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Dicht vor dem Eingang lagen drei Männer nebeneinander, gemeinsam unter drei übereinandergelegte Decken gekrochen, um sich so mit ihren Körpern noch gegenseitig zu wärmen, und einer von ihnen war Helth. Skar blieb stehen und betrachtete ihn einen Moment. Er schlief, aber in verkrümmter, beinahe verkrampfter Haltung, die Arme um den Leib geschlungen und die Hände gegen Brust und Hals gepreßt, als leide er Atemnot, und seine Wangenmuskeln waren angespannt. Skar sah ihn einen Herzschlag lang an und überlegte, ob er ihn wecken und so dem Alpdruck entreißen sollte, den er zweifellos durchlitt, ließ es aber dann. Die Wirklichkeit war auch nichts als ein anderer, sogar tödlicher Alptraum. Nur, daß sie aus ihm nicht einfach aufwachen konnten, um ihm zu entfliehen. Leise drehte er sich um und ging weiter.

Er fand Vela in einem geschützten Winkel unweit des Ausganges, stieg behutsam über einen schlafenden Mann hinweg und ließ sich neben ihr in die Hocke sinken. Sie schlief. Ihr Gesicht war noch immer blaß, aber ihr Atem ging ruhig. Langsam und beinahe überrascht über sein eigenes Tun hob er die Hand und berührte ihre Wange. Ihre Haut war heiß. Sie hatte Fieber. Aber das hatten sie wohl alle.

»Zufrieden?«

Skar fuhr zusammen und zog die Hand beinahe schuldbewußt zurück. Gowenna war lautlos herangekommen und beobachtete ihn aus ihrem einzigen, spöttisch funkelnden Auge. »Sie schläft«, sagte sie. »Und ich wäre an deiner Stelle froh, daß sie nicht erwacht.«

Skar sprang mit einer übertrieben hastigen Bewegung auf und trat an ihr vorbei. Sein Fuß streifte einen der Schlafenden; der Mann bewegte sich unruhig, wachte aber nicht auf. »Ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten«, entgegnete er knapp.

Gowenna lächelte. »Ich streite nicht«, erklärte sie. »Ich versuche nur, dich zu warnen. Aber vielleicht ist es auch gar nicht nötig. Del und du bewacht sie so gut, daß ihr ohnehin als erste merken werdet, was geschieht. Habt ihr Angst, daß ich mich nachts an ihr Lager schleiche und ihr etwas zuleide tue?«

Skar überging den beißenden Spott in ihrer Stimme. Vielleicht war die Gelegenheit günstig, sie zur Rede zu stellen; sie waren ungestört, die Männer schliefen, und es gab genügend Räume und Winkel in dieser bizarren Ruine, in die sie sich hätten zurückziehen können. Aber er spürte auch, daß sie auf die Auseinandersetzung vorbereitet war. Er nicht. Gowenna war nicht dumm. Sie mußte sich ausgerechnet haben, daß er irgendwann erkennen würde, was geschah.

Nein, dachte er. Nicht jetzt. Später. Vielleicht nie.

»Bitte«, sagte er leise. »Nicht jetzt, Gowenna.«

Sie sah ihn einen Moment mit undeutbarem Ausdruck an, schlug ihren Umhang zurück und fuhr sich mit einer unbewußten, glättenden Geste über Kettenhemd und Hose. Die Bewegung verlieh ihrer tristen Umgebung etwas seltsam Vertrautes. »Wie du willst«, murmelte sie, plötzlich sichtlich darum bemüht, das Thema zu wechseln, nur noch mit dem Krieger, der er war, zu reden, nicht mehr mit dem Mann, der er einmal gewesen war und den sie - vielleicht, denn nicht einmal dessen war sich Skar jetzt mehr sicher - geliebt hatte. Was zwischen ihnen gewesen war, war ohnehin vorbei, und sie gehörten beide nicht zu den Menschen, die sich an zerbrochene Träume klammerten.

Trotzdem war es diesmal Skar, der sie zurückhielt. »Die Männer halten den Marsch nicht mehr durch«, sagte er. »Zwanzig Meilen durch diese Kälte schaffen sie nicht mehr. Selbst Helth nicht.«

»Sie werden es müssen«, antwortete Gowenna ruhig. »Sie haben keine andere Wahl. Und wir auch nicht.«

Normalerweise hätte ihn die eisige, menschenverachtende Art, in der sie diese Worte sprach, in Rage gebracht. Aber er war noch immer müde, jetzt vielleicht mehr denn je, und er sah einfach keinen Sinn mehr darin, sich - ganz egal worüber - mit ihr zu streiten. So verzog er nur verärgert das Gesicht. »Was erwartest du eigentlich?« fragte er halblaut. »Daß ich eine Gruppe von fünfzig halbtoten Männern hundert Meilen durch diese Eiswüste führe, ohne -«

»Warte«, unterbrach sie ihn. »Ich zeige dir etwas, bevor du weitersprichst. Ich bin ohnehin deshalb gekommen, nicht, um mich mit dir herumzustreiten. Komm.«

Bevor er Gelegenheit hatte, eine weitere Frage zu stellen, wandte sie sich um und verschwand gebückt durch den Ausgang. Ihre Stiefel knirschten auf dem Eis, als ginge sie über zermahlenes Glas.

