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Er entdeckte Gowenna allein im Hintergrund der Höhle und arbeitete sich gebückt zu ihr durch. Die Decke war hier so niedrig, daß er vornübergebeugt gehen mußte und selbst dann noch gegen den Fels stieß. Eisige Luft wehte aus dem dunklen Teil der Höhle zu ihnen heraus. Die Katakomben mußten gewaltig sein. Der Fels knisterte über seinem Kopf, als würde er leben, und irgendwo weiter hinten löste sich etwas mit dumpfem Poltern von der Decke und fiel zu Boden. Er setzte sich, griff wortlos nach dem Beutel mit Gowennas Vorräten und nahm eine Handvoll der bitter schmeckenden Caba-Nüsse hervor. Ihre Schalen zersprangen wie sprödes Glas, als er die Faust darum schloß. Das Fruchtfleisch erschien ihm bitterer als sonst und so salzig, daß er beinahe augenblicklich Durst bekam.

Gowenna hockte auf einem Felsen, die Ellbogen auf den Knien abgestützt und das Haar wie einen verfilzten schwarzen Schleier vor dem Gesicht hängend. Auch sie war sichtlich am Ende ihrer Kräfte. Der Anblick erfüllte Skar beinahe mit Zufriedenheit. Er hatte schon angefangen zu glauben, daß diese Frau überhaupt keine Erschöpfung kannte.

Er kaute, langsam und sorgfältig, spülte mit einem Schluck geschmacklosem, von winzigen schwebenden Eisklümpchen durchsetztem Wasser nach, nahm sich eine weitere Handvoll Nüsse. Sie hatten nichts anderes. Die Laderäume der SHAROKAAN waren voll gewesen mit Lebensmitteln, aber sie durften trotzdem nur diese Nüsse mitnehmen. Die hartschaligen braunen Früchte waren unglaublich nahrhaft, und ein Mann vermochte von der Menge, die er problemlos tragen konnte, mehrere Wochen zu leben. Aber sie trockneten den Körper auch aus. Wenn man wie sie ausschließlich davon lebte, litt man praktisch ununterbrochen unter Durst.

»Warum schläfst du nicht?« fragte er nach einer Weile.

Gowenna sah auf, strich sich das Haar aus der Stirn und sah an ihm vorbei zu den reglos daliegenden Männern hinüber. Von Del und Vela war keine Spur zu sehen; Helth hockte mit angezogenen Knien auf der anderen Seite der Höhle, nicht inmitten seiner Männer, wie Skar erwartet hatte, sondern allein. Er wirkte sehr einsam. Seine Haltung war verkrampft, und wieder fragte sich Skar, ob er Schmerzen hatte. »Wir sollten Wachen aufstellen«, schlug Gowenna vor, seine Frage ignorierend. »Und vielleicht eine Patrouille aussenden.«

Skar lachte leise. »Hat dich Helth jetzt schon angesteckt?« fragte er. »Aber du hast recht - ich werde das Heer bei Sonnenaufgang antreten lassen. Die Reiterei in der Mitte und an den Flanken die Fußtruppen. Das beste wird sein, wir schicken zusätzlich tausend Bogenschützen auf die Berge hinauf.« Er brach ab, zerknackte eine Nuß und spielte einen Moment mit der Schale. »Du solltest schlafen. Del und ich werden abwechselnd wachen.«

Gowenna schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht müde«, behauptete sie.

Skar lachte rauh. »Man sieht es. Du siehst aus wie das blühende Leben. Warum läufst du nicht ein paarmal um den Berg herum, um deine überschüssigen Energien loszuwerden?«

»Und du?« fragte Gowenna dagegen. »Warum schläfst du nicht? Glaubst du immer noch, du müßtest auf mich aufpassen?« Skar verzichtete auf eine Antwort, und Gowenna fuhr erregt fort: »Du mißtraust mir noch immer, wie? Was soll ich noch tun? Ich habe dir gesagt, was ich weiß.«

Das stimmte. Skar wußte, daß Gowenna ihm die Wahrheit gesagt hatte, was den Dronte und diese Insel hier anging. Aber gleichzeitig wußte er auch, daß sie ihm etwas verschwieg. Sie hatte ihm ein kleines Geheimnis verraten, um von einem großen abzulenken; ein uralter Kunstgriff. Und sie gab sich nicht einmal sonderliche Mühe, sehr überzeugend zu wirken. Eigentlich hätte er zornig sein müssen. »Die Berge sind unwegsam«, sagte Gowenna plötzlich. »Vielleicht können wir diese Kreaturen irgendwie abschütteln. In die Irre führen.«

Die Sprunghaftigkeit ihrer Gedanken überraschte Skar kaum mehr. Sie waren alle zu erschöpft, um sich noch mit Überflüssigem zu belasten. Sie hatte keine Kraft mehr für wohlklingende Worte und gedrechselte Überleitungen.

