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»Wirklich?«

Sie nickte.

»Warum bist du dann nicht endlich ehrlich zu mir?« fragte Skar. »So wie du zu mir?«

Skar lächelte bitter. »Ich habe dir gesagt, daß ich dir nicht traue.«

»Sicher - wenn du das mit dem Wort Ehrlichkeit bezeichnest...« Sie zuckte mit den Achseln und zog die Hand zurück. Plötzlich mußte Skar mit aller Gewalt gegen den Impuls angehen, sie an sich zu reißen und festzuhalten. »Du warst in Elay«, fuhr Gowenna fort. »Du hast die Verbotene Stadt gesehen, und du hast ihre Macht gespürt, Skar. Du hast die Margoi gesprochen.« Das hatte er. Er war der Frau begegnet, die Vela auf dem Thron, den sie sich für wenige Wochen angeeignet hatte, gefolgt war, und obwohl es nur wenige Augenblicke gewesen waren und er nicht einmal ihr Gesicht gesehen hatte, war etwas in ihm vor der Ausstrahlung dieser Frau zurückgeschreckt. Es war... ja, jetzt, als er Gowenna so dicht wie selten zuvor in den letzten Monaten gegenübersaß und an die Margoi dachte, spürte er es deutlich: Es war das gleiche Gefühl gewesen, das er in ihrer Nähe hatte, nur ungleich stärker. »Glaubst du wirklich, ich könnte sie betrügen?« fuhr Gowenna fort. »Ich könnte dich betrügen, Del - vielleicht sogar die Sumpfleute, obwohl ich mir da nicht sicher bin. Aber sie nicht. Ich bin in ihrem Auftrag hier, und was ich tue, entspricht ihrem Willen. Sie vertraut mir, Skar.«

»Entspricht es auch dem Willen der Margoi, daß du Vela quälst?«

»Tue ich das?« Sie drehte den Kopf und sah in die Richtung, in der Vela irgendwo in der Dunkelheit lag und schlief.

Skar machte eine unwillige Geste. »Spiel nicht mit mir«, sagte er. »Du hast es getan.«

»Vielleicht hat es so ausgesehen, in deinen Augen, aber...«

»Dann sag endlich die Wahrheit!« unterbrach Skar sie zornig. »Verdammt, Gowenna, wir werden wahrscheinlich sterben, wir alle. Keiner von uns hat noch die Kraft, einen weiteren Tag in dieser Hölle durchzustehen. Sag mir, was hinter diesen Bergen auf uns wartet. Du weißt es.«

»Ich... kann es nicht«, murmelte Gowenna. »Ich... es geht nicht. Ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen.«

»Ist es das Kind?« fragte Skar. Er sah, wie Gowenna unter seinen Worten wie unter einem Hieb zusammenzuckte. »Ist es das?«

»Du -«

»Ich habe es dir nie gesagt«, fuhr er fort, »aber Vela hat mir von diesem Kind erzählt. Sie sagte, es würde meine Macht erben, und es würde hundertmal stärker sein als ich. Ich habe ihren Worten damals keine Bedeutung zugemessen, aber vielleicht hätte ich es tun sollen. Ist es das?«

»Nein«, sagte Gowenna. Sie sprach ein wenig zu laut und ein wenig zu hastig, als daß er ihr glaubte.

»Wenn es so ist, wäre es besser, wir würden zusammenhalten, statt uns zu bekämpfen«, fuhr er ungerührt fort. »Es wird nämlich sterben, wenn nicht ein Wunder geschieht.«

»Vielleicht wäre es das beste«, murmelte Gowenna. Sie sah auf. Ihr Gesicht wirkte mit einem Mal maskenhaft und starr, und er wußte, daß seine Worte ihren Widerstand eher noch gestärkt hatten. »Du hast recht, Skar«, pflichtete sie ihm bei, plötzlich wieder ganz ruhig. »Die Männer halten keinen weiteren Tag durch, und auch wir nicht. Die Entscheidung wird morgen fallen. Deshalb solltest du versuchen zu schlafen. Ich gebe dir mein Wort, daß ich mich Vela nicht einmal nähern werde.«

Sie sprach nicht weiter, und nach einer Weile ließ sich Skar wieder zurücksinken und starrte von neuem die niedrige, feuchtglitzernde Decke an. Schatten und die Illusion von Wärme begannen ihn einzulullen. Er wehrte sich nicht dagegen, obwohl er Angst hatte einzuschlafen. Er wußte, daß die Träume wiederkommen würden, Träume, die mehr als normaler Alpdruck waren, eine Botschaft, die er nicht zu interpretieren wußte. Er wußte nicht einmal, ob sie ihm galt oder diesem Ding in ihm.

