf den See hinunter und erstarrte.

»Dieser Narr!« zischte er. »Dieser verdammte, kindsköpfige Idiot!«

Das Licht reichte nicht aus, um wirklich Einzelheiten zu erkennen, aber das wenige, das Skar sehen konnte, reichte aus. Ein kleiner, schlanker Schatten hatte sich vom gedrungenen Umriß der SHAROKAAN gelöst und trieb nun, gehorsam dem Sog der Ebbe folgend, quer über den See auf den Kanal zu.

»Dieser Idiot«, sagte Skar noch einmal. »Man sollte ihn auf eine zweite Pinasse binden und hinterherschicken.« Er ließ sich dicht vor der Kante auf die Knie herab und formte mit den Händen einen Trichter.

»Helth!« schrie er mit vollem Stimmaufwand. »Ich verbiete es! Tu es nicht! Du bringst uns alle um!«

Seine Stimme schien im Schweigen der Nacht unnatürlich weit zu schallen, und von den blinkenden Eismauern tief unter ihm kamen grotesk verzerrte Echos zurück.

Aber eine Antwort erfolgte nicht. Dafür glomm hinter der Reling der SHAROKAAN ein winziger rötlicher Funke auf.

Skar wollte noch einmal rufen, aber Gowenna hielt ihn mit einem resignierenden Kopfschütteln davon ab. »Es hat keinen Sinn, Skar«, gab sie zu bedenken. »Er wird nicht gehorchen.«

Skar schüttelte den Kopf. Sie hatten eine halbe Stunde gebraucht, allein für den Weg von der Höhle hier herauf. Die Strecke bis ganz hinunter zum See und zur SHAROKAAN war mehr als doppelt so weit, und der Abstieg würde schwieriger werden als der Weg hinauf. »Nein«, sagte er. »Ich habe keine Lust, von der Explosion irgendwo in der Mauer erwischt zu werden. Das Boot braucht keine zehn Minuten, um den Kanal zu erreichen. Und dieser Irre wird sein Vorhaben ausführen, ganz egal, ob wir unterwegs sind oder nicht.«

Seltsamerweise blieb Gowenna ruhig. »Vielleicht hat er sogar recht«, murmelte sie plötzlich.

Skar starrte sie fassungslos an. »Wie bitte?« fragte er. »Sag das noch einmal, Gowenna.«

Gowenna gab einen undeutbaren Laut von sich. »Ich habe nur versucht, mich in seine Lage zu versetzen«, erklärte sie. »Wäre ich an seiner Stelle, würde ich vielleicht nicht anders handeln. Ich halte das, was er tut, nicht für gut, Skar, aber ich verstehe ihn. Er hat Vater und Bruder durch dieses Monster verloren. Und er ist ein Vede, vergiß das nicht. Von seinem Standpunkt aus hat er gar keine andere Wahl, wenn er sein Gesicht nicht verlieren will.«

Skar schwieg eine Weile. »Ich hoffe nur, er verliert es nicht im wahrsten Sinne des Wortes«, bemerkte er dann.

Gowenna machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du übertreibst«, sagte sie. »Er wird ein bißchen Feuerwerk machen, und das ist alles.«

Skar nickte wütend. »Ja«, ergänzte er. »Und er wird dieses Ding zur Weißglut reizen. Wir -« Er brach ab, legte den Kopf auf die Seite und lauschte mit geschlossenen Augen. Auf seinem Gesicht erschien plötzlich ein angespannter, nervöser Ausdruck.

»Was ist?« fragte Gowenna.

Skar machte eine rasche Handbewegung und legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Ruhig«, zischte er. »Ich... höre etwas.«

Gowenna trat einen halben Schritt zurück. Ihre Hand zuckte zum Gürtel, und ihre Haltung war mit einem Mal so angespannt wie die Skars.

»Schritte«, flüsterte sie. »Das sind Schri... Skar!«

Das letzte Wort hatte sie geschrien. Skar fuhr herum, riß sein Schwert aus dem Gürtel und starrte in die Richtung, in die ihr ausgestreckter Arm wies.

Vor dem sternenübersäten Himmel zeichneten sich zwei dunkle, hochaufgeschossene Schatten ab.