»Wir könnten ihnen einen Hinterhalt legen«, murmelte Skar, obwohl er so gut wie sie wußte, wie unsinnig dieser Vorschlag war. Die Wesen, gegen die sie kämpften, waren keine Menschen.

Er lehnte sich zurück an die kalte Felswand und schwieg einen Moment. Die Dunkelheit schien sich zu vertiefen, während er so dalag und die Decke anstarrte. Es war, als kröche das Licht der Fackel Schritt für Schritt zurück, verlöre den Boden, den es gewonnen hatte, ganz langsam wieder an die vorrückende Finsternis. Müde drehte er den Kopf und sah nach hinten, in den dunklen Teil der Höhle. Er hätte nachsehen müssen, was dort war, fühlte sich aber zu müde dazu. Und er spürte, daß keine Gefahr bestand. Es gab auf dieser Insel nichts Lebendes, nichts außer ihm, Vela und Gowenna und diesen Männern. Vielleicht war es das erste Mal seit Äonen, daß lebende Wesen ihren Fuß auf das Eis dieser bizarren weißen Welt gesetzt hatten.

»Dein Auftritt vorhin«, fragte Gowenna nach einer Weile. »Was sollte das?«

»Was meinst du?« murmelte Skar. Ohne daß er es gemerkt hatte, war er halbwegs eingeschlafen. Er gähnte, stemmte sich auf die Ellbogen hoch und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen.

Gowenna lächelte. »Die flammende Rede, die du Helth gehalten hast«, erklärte sie. »Ich gebe zu, daß sie eindrucksvoll war - aber warum?«

»Warum? Nun -« Skar blinzelte, schwieg einen Moment und schüttelte den Kopf. Warum. Wie sollte er es ihr erklären? Wie sollte er ihr klarmachen, daß diese Worte weniger Helth oder Del oder gar den Freiseglern gegolten hatten, sondern mehr sich selbst? Gowennas Frage war eine deutliche Warnung: Er begann, sein Handeln von Dingen bestimmen zu lassen, von denen weder sie noch einer der anderen wissen konnte.

»Mir war gerade nach einem kleinen dramatischen Auftritt«, murmelte er.

»Und das ist der ganze Grund?« Sie sah ihn scharf an.

»Sollte es einen anderen geben?«

Gowenna setzte dazu an, etwas zu sagen. Aber sie tat es nicht. Ihre Hand fuhr in einer unbewußten, raschen Bewegung über ihr Haar. Skar fiel auf, daß eine dreifingerbreite Strähne über dem verbrannten Teil ihres Gesichtes weiß geworden war, und er versuchte sich zu erinnern, wie lange es schon so war. Es gelang ihm nicht.

»Was tun wir hier eigentlich?« fragte er leise.

Gowenna sah auf. »Wir versuchen zu überleben, Skar.«

»Das meine ich nicht.« Er überlegte, ob er überhaupt weitersprechen sollte, lächelte unsicher und setzte sich vollends auf. »Dieser ganze Kampf, diese...« Er zögerte. »Auseinandersetzung? Ist es das?«

»Ich glaube nicht, daß ich verstehe, was du meinst«, sagte Gowenna leise.

»Ich wäre froh, wenn ich es selbst wüßte«, gestand Skar. »Ich frage mich, welcher Sinn dahintersteckt. Du und ich, wir... wir gehören zusammen, Gowenna.«

Ihre Miene verfinsterte sich. »Fang nicht schon wieder an, Skar«, bat sie. »Es ist vorbei.«

Skar schüttelte den Kopf und legte die Hand auf ihre Schulter. Sie streifte sie ab. »Das meine ich nicht, Gowenna. Es gibt etwas, das uns verbindet, und ich glaube, du weißt das ebensogut wie ich. Etwas, das schon bestand, bevor wir uns kannten. Glaubst du wirklich, daß es Zufall war, daß Vela ausgerechnet dich ausgewählt hat, um ihre Vertraute zu sein?«

Gowenna antwortete nicht. Skars Worte schienen sie nicht einmal zu überraschen.

»Warum sind wir nicht ehrlich zueinander?« fragte er leise.

»Ehrlich?« Gowenna lächelte. »Was würde das nutzen, Skar? Du würdest mir nicht glauben, wenn ich es wäre.«

»Versuche es.«

»Wer sagt dir, daß ich es nicht bin?« antwortete Gowenna. Plötzlich schüttelte sie den Kopf, rückte ein Stück näher an ihn heran und berührte ihn ihrerseits am Arm. Ihr Griff war warm und fest. Stark wie der eines Mannes. »Was muß noch geschehen, bis du begreifst, daß ich nicht dein Feind bin, Skar? Du hast es selbst gesagt - wir gehören zusammen. Nicht als Mann und Frau. Das haben wir versucht, aber ich glaube nicht, daß ein zweiter Versuch viel Sinn hätte. Er... würde uns nur weh tun, uns beiden. Aber wir stehen auf der gleichen Seite.«