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Helth murmelte einen Fluch und eilte voraus. Er war der erste, der durch den niedrigen Tunnel ins Innere des Berges kroch und sich an seinem jenseitigen Ende wieder aufrichtete.

Fast ein Dutzend Fackeln brannten in dem steinernen Gewölbe, als Skar hinter ihm auf die Füße kam. Eine Handvoll Männer umstand den Veden und redete aufgeregt auf ihn ein, die meisten aber drängten sich um eine Stelle weiter im Hintergrund der Höhle. Skar wartete, bis Del hinter ihm durch den Stollen gekrochen war, schob die Männer, die ihm im Weg standen, kurzerhand beiseite und bahnte sich so eine Gasse. Del und Helth folgten ihm dichtauf.

Vela war verschwunden. Die dünne Kette, mit der ihre Handgelenke aneinandergefesselt waren, lag zerrissen auf dem Boden. Das Lager aus Decken und Kleidungsstücken, auf dem sie geruht hatte, war zerwühlt, und statt der Errish lag der verkrümmte, ausgeblutete Körper eines Freiseglers dort. Sein Kopf war unnatürlich weit in den Nacken gebogen und die Kehle mit einem sauberen Schnitt von einem Ohr zum anderen durchtrennt.

Helth fluchte, drängte sich an Skar vorbei, sank neben dem Toten auf die Knie und drehte den reglosen Körper auf den Rücken. Der Kopf des Freiseglers pendelte hin und her, und in Skar stieg für einen Moment die aberwitzige Vorstellung empor, daß er davonrollen würde wie ein Ball, wenn Helth nicht vorsichtiger war. Der Schnitt war sehr tief.

»Diese verdammte Hexe«, murmelte Helth. Seine Stimme bebte, und als er aufsah und Skar anblickte, war sein Gesicht verzerrt von Haß. »Ich schwöre dir, daß ich sie umbringen werde, Skar. Und wenn es das letzte ist, was ich tue.«

»Sei mit deinen Racheschwüren nicht so voreilig«, antwortete Skar ruhig. Auch er mußte seine ganze Kraft aufbieten, um seine Selbstbeherrschung zu wahren. Aber er würde sich nicht von seinem Zorn dazu hinreißen lassen, die Dinge so zu sehen, wie er sie sehen sollte. Helth' Augen wurden schmal. »Wie meinst du das, Satai?«

Statt einer direkten Antwort drehte sich Skar um und sah prüfend in die Gesichter der Freisegler, die ihnen gefolgt waren und sie jetzt in einer dichten Mauer umstanden. Der Ausdruck, den er sah, war überall gleich: Zorn, ohnmächtige, hilflose Wut - und Furcht.

»Was ist hier geschehen?« fragte er mit erhobener Stimme.

»Das fragst du noch?« fuhr Helth auf. »Diese verdammte Hexe hat -«

»Hat jemand gesehen, was passiert ist?« fragte Skar noch einmal, so ruhig wie zuvor, aber eine winzige Spur lauter, so daß Helth verstummte und ihn nur mit wachsendem Zorn anstarrte.

Keiner der Männer antwortete, und die, die Skar ansah, senkten den Blick.

»Also niemand?« vergewisserte sich Skar. »Von sechsunddreißig Männern will nicht einer gesehen oder gehört haben, wie Gowenna in die Höhle zurückgekommen ist, diesen Mann ermordet und Vela entführt hat?«

»Es... ging zu schnell«, sagte einer der Männer. Skar sah auf, trat einen Schritt auf den Matrosen zu und maß ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick.

»Was ging zu schnell?« bohrte er weiter.

Der Mann begann nervös mit den Händen zu ringen. Er war zwei Köpfe kleiner als Skar, hatte schulterlanges, für einen Freisegler ungewöhnlich dunkles Haar und wirkte auf unbestimmte Art ängstlich und schüchtern. Sein Gesicht war gezeichnet von den Anstrengungen und Schrecken der vergangenen Tage, aber die Furcht in seinem Blick hatte andere Gründe. Er setzte zu einer Antwort an, biß sich auf die Unterlippe und warf Helth einen raschen, flehenden Blick zu. »Ich habe... Lärm gehört«, sagte er stockend. »Einen Schrei... glaube ich.«

»Du glaubst?« mischte sich Del ein.

»Ich sagte doch - es ging zu schnell«, antwortete der Freisegler. »Ich wurde wach und hörte den Schrei, und -«

»Und du hast niemanden gesehen?«

Skar runzelte die Stirn und wandte sich zu Helth um. Seine Frage hatte ein wenig zu suggestiv geklungen für seinen Geschmack.

