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Helth wollte an ihm vorbei und die Stufen hinabgehen, aber Skar hielt ihn zurück.

»Das ist sinnlos, Helth«, sagte er. »Wer immer die Errish hier herausgeschafft hat, ist längst fort.« Er seufzte. Sein Blick irrte nach Westen. Der schwarze Buckel des Gebirges verlor sich schon nach wenigen Dutzend Schritten in den Schatten der weichenden Nacht. Aber er mußte ihn auch nicht sehen, um zu wissen, daß der Dronte wartete, irgendwo dort draußen. Er - oder das, was aus ihm herausgekrochen war.

»Gehen wir zurück«, entschied er. »Es wird bald hell. Wenn die Sonne aufgeht, finden wir vielleicht Spuren.«

Helth widersprach nicht. Er wirkte sichtlich erleichtert, als sie sich umwandten und zu den wartenden Freiseglern in die Höhle zurückgingen.

18.

In der Höhle herrschte bedrücktes Schweigen, als sie zu den Freiseglern zurückkehrten. Ein halbes Dutzend von ihnen hatte Skars Befehl befolgt und den Durchgang freigehalten, aber die anderen drängten sich in einem kleinen Bereich unmittelbar vor dem Ausgang des steinernen Gewölbes zusammen. Sie fürchteten sich, dem hinteren Teil der Höhle zu nahe zu kommen, und wahrscheinlich fürchteten sie sich auch ebenso vor ihm; vor ihm und Del, vielleicht auch vor Helth. Skar verstand gut, was in den Männern vorging. Er war nicht der einzige, der den Atem des Dronte spürte, das körperlose, unheimliche Ding, das ihnen vom See her gefolgt war und geduldig auf den Moment lauerte an dem es zuschlagen konnte. Im Grunde bewunderte er die Männer der SHAROKAAN sogar - sie waren Seeleute, Männer zwar, welche die harte Welt des offenen Meeres und all ihre Gefahren kannten, aber der Feind, mit dem sie hier konfrontiert wurden, war kein normaler Gegner. Er war verschlagen und todbringend, aber das war es nicht, was diese Männer bis auf den Grund ihrer Seelen erschreckte. Die Meere Enwors waren auch voller Gefahren und unbekannter, tödlicher Geheimnisse, und jeder einzelne von ihnen hatte sein Leben sicher schon ein Dutzend Mal gegen Piraten und Kaperschiffe verteidigen müssen; vielleicht auch gegen Ungeheuer, die Del und er sich nicht einmal vorzustellen vermochten. Aber dies hier war etwas anderes. Hätten sie einem Gegner aus Fleisch und Blut gegenübergestanden, würde sich Skar im Kreis dieser schweigsamen, harten Männer sicher gefühlt haben. Aber die schlimmste Waffe ihres Feindes waren nicht Feuer und Glut des Dronte, auch nicht die blitzenden Klingen der Eiskrieger. Es war seine Fremdartigkeit, die Aura des anderen, Nichtlebenden, die wie ein unsichtbarer Pesthauch über dieser Insel lag und langsam ihre Gedanken vergiftete, zehnmal mehr an ihren Kräften zehrte, als es die Kälte und die Entbehrungen allein gekonnt hätten. Auch Skar selbst spürte es; vielleicht stärker als sie alle. Vielleicht war die körperlose Stimme in ihm nicht sein dunkler Bruder, dieses Erbe der alten Menschen, mit dem er geschlagen war wie mit einem bösen Fluch, sondern nichts als ein Echo, die Antwort seiner eigenen Seele auf den Ruf des Dronte, seine eigene Art, mit der Furcht vor dem Fremden fertig zu werden.

Die Männer wichen zur Seite, als Skar zu seinem Lager ging und sich mit einem erschöpften Seufzen auf die zerschlissenen Decken sinken ließ. Er fror, und er fühlte sich - inmitten dieses immer noch beinahe halben Hunderts Männer - einsam, auf eine quälende, entmutigende Art allein. Die Matrosen gingen einer nach dem anderen wieder zu ihren Plätzen zurück, und Skar fiel plötzlich und mit schmerzhafter Intensität wieder auf, daß sein eigenes Lager ein Stück abseits der anderen war; nicht viel, aber doch so deutlich, daß es kein Zufall mehr sein konnte. Sie wichen vor ihm zurück, aber er spürte, daß es weniger Respekt war, der das Verhalten der Männer bestimmte, sondern vielmehr Furcht. Furcht wovor, dachte er. Vor seinen Händen, mit denen er töten konnte wie sie mit Schwert und Bogen? Kaum. Sie waren noch immer sechsunddreißig, mehr als genug, um auch mit einem Satai fertig zu werden. Oder war es vielleicht so, daß sie keinen Unterschied zwischen ihm und dem Dronte machten, daß er einfach fremd und damit ein Eindringling, vielleicht sogar ein Feind war?

