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Er wunderte sich für einen kurzen Augenblick, daß der Vede noch am Leben war. Seine Kleider waren durchnäßt, und das Haar klebte wie eine schwarze Kappe an seinem Schädel. Skar war Augenzeuge gewesen, wie ihn die Wellen gleich einer Spielzeugpuppe vom Deck des Schiffes gefegt hatten, ihn und die anderen, und für einen Moment dachte er daran, daß ein Sturz in das eisige Wasser eigentlich tödlich sein mußte. Helth zitterte am ganzen Leib, obwohl er sich Mühe gab, reglos zu stehen, und Skar konnte durch den dünnen, vor Nässe wie eine zweite Haut festgeklebten Stoff seines Umhanges sehen, wie an seinem Hals eine Ader pochte.

Vom See her drang die dumpfe, vibrierende Schallwelle einer neuerlichen Explosion herauf. Das Eis unter seinen Füßen bebte, und als er sich umdrehte, drang greller Lichtschein durch den Eingang, und die Gestalten der Freisegler davor verwandelten sich für Sekunden in flache schwarze Silhouetten, Figuren aus einem Scherenschnitt, nicht mehr länger lebende Menschen. Vielleicht, dachte er, lebten sie alle nicht wirklich. Vielleicht war dies nichts als ein grausamer Alptraum, aus dem er nur nicht erwachen konnte.

Eine der Figuren bewegte sich plötzlich, stieß eine andere mit einer unwilligen Bewegung zur Seite und eilte, ihren Umhang wie einen wehenden schwarzen Schleier aus gewobener Finsternis hinter sich herziehend, auf ihn zu. Gowenna. Er war ihr vorausgeeilt, draußen auf dem Eis, und für einen Augenblick hatte er sie vollkommen vergessen. Sie, den Dronte, Del und Vela, Combat - seine Gedanken begannen abzuschweifen, entwanden sich seinem Zugriff und begannen eigene, vollkommen sinnlose Wege zu gehen. Hysterie, dachte er, und allein das Wort ließ ihn fast schrill auflachen. Wenn ich mich nicht beherrsche, werde ich gleich wie ein Wahnsinniger anfangen zu stammeln! Aber er beherrschte sich, natürlich. Er war Skar, ein Satai, Sinnbild der Stärke und Unerschütterlichkeit, und deshalb, weil er so war, war er hier.

Gowenna lief an ihm vorbei, seine hastige, warnende Geste nicht beachtend, trat auf Helth zu und schlug ihm ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht. Der Vede war auf den Angriff nicht vorbereitet gewesen, nicht auf diese, trotz allem ruhige, fast selbstverständliche Art, in der sie auf ihn zuging und ihn schlug, wie man ein ungehorsames Kind ohrfeigte. Er taumelte zurück, hob instinktiv die Hände vors Gesicht und krümmte sich zusammen, als Gowenna ihm in den Leib trat.

»Gowenna!« sagte Skar. »Nicht!« Es fiel ihm schwer, die beiden Worte auszusprechen. Er fühlte sich plötzlich wie ein unbeteiligter Beobachter, jemand, den dies alles hier eigentlich nichts anging und der nur zufällig da war, und er mußte all seine Kraft aufwenden, um nicht plötzlich loszuschreien und sinnlose Worte zu stammeln. Ihre Hand, bereits zu einem weiteren Schlag erhoben, erstarrte mitten in der Bewegung. Wütend wandte sie den Kopf und starrte Skar an. »Und warum nicht?« fragte sie. »Er hätte es verdient, daß ich ihm das Messer zwischen die Rippen jage.«

Helth stemmte sich keuchend hoch. Sein Gesicht war verzerrt, und aus seinem linken Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden. Gowenna mußte sehr hart zugeschlagen haben. Seine Hand glitt zum Schwertgriff, und Skar konnte sehen, wie sich sein muskulöser Körper spannte.

»Tu es nicht«, sagte er ruhig. »Sie würde dich schlachten.« Der Bann wich allmählich. Die Dinge und Geräusche in seiner Umgebung wurden wieder klar, rückten wie Teile eines Bildes, die sich nur widerwillig wieder zusammenfügten, an ihren angestammten Platz zurück. Seine Gedanken beruhigten sich. Aber es war eine Warnung gewesen, und er würde sie beachten müssen. Er begriff plötzlich, daß er nicht so stark war, wie er bisher geglaubt hatte, nicht mehr. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten fortwährend an seinen Kräften genagt, kleinen grauen Ratten gleich, die sich beharrlich unter den Mauern um seinen Geist hindurchwühlten, und der Zusammenbruch würde kommen. Helth erstarrte. Irgend etwas, etwas, das Skar mit Worten nicht beschreiben konnte, dafür aber um so deutlicher spürte, geschah. Er konnte fühlen, wie sich die Spannung, die bisher wie eine unsichtbare dräuende Wolke in der Atmosphäre gelegen hatte, löste, etwas anderem und völlig Unerwartetem wich. Jemand lachte; ein kurzer, unechter Laut, der beinahe augenblicklich wieder verklang. Helth' Lippen begannen zu zittern, und plötzlich war er kein Feind mehr, kein Herausforderer, sondern nur noch ein großer dummer Junge, der nicht bereit war, zuzugeben, daß er einen Fehler gemacht hatte.

