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»Komm«, sagte Skar leise. Gowenna setzte sich gehorsam in Bewegung, kam jedoch schon beim ersten Schritt ins Stolpern, so daß Skar sie stützen mußte wie zuvor Del.

Dels Zorn war bereits verflogen, als sie ihn einholten, und in seinem Blick war jetzt nur noch Verwirrung. Sie wußten beide, warum Skar darauf bestandenen hatte, als erste über den Grat zu steigen. Die Felsen waren rechts und links des Einschnittes zerklüfteter und unübersichtlicher als anderenorts; es gab Verstecke genug, um eine kleine Armee zu verbergen. Um so mehr mußte es ihn verwundert haben, daß Skar so großen Wert darauf legte, Gowenna mitzunehmen.

»Wenn er wirklich dort oben wartet, ist er ein Idiot«, knurrte Del, während sie nebeneinander den verharschten Hang hinaufstiegen. Sein Blick streifte Gowenna, und die Unsicherheit auf seinen Zügen wuchs. Skar sah starr an ihm vorbei. »Aber es kann genausogut sein, daß er darauf hofft, daß wir so denken.« Er legte die Hand auf den Schwertgriff, zog die Waffe halb aus der Scheide und stieß sie mit einem ärgerlichen Schnauben wieder zurück, als die dünne Eisdecke unter seinem Gewicht einbrach und er bis zu den Kniekehlen in dem darunter verborgenen pulverfeinen Schnee versank. Skar wollte ihm aufhelfen und ließ Gowennas Arm los. Sie kam erneut ins Stolpern und fiel auf die Knie. Skar drehte sich mitten in der Bewegung um, um sie aufzufangen, aber auch er versank beinahe augenblicklich im Schnee; Schnee, der so fein und trocken war, daß er wie Sand in seine zugebundenen Stiefelschäfte rieselte und ihn vor Kälte aufstöhnen ließ. Del grinste, beugte sich vor, angelte nach einer Felszacke und zog sich ächzend weiter daran nach oben. Skar und Gowenna - mehr von Skar geschoben und von Del gezogen als aus eigener Kraft - folgten ihm auf die gleiche Weise. Es war absurd, aber er mußte in diesem Augenblick daran denken, daß Del und er für die Männer unter ihnen zwei ziemlich lächerliche Figuren abgeben mußten, wie sie sich Hand über Hand und mehr kriechend als gehend weiter nach oben arbeiteten. Der Weg wurde schwieriger. Unter dem Eis, das wie eine steil ansteigende weiße Straße zum Felsdurchbruch hinaufführte, war jetzt nicht mehr Schnee, sondern scharfkantiger Stein, so daß sie von diesem nur scheinbar leichten Weg abwichen und kurzerhand den Fels rechts und links davon hinaufkletterten; eine Aufgabe, die allein durch Gowennas Gegenwart beinahe unlösbar wurde. Skar trug ihr Gewicht nahezu allein; Del half ihm nur da, wo es wirklich nicht anders ging, die übrige Zeit blieb er zwar in ihrer unmittelbaren Nähe, um im Notfall sofort zugreifen zu können, sah aber mit einem schadenfrohen Grinsen zu, wie Skar Gowenna über die zerklüfteten Steine zog und teilweise trug.

Skars vor Kälte taube Hände waren bald blutig und eingerissen, aber das spürte er kaum noch. Sein Blick suchte immer wieder die zerborstenen Felsen beiderseits des Durchbruches ab, aber das einzige, was er sah, war der Schnee, der vom Wind immer wieder hochgewirbelt wurde.

Die letzten Meter waren wieder leichter. Das Eis war hier oben fest und trug ihr Gewicht, und Del und er konnten nebeneinander gehen. Skar widerstand der Versuchung, seine Waffe zu ziehen. Aber seine Schritte wurden langsamer, je weiter sie sich dem Punkt näherten, an dem sie die andere Seite der Ebene zu sehen hofften.

Der Anblick traf Del wie eine Ohrfeige. Er blieb stehen, so abrupt, als hätte ihn eine unsichtbare Hand mitten in der Bewegung zurückgerissen, starrte aus ungläubig aufgerissenen Augen auf die endlose weiße Fläche unter sich hinab und suchte vergeblich nach Worten. Gowenna reagierte anders - so, wie er erwartet hatte. Ein rasches Aufblitzen von Erkennen huschte über ihre Züge, gemischt mit Furcht.

»Das ist es, wohin Vela wollte«, sagte Skar. »Nicht wahr?«

Obwohl der Anblick für ihn nicht neu war wie für Del, lähmte ihn das bizarre Bild beinahe im gleichen Maße. Anders als am Morgen löste es jetzt Furcht in ihm aus. Irgend etwas war anders. Er konnte den Unterschied nicht in Worte fassen, aber er spürte ihn. War die Ebene am Morgen nur fremd gewesen, so wehte ihnen jetzt etwas Feindseliges, Böses entgegen, ein Hauch wie jener, den er an Bord des Dronte verspürt hatte, aber direkter, drohender.