Im Grunde war dies nicht ihr Kampf. Alles, was geschehen war, hatte auf die eine oder andere Weise mit ihm, mit Gowenna oder Vela zu tun. Das Schicksal der Freisegler war entschieden, als der Dronte ihr Schiff verbrannt hatte, und vielleicht war es wirklich so, wie Helth sagte: Er zögerte ihren Tod nur hinaus und verlängerte ihn um seine eigenen Qualen.

Er dachte wieder an Rayan, und er wußte jetzt, daß der Freisegler recht damit tat, ihm das Kommando über seine Männer zu übertragen und nicht Helth; zumindest von seinem Standpunkt aus. Hätte der Vede die Männer geführt, wäre er es gewesen, der sie hierher, ans Ende der Welt und ans Ende jeder Hoffnung brachte, säße er jetzt statt seiner hier und würde ihre Furcht und ihre Ablehnung spüren. Rayan mußte gewußt haben, daß es keine Rettung mehr für sie gab. Und er hatte nicht seinen Sohn, sondern ihn zum Schuldigen gemacht.

Skar sah auf, als Del sich mit überkreuzten Beinen neben ihn auf das Lager sinken ließ und den Kopf gegen die Wand lehnte.

»Was hast du?« fragte der junge Satai. »Du siehst aus, als würde dich etwas bedrücken.« Er lächelte.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er Dels gutmütigen Spott als die Aufmunterung empfunden, als die es gemeint war, und es hätte sogar funktioniert. Jetzt war es nichts als Gewohnheit, daß er sein Lächeln erwiderte.

»Es ist nichts«, murmelte er. »Ich übe mich ein bißchen in Selbstmitleid, das ist alles.«

»Selbstmitleid?« Dels linke Augenbraue zuckte ein Stück in die Höhe. »Ich erinnere mich an einen Mann, der mir stundenlange Vorträge darüber gehalten hat, wie wenig nutzbringend es ist, über Dinge zu jammern, die geschehen sind und sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Was ist mit ihm geschehen?«

Skar antwortete nicht, aber Dels Worte übten eine eigenartige Wirkung auf ihn aus. War es das? Del hatte es schon einmal gesagt, aber damals hatte er nicht begriffen, was der junge Satai wirklich damit meinte; er hatte nicht darüber nachgedacht, vielleicht nicht einmal darüber nachdenken wollen, weil er da schon spürte, daß Del sich im Recht und er sich im Unrecht befand. Waren es vielleicht gar nicht Del und Gowenna, die sich verändert hatten, sondern er?

Er erschrak. Als hätte die Frage eine unsichtbare Barriere in seinen Gedanken niedergerissen, fielen ihm noch einmal die tausend Dinge ein, die seither geschehen waren, Belanglosigkeiten zumeist, die Unterschiede, die er bei Del zu sehen geglaubt hatte und die vielleicht in Wirklichkeit bei ihm lagen.

»Im Ernst, Skar«, fuhr Del fort, als ihm nach einer Weile klar wurde, daß Skar nicht von sich aus antworten würde. »Wir müssen etwas unternehmen.«

»Und was?« fragte Skar.

Dels Blick verhärtete sich. Seine Augen glitzerten wie kleine polierte Stahlkugeln im Halbdunkel der Höhle. »Was soll das, Skar?« fragte er leise. »Seit wann gibst du auf? Seit wann legst du die Hände in den Schoß und resignierst? Ich dachte, das wäre etwas für Männer wie Helth.«

Skar überging den lauernden Ton in seiner Stimme. »Ich weiß einfach nicht weiter«, bekannte er und starrte an Del vorbei in die tanzenden Schatten, die sich wieder wie ein Vorhang zwischen sie und die glatte Eiswand im hinteren Drittel der Höhle geschoben hatten. Die Männer waren - mit wenigen Ausnahmen - wieder zu ihren Lagern zurückgekehrt, aber keiner von ihnen schien zu schlafen. Da und dort hatten sich kleine Gruppen zusammengefunden; einige redeten miteinander, die meisten saßen nur da und starrten dumpf vor sich hin, sie waren nicht zusammen, um zu reden, sondern nur, um nicht allein sein zu müssen. Angst lag wie etwas Spürbares, Finsteres in der Luft. »Irgend jemand spielt mit uns«, murmelte er. »Aber ich weiß nicht, wer, und ich weiß nicht, warum.« Er ballte die Faust, wie um sich damit auf die Schenkel zu schlagen, und ließ die Hand dann mit einem kraftlosen Kopfschütteln wieder sinken. »Verdammt, Del, ich kann nicht gegen einen Gegner kämpfen, den ich nicht kenne. Ich kann keinen Kampf gewinnen, von dem ich nicht einmal weiß, worum es geht.«