»Ihr Götter!« keuchte Gowenna. »Was ist das?«

Skar wußte die Antwort nicht. Er wußte nur, was die beiden Gestalten nicht waren - nämlich Menschen. Sie waren zu groß, ihre Proportionen stimmten nicht, und ihre Umrisse schienen zu eckig und hart. Die beiden Fremden kamen langsam näher. Ihre Schritte knirschten hörbar auf dem harten Eis, und ihre Bewegungen schienen, obwohl eckig und von fast unbeholfen wirkender Starrheit, ungeheuer kraftvoll. Alles an ihnen strahlte Kraft aus, eine Kraft und Wildheit, die beinahe fühlbar war. Ihre Haut glänzte, wo sich das Licht der Sterne darauf brach.

Langsam, Schritt für Schritt, wichen sie vor den beiden Fremden zurück. Skar konnte mehr Einzelheiten erkennen, als die beiden schweigenden Riesen näher kamen: Sie mochten beide über sechs Fuß groß sein, und ihre Schulterbreite mußte annähernd das Doppelte der eines normal gewachsenen Mannes betragen. Ihre Körper waren bis auf den letzten Quadratmillimeter von weißen, glänzenden Panzern bedeckt, und die Gesichter verbargen sich hinter glatten Masken ohne sichtbare Öffnungen für Augen oder Mund. Sie waren mit großen dreieckigen und mit gefährlichen Widerhaken bewehrten Schilden und Schwertern bewaffnet, und auch aus den Arm- und Beinstücken ihrer Rüstung wuchsen lange, gefährliche Dorne. Sie wirkten auf schwer zu beschreibende Art roh und unfertig, kaum wie Menschen, sondern fast wie gewaltige, lebensgroße Statuen, die durch einen unbegreiflichen Zauber zum Leben erweckt und von ihren Sockeln herabgestiegen waren.

Aber das war es nicht, was Skar bis auf den Grund seiner Seele erschreckte. Er hatte schon oft gegen gefährliche und bizarre Gegner antreten müssen und auch gegen solche, deren Bewaffnung eindrucksvoller war als die der beiden Riesen. Es war etwas anderes.

Ihre Rüstungen waren nicht geschmiedet oder sonstwie gefertigt. Sie waren gewachsen.

Die beiden Angreifer bewegten sich jetzt langsam auseinander, und obwohl Skar ihre Gesichter nicht erkennen konnte, hatte er das deutliche Empfinden, beobachtet, angestarrt zu werden, angestarrt von Augen, die bis in die tiefsten Abgründe seiner Seele starrten. Es war das gleiche Gefühl, das er schon einmal gehabt hatte, dort unten, an Bord des Dronte, ein Gefühl, das ihn fast mehr ängstigte als die riesenhaften Gestalten und die Waffen in ihren Händen. Das Gefühl, daß diese beiden Fremden trotz allem etwas Bekanntes, etwas auf schreckliche Weise Vertrautes darstellten...

»Nimm den Rechten«, flüsterte er. »Versuch ihn hinzuhalten. Ich kann nicht mit beiden zugleich kämpfen.«

Gowenna nickte. Er spürte die Bewegung mehr, als er sie sah, aber er wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte. Sie war nicht so gut wie Del, aber sie war als Partner noch immer besser als irgendein anderer Mann, dem er je begegnet war. Er hatte sie kämpfen sehen. Der Riese würde sich wundern, wenn er glaubte, leichtes Spiel mit einer Frau zu haben.

Skar wechselte das Schwert von der Rechten in die Linke - nachdem sein Tschekal beim Kampf auf dem Dronte zerbrochen war, hatte er sich ein Ersatzschwert von den Freiseglern geben lassen -, griff unter den Umhang und zog einen der fünfzackigen Shuriken hervor. Das vertraute Gewicht des Wurfsternes flößte ihm für eine halbe Sekunde ein Gefühl trügerischer Sicherheit ein.

Er wog die Waffe abschätzend in der Hand, holte aus und schleuderte sie mit aller Macht. Der silberne Metallstern verwandelte sich in ein funkelndes, irrsinnig schnell rotierendes Rad und jagte mit ungeheurer Wucht auf einen der gepanzerten Riesen zu. Die Abwehrbewegung des Mannes kam zu spät. Der Shuriken schrammte über die Kante des im letzten Moment hochgerissenen Schildes, kippte im Flug in die Waagerechte und bohrte sich mit einem schmetternden Schlag in sein Gesichtsvisier. Die Kraft des Wurfes war so gewaltig, daß die Waffe fast zur Hälfte in das glänzende Visier eindrang, ehe sie zitternd steckenblieb.

Der Riese wankte. Ein dumpfer, stöhnender Laut wehte über die Eismauer. Er ließ den Schild fallen, hob die Hände ans Gesicht und zerrte vergeblich an der kleinen, tödlichen Waffe.