»Skar - was ist das?« murmelte Del. Sein Blick hing noch immer wie gebannt an den blitzenden Konturen dieses gigantischen weißen Labyrinthes, das ein verspielter Gott über die Welt verstreut zu haben schien.

Skar zuckte mit den Achseln und sah Gowenna an. »Frag sie«, knurrte er halblaut. »Ich weiß es so wenig wie du. Ich weiß nur, daß wir hindurch müssen. Oder?« Gowenna antwortete nicht, sondern tat weiter so, als registriere sie gar nicht, was um sie herum vorging. Der Sturm zerrte an ihren Kleidern. Sie wankte, und Skar konnte sehen, wie sich ihre Hände unter dem Mantel nervös bewegten.

»Müssen wir das wirklich?« Del riß sich los und starrte Gowenna an. »Und dann?« fuhr er fort. »Was dann, Gowenna?« In seiner Stimme war plötzlich ein gereizter, aggressiver Unterton. »Was ist das, dort unten? Und was erwartet uns dort?«

Gowenna sah auf. Ihr Gesicht zuckte. Eine Sekunde lang hielt Del ihrem Blick stand, dann trat er plötzlich auf sie zu, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie so heftig, daß Skar ihn instinktiv zurückriß. Gowenna wankte, griff haltsuchend nach einem Felsen und fand im letzten Moment ihr Gleichgewicht wieder.

Wütend schlug Del Skars Hand beiseite und trat abermals auf Gowenna zu. »Ich habe dich etwas gefragt«, sagte er drohend. »Also?« Gowenna schluckte. Ihr Blick suchte den Skars und wurde flehend. Skar sah weg.

»Skar hat... hat recht«, brachte sie stockend hervor. »Das dort unten ist Velas Ziel. Der Ort, an den sie... gerufen wurde. Das weiße Labyrinth.«

»Dafür, daß du nichts weißt, weißt du eine Menge«, knurrte Del. »Aber das beantwortet meine Frage nicht, Gowenna - was ist das?« Er ergriff sie abermals bei den Schultern, schüttelte sie aber diesmal nicht, sondern begnügte sich damit, sie grob herumzudrehen und festzuhalten, so daß sie auf die glitzernde weiße Einöde hinuntersehen mußte. »Und Helth?« fragte er. »Was ist mit ihm? Wird er dort unten auf uns warten - oder vielleicht deine Eisfreunde oder der Dronte?«

»Laß mich los«, bat Gowenna. »Du tust mir weh.«

Zu Skars Überraschung ließ Del sie wirklich los, ergriff sie jedoch gleich darauf wieder am Arm und drehte sie abermals herum. Gowennas Gesicht zuckte vor Schmerzen, und für einen ganz kurzen Moment stieg Zorn in Skar auf. Aber er zwang sich dazu, ruhig dabeizustehen und zuzuhören.

Gowenna begann sich unter Dels Griff zu winden. »Ich weiß nichts von Helth«, keuchte sie. »Ich... Skar - hilf mir, bitte!«

Skar seufzte, trat neben Del und drückte dessen Hand mit sanfter Gewalt herunter. Del fauchte wütend, ließ es aber trotzdem geschehen. Seine Lippen bebten vor Wut. »Gowenna, bitte«, wandte Skar sich ihr zu. Seine Stimme klang flach und dünn; er hätte Zorn verspüren müssen oder wenigstens Ärger. Aber er fühlte nichts. Nur Kälte. »Ich habe nicht mehr die Kraft, auch noch gegen dich zu kämpfen. Sage uns, was du weißt und warum wir überhaupt hier sind. Und wenn schon nicht unsertwegen, dann« - er deutete mit einer Kopfbewegung nach hinten, wo die Männer der SHAROKAAN standen und die für sie stumme Szene mit ausdruckslosen Gesichtern verfolgten - »um ihretwillen. Oder bedeuten dir diese vierunddreißig Menschenleben gar nichts mehr?«

Gowenna starrte ihn an. Der Ausdruck in ihrem Blick sollte Trotz sein, aber er war es nicht. Sie zitterte. »Du verstehst nichts«, murmelte sie.

»Dann hilf ihm«, sagte Del wütend. »Ich bin sicher, er wird dich verstehen, wenn du endlich die Wahrheit sagst.«

»Sei still«, gebot Skar rasch. Zu Gowenna gewandt, fuhr er fort: »Du wußtest, was uns erwartet, nicht? Du wußtest vom Dronte, und du wußtest von diesem... diesem Etwas da unten. Was hat das alles zu bedeuten? Wo ist Vela?«