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»Er redet ununterbrochen«, antwortete Del. »Aber was er sagt, gefällt mir nicht.« Seine Stimme hatte jenen hellen, gehetzten Flüsterton, den man fast ebensoweit wie ein normal gesprochenes Wort verstehen konnte, und sein übertrieben geheimnisvolles Verhalten erschien Skar sinnlos, beinahe albern. Aber für einen ganz kurzen Moment erinnerte es ihn auch an den Del, den er früher gekannt hatte.

»Dann behalte ihn im Auge.«

Del nickte, ließ seinen Arm los und deutete mit einer Kopfbewegung auf Gowennas Lager, ein flaches Bündel aus Decken und zusammengewickelten Kleidungsstücken im windgeschützten toten Winkel neben dem Eingang. Helth hockte auf Armeslänge neben ihr und starrte ins Leere. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber seine Haltung wirkte verkrampft. Skar begriff, weshalb Del so besorgt war. Helth wartete. Er wußte nicht, worauf, aber er wartete.

Skar verscheuchte den Gedanken und ging rasch auf Gowenna zu. Sie hatten sie zugedeckt, so gut es ging, aber sie zitterte trotzdem vor Kälte, und als Skar neben ihr niederkniete und nach ihrer Hand griff, fühlte sich ihre Haut kalt wie Eis an. Skar vermied es absichtlich, Gowenna direkt anzusehen. Sie hatten nicht einmal genug Wasser gehabt, das eingetrocknete Blut vollends aus ihrem Gesicht zu waschen, und die braunrote Kruste war mit dem Narbengewebe auf ihren Zügen zu einer grausigen Maske verschmolzen. Noch vor wenigen Tagen hätte der Anblick Skar nichts ausgemacht. Aber sein Panzer war durchbrochen, endgültig, und er war jetzt verwundbarer als zuvor.

»Kannst du mich verstehen?« fragte er leise. Er hob nun doch den Blick, bemühte sich aber angestrengt, nur ihre unversehrte rechte Gesichtshälfte anzusehen. Natürlich gelang es ihm nicht.

»Wie rührend«, sagte Helth leise. Skar ignorierte ihn.

Gowennas Lippen bebten; zuerst glaubte er, vor Schmerzen, dann wurde ihm klar, daß sie zu sprechen versuchte. Er setzte sich bequemer hin, beugte sich vor und brachte sein Ohr ganz dicht an ihren Mund. Ihr Atem streifte sein Gesicht. Er roch schlecht: heiß, nach Fieber und Krankheit und Schwäche. Skar unterdrückte den Widerwillen, der in ihm aufstieg.

»Vela«, stöhnte Gowenna. »Du mußt... Vela finden, Skar. Sie... Das... das Kind. Es darf... darf nicht...« Ihre Worte wurden unverständlich. Ihre Finger, die gerade noch schwach und eisig wie die einer Toten in Skars Hand gelegen hatten, verkrampften sich plötzlich, so daß die Nägel tief in seine Haut schnitten. Skar setzte sich wieder auf, löste ihre Hand mit sanfter Gewalt aus der seinen und berührte ihre Stirn. Sie hatte Fieber und er konnte selbst durch den Verband hindurch spüren, wie ihr Puls jagte.

»Ich begreife es nicht«, murmelte Del. Es fiel Skar schwer, seinen Blick von Gowennas verschleierten, fiebrigen Augen zu lösen und den Kopf zu heben.

»Die Wunde ist nicht so schlimm, wie es im ersten Moment aussah«, beantwortete Del seine unausgesprochene Frage. »Sie hat viel Blut verloren, aber...« Er schüttelte den Kopf, ließ sich im Schneidersitz auf der anderen Seite des Lagers nieder - wie durch Zufall so, daß er genau zwischen ihr und Helth war, ohne dem Veden dabei allerdings den Rücken zuzukehren - und deutete mit einer Geste auf Gowennas bandagierte Schläfe. »Du kennst sie besser als ich, Skar. Sie hat eine Konstitution wie ein Mann. Der Schlag allein ist nicht schuld an ihrem Zustand.«

Skar sah wieder auf Gowennas Gesicht herab. Ihre Augen waren jetzt weit geöffnet und starrten ihn an. Aber sie sah nicht ihn, sondern irgend etwas anderes. Skar hatte nie einen Ausdruck so tiefer, so abgrundtiefer schrecklicher Furcht im Blick eines Menschen gesehen. »Woher willst du das wissen ?« fragte er halblaut. »Du bist kein Heiler. Der einzige Heiler, den wir hatten, ist sie selbst.«

»Warum hilft sie sich denn nicht selbst?« fragte Helth böse.

Skar sog hörbar die Luft ein. Er sah, wie sich Helth ein ganz kleines bißchen mehr spannte, fing einen warnenden Blick von Del auf und deutete ein Kopfschütteln an. Helth wollte sie provizieren, und nicht das erste Mal.