Trotzdem schlief er ein, aber es war kein richtiger Schlaf, sondern nur ein Dämmern, in dem er alle Geräusche und Bewegungen in seiner Umgebung weiter registrierte und nur sein Körper ruhte.

Irgendwann, nach Stunden, vielleicht auch nur Minuten, rüttelte ihn jemand an der Schulter. Er öffnete widerwillig die Augen und blinzelte in Dels Gesicht.

»Dort draußen ist etwas.«

»Ja«, murmelte Skar verschlafen. »Eis und Schnee und noch mehr Eis. Weck mich, wenn du eine Oase siehst.«

Del verzog verärgert das Gesicht, packte ihn - wesentlich unsanfter als beim ersten Mal - bei den Schultern und riß ihn grob von seinem Lager hoch. Skar streifte seine Hand ab, blieb einen Herzschlag lang benommen sitzen und stemmte sich dann vollends auf die Füße. Die Fackel neben dem Eingang war fast heruntergebrannt. Er mußte vier oder fünf Stunden geruht haben. Nicht viel. Aber es war doch mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Automatisch drehte er den Kopf und sah sich nach Gowenna um. Sie war nicht mehr da, nur ihre Decken lagen noch neben ihm.

Skar zweifelte keine Sekunde an Dels Worten. Aber es fiel ihm seltsam schwer, ihre wahre Bedeutung zu erfassen, und so wenig, wie er bisher wirklich geschlafen hatte, gelang es ihm jetzt, wirklich wach zu werden. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, um das taube Gefühl zwischen seinen Schläfen zu vertreiben, hob seinen Mantel auf und ging auf unsicheren Beinen hinter Del zum Ausgang.

Der Himmel war jetzt grau, nicht mehr schwarz, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich der erste Schimmer der Dämmerung über dem Meer zeigte. Er blieb einen Moment neben der Höhle stehen, nahm eine Handvoll verharschten Schnee auf und fuhr sich damit durch das Gesicht. Die Kälte half ihm, ein wenig klarer zu werden. Aber er fühlte sich noch immer benommen.

»Wo?« fragte er.

Del wies nach vorne, zum Ende der Schlucht, der einzig möglichen Richtung, in der sie sich bewegen konnten. Skar lauschte, hörte aber nichts außer dem ewig gleichbleibenden Geräusch des Windes und dem Hämmern seines eigenen Herzens. Ein vages Gefühl von Furcht begann sich in seiner Seele zu rühren. Es wurde stärker, im gleichen Maße, in dem er die Benommenheit überwand und sich seine Gedanken weiter klärten. Wenn es jetzt soweit war, wenn der Dronte bis zu diesem Moment gewartet hatte, um seine Opfer zu schlagen, dann bestand für sie kaum eine Chance. Die Höhle, in die er die Männer geführt hatte, war nicht nur Schutz. Sie war auch eine Falle. Und trotzdem war er auf eine aberwitzige Art beinahe froh, daß es so kam. Noch vor wenigen Stunden hatten ihn die gleichen Worte, aus Helth' Mund gesprochen, in Zorn versetzt. Aber plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als im Kampf zu sterben. Schnell und schmerzlos.

»Gut«, erklärte er. »Du wirst mich begleiten. Wecke Gowenna. Sie und Helth werden hier auf uns warten. Wenn wir bis Sonnenaufgang nicht zurück sind, dann sollen sie ohne uns weiterziehen.«

Del drehte sich wortlos um und verschwand in der Höhle, und Skar wartete geduldig, bis er zurückkam. Der junge Satai hatte das zerbrochene Tschekal, das bisher in der Scheide an seinem Gürtel stak, gegen eine Waffe der Freisegler eingetauscht. Ein Schwert - ein bizarres gekrümmtes Ding mit zwei Schneiden und zahlreichen, wie Widerhaken nach hinten gekrümmten Spitzen. Keine Waffe für einen ehrenhaften Kampf, sondern ein Werkzeug zum Morden und Reißen und Schlachten. Über dem Arm trug er ein zusammengefaltetes Tuch, das Skar erst nach Augenblicken als seinen eigenen Mantel erkannte.

»Ich dachte, daß du das haben wolltest«, sagte Del.

Skar lächelte dankbar. Er warf das schmuddelige Wollcape, das er zum Schutz vor der Kälte übergestreift hatte, zu Boden und schlug sich statt dessen den viel dünneren schwarzen Satai-Umhang um die Schultern. Eine überflüssige und in dieser Umgebung vielleicht sogar alberne Geste, denn das Cape schützte kaum gegen den Wind und noch viel weniger gegen die Kälte. Trotzdem erfüllte es ihn mit einer beinahe kindlichen Freude, das Kleidungsstück nach so langer Zeit wieder auf der Haut zu fühlen.