Skar starrte ihr wütend nach, beeilte sich aber trotzdem, ihr zu folgen. Wenigstens kannte er Gowenna mittlerweile gut genug, um zu spüren, wann sie mit ihm spielte und wann sie es ernst meinte.

Die Sonne stand fast im Zenit, als er die schützende Ruine verließ und hinter Gowenna ins Freie trat. Die Kälte sprang ihn an wie ein reißendes Tier, das geduldig auf seine Rückkehr gewartet hatte, und der Wind peitschte ihm Eiskristalle und feinen, pulvrigen Schnee ins Gesicht. Unwillkürlich zog er seinen Mantel enger um die Schulter, aber der Stoff war klamm und so eisig, daß er fast noch stärker fror. Er merkte erst jetzt richtig, wie geschützt sie drinnen gewesen waren. In dieser Hölle aus Weiß und klirrender Kälte machten selbst ein paar Grad einen spürbaren Unterschied.

Gowenna wartete, bis er neben ihr war, wandte sich wortlos um und begann die zerrissene Flanke der Ruine zu ersteigen. Ihre Bewegungen waren langsam und müde, aber trotzdem geschickt, und Skar hatte Mühe, ihr zu folgen. Sein Herz jagte, als er die zwanzig Fuß hohe Mauer bewältigt hatte und vorsichtig auf dem unsicheren Untergrund nach festem Halt suchte.

Gowenna starrte unverwandt nach Westen, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Wind spielte mit ihrem Haar und ließ es wie einer, schwarzen Schleier vor ihrem Gesicht auf und ab wehen; ihr Umhang bauschte sich, als wäre er ein lebendes Wesen, und über den zerstörten Teil ihres Gesichtes huschten Schatten, als Versuche sie selbst jetzt noch, sich seinen Blicken zu entziehen. Plötzlich fragte er sich, warum sie keine Maske trug oder wenigstens einen Schleier, wie es die Errish allgemein taten. Sie litt unter diesem zerstörten Antlitz, das wußte er, aber sie unternahm auch nichts, um es zu verbergen. »Also?« fragte er. Obwohl Gowenna schwieg und ihn nicht ansah, spürte er deutlich die Veränderung, die plötzlich mit ihr vonstatten ging. Sie wirkte angespannt, aber auf eine schwer faßbare, aggressive Art. Ihre Hand lag auf dem Schwertgriff.

Gowenna strich sich das Haar aus dem Gesicht, hielt es mit der linken Hand im Nacken zusammen und zeigte mit der anderen auf das zusammengeschobene Fernrohr in Skars Gürtel. Skar holte es hervor und wollte es ihr reichen, aber sie schüttelte nur den Kopf und deutete nach Westen. Das Meer war jetzt mit bloßem Auge nur noch als feine graue Linie vor dem Horizont zu erkennen; davor ein dunkler, verschwommener Schatten von annähernder Kreisform. Der See. Es kam Skar fast wie Hohn vor, daß sie ihn noch immer sehen konnten. Aber vielleicht folgte er ihnen ja auch, und vielleicht trug sie dieses verfluchte Land mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der sie sich vorwärts bewegten, wieder zurück. Wie Fliegen, dachte er, die über eine eingefettete Glasscheibe krabbeln und nicht einmal merken, daß sie ebenso rasch zurückrutschen, wie sie an Höhe gewinnen.

Er vertrieb den Gedanken und hob das Glas an die Augen. Der Kratersee rückte scheinbar auf Armeslänge heran, als er die Linse mit einem Zipfel seines Umhanges von Eis und verklebtem Schmutz gereinigt hatte. Die Luft über dem gewaltigen Trichter flimmerte, und ab und zu huschte ein roter Lichtblitz über seine Wände. Das Wrack der SHAROKAAN mußte noch immer brennen, obwohl ihm dies beinahe unglaublich erschien. Aber das Feuer des Dronte war kein normales Feuer, sondern die Glut der Hölle.

»Sieh weiter hinaus«, sagte Gowenna leise. »Nach Süden. Aufs Meer.«

Gehorsam hob Skar das Glas und ließ es weiterwandern, bis er die Ausfahrt auf der gegenüberliegenden Seite des Trichters erkennen konnte. Selbst durch die stark vergrößernde Linse des Glases betrachtet war sie nicht mehr als ein dünner, mit feinen Schattenlinien gezeichneter Strich. Einen Moment lang verweilte sein Blick darauf, dann schwenkte er das Glas weiter, tastete den Weg zurück, den sie gekommen waren, und folgte der sanft gekrümmten Linie des Kanals bis hinaus aufs Meer.