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Skar lächelte mühsam. »Wenigstens einer«, murmelte er. »Aber keine Angst - ich halte schon noch ein bißchen durch.« Er hob die Hand und wischte sich eine Schneeflocke aus dem Auge. Seine Haut prickelte vor Kälte.

»Etwas geschieht mit dir«, fuhr Del fort, ohne auf den bissigen Ton seiner Worte zu reagieren. »Etwas, das mir nicht gefällt. Du siehst müde aus.«

»Ich bin nicht mehr so recht in Form«, erwiderte Skar. »Normalerweise fechte ich in der Woche zwei bis drei Seeschlachten mit irgendwelchen Ungeheuern aus, weißt du? Aber in der letzten Zeit bin ich nicht mehr im Training.« Er lachte, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Dels Worte erschreckt hatten. Sieht man es mir jetzt schon an? dachte er erschrocken. Steht es in meinem Gesicht geschrieben, daß ich den Kampf verliere? Daß ER immer stärker wird, und ich nicht mehr die Kraft habe, mich zu wehren?

Wieder schwieg Del eine Weile, als müsse er Skars Worte genau überdenken. Er war ruhiger geworden, seit sie sich wiedergefunden hatten. Ernsthafter. Seltsamerweise hatte es bis jetzt gedauert, bis Skar dies wirklich erkannte. Vielleicht, dachte er müde, war es wirklich so, daß Del einfach erwachsen wurde. Oder er selbst alt...

»Wenn ich dir helfen kann, Skar«, sagte Del, stockend und beinahe verlegen, »dann...«

»Ich glaube nicht, daß du mir helfen kannst«, murmelte Skar, ohne Del anzusehen. Lautlos und nur für sich fügte er hinzu: Niemand kann das, mein Junge. Nicht einmal der Mann, der du einmal warst. Es war weder der Dronte noch irgendeine der anderen Gefahren in ihrer Umgebung, was an ihm nagte, so sehr an den Kräften seiner Seele zehrte wie der eisige Wind und die Erschöpfung an denen seines Körpers. Er war es selbst, aber es war ein Teil von ihm, vor dem er sich fürchtete. Sein Dunkler Bruder. Seltsam - aber er hatte es noch nie so klar gesehen wie in diesem Augenblick. Und die Erkenntnis war eigentlich erst gekommen, nachdem er diesen Gedanken so bewußt formuliert hatte. Waren es überhaupt seine Gedanken ? Oder gewann dieses Ding jetzt bereits Gewalt über seine Zunge?

Del sah ihn nachdenklich an. »Du willst nicht darüber reden«, meinte er. »Gut. Es ist deine Sache. Aber wenn du Hilfe brauchst, dann rufe mich.«

Skar sah ihn an. Dels Gesicht wirkte so müde wie das der anderen, aber es war noch etwas darin, irgendwo zwischen den tiefen Linien der Erschöpfung. Er schien noch etwas sagen zu wollen, zuckte aber dann nur stumm mit den Achseln und ging ohne ein weiteres Wort.

Skar sah ihm nach, bis seine Gestalt im Schneetreiben mit den Schatten der anderen verschmolzen war. Er spürte Zorn, aber nur für einen kurzen Augenblick.

Del konnte nicht wissen, was es war, das er mit sich herumschleppte. Er wußte es ja nicht einmal selbst wirklich. Es war erwacht, als er in den glühenden Sanddünen der Nonakesh um sein Leben gekämpft hatte, aber es war schon lange vorher in ihm gewesen, vielleicht seit seiner Geburt, vielleicht sogar schon davor. Es war vielleicht der Grund, aus dem er Satai geworden war, aus dem er - selbst in der Kriegerkaste Enwors - ein herausragender Mann war, vielleicht der stärkste Satai, den es jemals gegeben hatte. Jemand, dem der Mythos der Unbesiegbarkeit vorauseilte. Vielleicht war er nicht einmal ein Mensch, dort unten, tief in seiner Seele, sondern vielleicht war das, was er selbst von sich wußte, nichts als eine Maske, hinter der das Ding jahrzehntelang geduldig gelauert hatte, eine Maske wie die Gowennas, nur ungleich perfekter, und vielleicht...

...und vielleicht waren Velas Worte wahr gewesen, und er trug wirklich das Erbe der alten Menschheit in sich, einen Teil einer Welt, die vor Äonen untergegangen war. Aber wenn das zutraf, wenn das, was er spürte, wenn diese finstere, nur aus Haß und Gewalt bestehende Facette seiner selbst wirklich das Erbe der alten Götter sein sollte, ein Schatten der Welt, wie sie einmal gewesen war, dann konnte es nur gut sein, daß sie versunken und vergessen war.

Er drehte sich herum und sah in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Eine Windböe riß den wehenden Schleier aus Grau und flockig fallendem Weiß auseinander, als hätte er in diesem Moment ein Anrecht auf besondere Klarheit, und er konnte den See erkennen; ein gewaltiges, perfekt gerundetes Loch, dessen seeseitige Begrenzung mit dem wogenden Grau des Ozeans verschmolz, so daß es aussah, als hätte ein Meeresungeheuer im Spiel ein gewaltiges Stück aus der Eismauer herausgebissen.