»Einen... Schatten«, sagte der Matrose stockend. »Aber ehe ich hiersein konnte, war schon alles vorbei.«

Del gab ein ungläubiges Schnauben von sich. »Du willst mir erzählen, sie hätte dies alles hier getan und wäre aus der Höhle entkommen, ohne daß sie auch nur einer von euch gesehen hätte?« fragte er. »Mitten durch sechsunddreißig schlafende Männer hindurch, ohne daß auch nur einer von ihnen wach geworden wäre?«

»Fünfunddreißig«, verbesserte Helth. »Und einen Toten.«

Del wollte auffahren, aber Skar brachte ihn mit einem warnenden Blick zum Schweigen. »Du mußt zugeben, Helth«, sagte er ruhig, »daß die Geschichte recht unwahrscheinlich klingt.«

Helth lachte. »Das tun Geschichten über lebende Schiffe und Krieger aus Eis auch«, sagte er wütend. »Nenne mir einen Grund, weswegen meine Männer diese Hexe decken sollten! Sie hat einen von uns getötet, Skar. Und letztlich ist es ihre Schuld, daß wir überhaupt hier sind.«

»Sie ist nicht durch den Ausgang entflohen, Herr«, meldete sich der dunkelhaarige Matrose wieder zu Wort.

Skar starrte ihn an. »Wo entlang sonst?«

Wieder zögerte der Mann zu antworten. Dann hob er langsam und so, als müsse er gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen, die Hand und deutete tiefer in die Höhle hinein.

»Dort entlang?« fragte Skar zweifelnd. Vergeblich versuchte er, die Wand aus Schwärze im hinteren Teil der Höhle mit Blicken zu durchdringen. Das rötliche Licht der Fackeln reichte jetzt, da mehr von ihnen brannten, weiter als vorhin, aber es verlor sich noch immer nach wenigen Schritten in Finsternis und Nacht, als gäbe es da etwas, das das Licht aufsaugte.

»Warum habt ihr sie nicht verfolgt?« fragte Del mißtrauisch.

»Weil... dort kein Weg entlangführt«, antwortete der Mann. »Die Höhle hat keinen zweiten Ausgang.«

Del lachte, aber es klang nicht sehr überzeugend. »Dann ist sie wohl durch die Wand gegangen, wie?«

Seltsamerweise erschreckten Skar diese Worte. Mehr, als er zugeben wollte.

»Gebt mir ein Licht«, verlangte er. Einer der Matrosen reichte ihm eine brennende Fackel, trat aber sofort wieder zurück, fast als hätte er Angst, ihm zu nahe zu kommen. Skar konnte die Ablehnung, die ihm plötzlich aus den Reihen der Männer entgegenschlug, beinahe sehen. Und er verstand sie sogar. Gowenna, Del und er waren eins für die Freisegler. Sie waren Fremde, Menschen, die von draußen in die abgeschlossene Welt dieses seefahrenden Volkes eingebrochen waren, und sie hatten Unglück und Tod in ihrem Gefolge mitgebracht.

Skar schob den Gedanken beiseite und hob die Fackel hoch über den Kopf. Die Flamme leckte gegen die niedrige, eisverkrustete Decke und fächerte wie ein feuriger Pilz auseinander. Für einen Moment reichte ihr Licht weiter und gewährte Skar einen flüchtigen Blick auf glitzerndes Weiß und bizarre Formen aus Kalk und Eis und Felsen, von den Jahrhunderten zu einer Einheit verschmolzen. Dann schloß sich die Finsternis wieder wie eine schwarze Woge über dem Bild. Er wartete, bis Del und Helth sich ebenfalls eine Fackel genommen hatten, zog seine Waffe und ging vorsichtig los. Der Boden war abschüssig, und Schmelzwasser war in den hinteren Teil der Höhle gelaufen und unterwegs wieder gefroren, so daß er doppelt vorsichtig gehen mußte. Die flackernden, durchbrochenen Lichtkreise ihrer Fackeln eilten ihnen voraus, während sie nebeneinander tiefer in die Höhle eindrangen, und an ihren Rändern bewegten sich körperlose finstere Dinge; Schatten, die aus einer anderen Welt herübergekommen zu sein schienen, um ihn zu verhöhnen. Skar wußte, daß sie nur für ihn da waren, aber das machte es nicht besser. Er lauschte in sich hinein, aber das Flüstern war verstummt, die Stimme schwieg, so wie immer, wenn er darauf wartete, daß sie etwas sagte. Nicht einmal das Lachen, das ihn so oft verspottet hatte, war zu hören. Er war allein, allein mit sich und seiner Furcht.