»Ich habe eine Menge gelernt, während ich bei den Sumpfleuten war«, antwortete Del, als hätte er Helth' Worte nicht gehört. »Nicht soviel wie sie oder Vela, aber genug.« Er schüttelte wieder den Kopf, um seine Worte zu bekräftigen. »Es ist nicht allein die Wunde, Skar. Wäre sie es, dann hätte sie niemals die Kraft gehabt, allein hierher zurückzukommen. Ein Mensch in diesem Zustand kriecht nicht eine Meile über Felsen und Eis.«

»Vielleicht hatte sie Helfer«, giftete Helth. »Zwei sogar.« Del drehte sich nun doch zu ihm um. »Halt endlich den Mund, Helth«, gebot er. »Ich lasse dich rufen, wenn ich deinen Rat brauche.«

»Du wirst sehr laut rufen müssen, Satai«, antwortete Helth gereizt. »Ich werde nämlich bald nicht mehr dasein. Und die Männer auch nicht.«

Del verdrehte in komisch gespielter Verzweiflung die Augen. »Jetzt fang nicht schon wieder an«, sagte er. »Ich dachte, wir hätten über dieses Thema bereits geredet.«

Helth sprang auf und stemmte herausfordernd die Fäuste in die Hüften. »Das haben wir nicht, Satai«, zischte er. »Ich habe euch gesagt, daß ich diesen Wahnsinnsmarsch nicht mitmachen werde, aber die Antwort darauf seid ihr mir bis jetzt schuldig geblieben.«

»Oh, wenn es das ist...« Del lächelte, erhob sich erst auf die Knie, stützte die Hände auf seinen Oberschenkel ab und stemmte sich ganz langsam in die Höhe. Skar konnte direkt sehen, wie er die Bewegung genoß. Als er sich ganz aufgerichtet hatte, überragte er den Veden um mehr als Haupteslänge. »Die Antwort ist nein, Helth«, erklärte er betont. »Keiner von uns wird zurückgehen. Skar nicht, ich nicht, deine Männer nicht, und auch du nicht.«

Gowenna regte sich. Für einen Moment wurde ihr Blick klar, aber der Schrecken, der sich darin spiegelte, war kaum kleiner als der, den das Fieber hineingezwungen hatte. »Skar«, stöhnte sie. »Du mußt... sie finden, bevor das Kind geboren wird. Es darf -«

»Und sie?« fragte Helth so laut, daß Skar unwillkürlich aufsah und sich spannte. »Was ist mit ihr?«

Del zuckte mit den Achseln und wich einen halben Schritt zurück. »Was soll mit ihr sein?« bemerkte er gleichmütig. »Wir nehmen sie mit.«

Helth lachte. Es hörte sich an wie ein Schrei. »Mitnehmen?! Du solltest dieser Hexe die Kehle durchschneiden, nach allem, was sie tat. Sie hat einen meiner Männer getötet, und -«

»Das behauptest du«, unterbrach ihn Skar. »Bisher wissen wir nicht, wer es war.«

Helth drehte mit einem wütenden Ruck den Kopf und starrte zu ihm herab. »Wer soll es sonst gewesen sein?«

Skar ließ behutsam Gowennas Hand los und stand ebenfalls auf. »Warten wir, bis sie wach ist«, schlug er vor. »Vielleicht erfahren wir es dann.«

Helth wurde mit jeder Sekunde nervöser. In seinen Augen erschien ein warnendes Flackern. Ein Blick, den Skar nur zu gut kannte. Er sah, wie sich seine Muskeln unter dem dünnen Zeremonienmantel spannten. »Warten!« keuchte er. »Wo willst du warten? Hier vielleicht? Es kann Tage dauern, bis sie erwacht, und vielleicht geschieht das auch nie. Wie lange willst du in diesem Grab bleiben, Skar - bis sie stark genug ist, aus eigener Kraft zu laufen?« Er lachte schrill. »Sie wird nicht mitkommen. Ich verlange, daß du sie zurückläßt, Satai!«

»Ach«, begehrte Del auf. »Mit welchem Recht, Vede?«

»Mit dem gleichen Recht, mit dem wir ein halbes Dutzend meiner Männer sterbend auf dem Eis zurückgelassen haben«, zischte Helth. »Sie ist nichts Besseres als einer von ihnen - im Gegenteil. Ohne sie wären wir nicht hier.«

»Natürlich nicht«, antwortete Del gleichmütig. »Und wäre Rayan nicht zufällig dein Vater, wärest du uns niemals begegnet - vielleicht wäre das besser gewesen.« Er lächelte, aber es geriet eher wie ein Zähnefletschen, und Helth wich unwillkürlich einen halben Schritt vor ihm zurück. »Ich habe keine Lust, mit dir zu streiten, Helth«, fuhr er fort. »Pack deine Sachen zusammen, oder laß sie meinetwegen hier und erfriere draußen auf dem Eis - aber wir werden gehen. Wir alle.«