Warum war er eigentlich hier? Nicht hier auf diesem öden Eisklotz, auf den sie der Dronte gejagt hatte, sondern überhaupt hier in diesem Geschehen, auf das er längst keinen Einfluß mehr ausübte? Warum hatte er es zugelassen, daß ihn nun Gowenna statt Vela zu einem Bauer in ihrem Schachspiel degradierte?

Er wußte die Antwort nicht, noch nicht.

Aber er würde sie finden. Irgendwo dort vorne, hinter den Schatten, von denen sie nur hoffen konnten, daß sie Berge waren und daß hinter ihnen ein anderes, weniger tödliches Land lag.

14.

Als die Sonne aufging, waren sie fünf Meilen vom See entfernt. Mit dem Ende der Nacht hörte es auf zu schneien; aber es wurde auch wieder kälter. Wind fauchte vom Meer herauf, als hätte sie der Winter, dem die SHAROKAAN in Anchor davongesegelt war, nun endgültig eingeholt wie ein eisiger Riese, der ihnen mit gewaltigen Schritten über den Ozean nachgeeilt war, vielleicht einzig, um ihnen zu zeigen, daß es selbst in einem Land der Extreme immer noch eine Steigerung geben konnte.

Skar blieb einen Moment stehen, lud sein Bündel von den Schultern und nahm eine dicke wollene Decke heraus, die er wie einen zweiten Mantel um seinen Umhang warf. Sie nutzte nicht viel; der Wind biß selbst durch die dicksten Kleidungsstücke, und sein Körper erstarrte allmählich zu Eis. Die Männer taumelten jetzt mehr als sie gingen, und immer öfter hörte Skar dumpfe Schmerzlaute, wenn einer von ihnen fiel und sich mühsam wieder aufrichtete. Eine der ausgelaugten Gestalten war bereits liegengeblieben, und niemand, auch Skar nicht, hatte noch die Kraft gehabt, ihr wieder auf die Füße zu helfen. Sie konnten nicht anhalten. Die Männer wären dort, wo sie gerade standen, eingeschlafen und unweigerlich erfroren. Sie hatten nur noch die Wahl, weiterzugehen oder gleich hier aufzugeben, die Wahl zwischen Leben und Tod.

Skar sah nach Osten. Jetzt, als das Licht beinahe waagerecht über den Horizont fiel, konnte er dort eine schmale gezackte Linie erkennen.

Er ging, die Schmerzen in seinen Beinen und das dumpfe Pochen in seinen abgestorbenen Zehen mißachtend, schneller und versuchte, an Gowennas Seite zu gelangen. Sie war an der Spitze der Kolonne, und ihre Haltung erschien ihm, inmitten der wankenden, ausgelaugten Gestalten ringsum, auf fast anstößige Weise kraftvoll und aufrecht. Skar brauchte lange, um sie einzuholen. Obwohl er so rasch ausschritt, wie seine steif gewordenen Muskeln noch zuließen, bewegte er sich nur um eine Winzigkeit schneller als sie. Auch dies war ein Werk der Kälte. Der Schnee verwischte die Unterschiede in ihrem Äußeren, und sie und die Furcht ließen seine Überlegenheit dahinschmelzen. Als er näher kam, sah er, daß er sich getäuscht hatte. Gowenna war so erschöpft wie die anderen. Ihre Schritte erschienen nur kraftvoll, aber sie waren es nicht. Als er sie ansprach, reagierte sie nicht sofort, und ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen. Das rote Licht der aufgehenden Sonne überzog nun auch die gesunde Hälfte ihres Antlitzes mit tiefen, verätzt wirkenden Linien und neuen Narben, aus Schatten gebildet. Aber unter der Erschöpfung in ihrem Blick glomm noch immer das gleiche fanatische Feuer wie am ersten Tag. Haß, der noch immer und vielleicht stärker in ihr brannte und sie vorwärts trieb, ihren Körper gepackt hielt wie eine heimtückische Krankheit, die ihr keine Ruhe lassen würde; nicht, bis sie getan hatte, wozu sie hergekommen war. »Die Männer können nicht mehr«, sagte er, als wäre sie es, die das Kommando führte, und nicht er. »Wie weit ist es bis zu... deinen Bergen?« Er wußte nicht, ob ihr die unmerkliche Pause oder die Art, in der er die Worte betonte, auffiel. Wenn, so war sie zu erschöpft, um darauf zu reagieren. Müde hob sie den Kopf und sah erst nach rechts, dann nach links. Die Männer in ihrer Umgebung wirkten wie graue, bucklige Scherenschnitte gegen den Sonnenaufgang. Tote, dachte Skar wieder, die wie einmal in Gang gesetzte Maschinen einfach weiterliefen, bis auch das letzte bißchen Kraft verbraucht sein würde und sie wie ausgebrannte leere Hüllen einfach zusammenbrachen, um zu sterben.