»Vielleicht hast du recht«, sagte Gowenna betont abfällig. »Ich würde mir nur die Hände an ihm schmutzig machen.«

Helth schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber, als er in die Gesichter der Freisegler sah, und auch Skar entspannte sich wieder. Es war vorbei, und diesmal endgültig. Helth hatte sein Spiel gespielt und verloren, aber es war knapp gewesen. Ohne Gowennas Eingreifen... Skar dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende. Sein Blick suchte den Dels, der die ganze Zeit wie ein stummer Schatten in einer Ecke gehockt und die Szene schweigend verfolgt hatte, und obwohl er seine Augen nicht sehen konnte, glaubte er ein kurzes spöttisches Aufblitzen wahrzunehmen. Er hatte keine sehr gute Figur in diesem kurzen, lautlosen Kampf gemacht und vielleicht von Anfang an gewußt, wie die Konfrontation enden mußte. Helth hatte seine Reaktion genau berechnet, sicher, daß Skar in diesem Augenblick nur zwei Dinge würde tun können: ihn töten oder den Kampf aufgeben, beides falsch und beides dazu angetan, ihn zum Verlierer zu stempeln. Auf den Gedanken, ihn wie ein verzogenes Kind, das er trotz allem in Wirklichkeit war, schlichtweg zu verprügeln, war Skar nicht einmal gekommen. Gowenna berührte ihn unsanft an der Schulter und deutete zum Ausgang. »Komm. Wir müssen sehen, was zu retten ist.«

Zu retten... Ihre Worte erschienen ihm wie ein schlechter Witz. Er hätte am liebsten laut aufgelacht, aber statt dessen nickte er wortlos und folgte ihr zum Ausgang. Die Freisegler traten schweigend zur Seite und gaben ihnen den Weg frei.

Das Eis glühte im Widerschein des Brandes wie unter einem geheimnisvollen inneren Feuer für einen Moment so stark, daß er die Hand vor die Augen hob und wegsah. Warmer, brandig riechender Wind trieb zu ihnen hinauf, und für einen Moment war es ihm, als sähe er schmale glitzernde Schatten über das Eis auf die Höhle zukriechen. Die beiden Schiffe waren ineinander verkeilt wie zwei bizarre Meeresungeheuer, die sich im Todeskampf ineinander verbissen hatten. Die SHAROKAAN brannte wie ein gewaltiger schwimmender Scheiterhaufen und warf zuckende Lichtreflexe über das Wasser. Auch der Dronte brannte, aber es war nicht mehr das Höllenfeuer, mit dem Brad und er ihn zu Anfang überschüttet hatten. Der schwarze Killersegler würde sich diesmal schneller erholen. Skar fragte sich, warum der Dronte das getan hatte. Nachdem der SHAROKAAN der Todesstoß versetzt war, hätte er in Ruhe draußen auf dem See abwarten können, bis sie ausgebrannt und gesunken war. Vielleicht war es ein blinder Instinkt, der gleiche Impuls, der eine Ratte dazu trieb, sich in ihr Opfer zu verbeißen und auch dann nicht loszulassen, wenn man ihr das Kreuz brach, aber vielleicht hatte er es auch getan, um sie zu verspotten, ihnen zu zeigen, wie wenig ihm ihr verzweifelter Angriff ausmachte, eine Demonstration seiner Überlegenheit, wie sie eindrucksvoller kaum sein konnte.

Er schob den Gedanken mit einem wütenden Knurren von sich. Sie wußten, daß der Dronte lebte, aber sie hatten keine Beweise, nicht einmal einen Anhaltspunkt dafür, daß er auch ein denkendes Wesen war. »Aus«, murmelte Gowenna neben ihm. Ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut, und sie sprach das Wort so aus, als wolle sie ihm noch mehr folgen lassen, tat es aber nicht.

Skar spürte die Wärme ihres Körpers neben sich, und ein seltsames aberwitziges Gefühl durchströmte ihn. Es war Irrsinn, aber jetzt, in diesem Moment, im Angesicht des brennenden Schiffes und des schwarzen Mörders, der geduldig dort unten lauerte, sie zu verbrennen, zu töten und mit sich hinab in die Hölle zu reißen, aus der er emporgestiegen war, in diesem Moment, als hätten die lodernden Flammen dort unten bis zu ihnen hinaufgegriffen und irgend etwas in seiner Seele in Brand gesetzt, hatte er Lust auf sie, nicht auf ihren Körper, nicht auf irgendeine Frau, sondern auf sie, Lust, sie an sich zu pressen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen, sie zu lieben, seine Lippen gegen das verbrannte Fleisch ihres Gesichtes zu pressen...