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Skar schwieg. In Gowenna war eine stärkere Veränderung vor sich gegangen, als er befürchtet hatte. Sie war besessen. Besessen von ihrem Wunsch nach Rache. Sie mußte so gut wie er wissen, daß ihr Leben nur noch Stunden zählte, wenn nicht ein Wunder geschah und sich das Meer auftat, um den Dronte zu verschlingen. Aber für sie schien das alles überhaupt keine Rolle zu spielen. Der schwarze Killersegler bedeutete für sie - wenn überhaupt etwas - nicht viel mehr als ein Ärgernis, ein dummes lästiges Ding, das sie daran hinderte, ihre Rache zu vollziehen. Sie war krank. Krank vor Rache und Haß.

»Und wenn ich es weiß?« fragte er nach einer Weile.

In Gowennas sehendem Auge blitzte es zornig auf. Aber sie beherrschte sich. »Dann beantworte mir meine Frage«, verlangte sie. »Wirst du sie zum Berg der Götter bringen oder nicht?«

»Ich werde tun, was die Ehrwürdige Mutter von mir verlangt hat«, antwortete er steif. »Nämlich Vela sicher zum Berg der Götter geleiten und sie beschützen. Auch vor dir.«

»Du bist ein Narr, Skar«, sagte Gowenna ruhig. »Glaubst du wirklich, du könntest mich daran hindern, sie zu töten, wenn ich das wollte?«

»Nein. Und gerade das ist es, was mir Angst macht. Was hast du wirklich vor? Ich weiß, daß du sie nicht töten willst; wie du selbst gesagt hast, hättest du es hundertmal tun können bis jetzt. Und das ist ein Grund mehr für mich, noch wachsamer zu sein.«

Seine Stimme war bei den letzten Worten immer lauter geworden, und Skar sah an der Reaktion auf Gowennas Zügen, wie sehr sie seine Worte verletzten. Weitaus mehr, als er geglaubt hatte, und mehr, als eigentlich normal gewesen wäre. Sekundenlang starrte sie ihn schweigend und voller Verachtung an, und für einen kurzen Moment glaubte er etwas von dem unbeschreiblichen Haß zu spüren, der in ihrer Seele brannte. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, schürzte aber dann nur wütend die Lippen und stand auf.

Skar hielt sie am Arm zurück. »Gowenna«, sagte er ernst. »Wir sind eigentlich beide alt genug und kennen uns zu lange, um uns noch Theater vorspielen zu müssen, meinst du nicht?«

Sie versuchte, ihre Hand aus seinem Griff zu befreien, aber Skar hielt sie unbarmherzig fest.

»Bitte«, fuhr er fort. »Wir haben wirklich im Moment andere Sorgen - laß uns wenigstens ehrlich zueinander sein.« Aber er spürte, schon während er die Worte aussprach, daß Gowenna ihm nicht zuhörte, daß sie ihm nicht zuhören wollte.

»Laß mich los!« zischte sie.

Skar seufzte, schüttelte den Kopf und löste seinen Griff. Gowenna wich hastig ein Stück von ihm weg, massierte mit der Linken ihr schmerzendes Handgelenk und starrte ihn haßerfüllt an. Ihre Haut war rot, wo Skar sie gepackt hatte. Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte er mit aller Kraft zugedrückt. Es tat ihm leid.

»Ich danke dir, Satai«, murmelte Gowenna. »Du hast mir die Antwort gegeben, die ich haben wollte.«

»Habe ich das?«

Sie nickte. »Jedenfalls weiß ich jetzt, was ich wissen wollte«, sagte sie. »Ich werde mich danach richten, wenn die Zeit gekommen ist.« Skar seufzte. Und obwohl er ganz genau wußte, wie sinnlos es war, antwortete er ihr noch einmaclass="underline" »Ich werde tun, was man mir aufgetragen hat, Gowenna, ich werde Vela und ihr Kind zum Berg der Götter bringen und sie dem Rat der Satai übergeben. Und ich werde mich dem Spruch meiner Herrscher beugen, ganz gleich, wie er ausfällt. Du tätest gut daran, ebenso zu handeln.«

Gowennas Blick sprühte vor Haß, aber sie antwortete nicht mehr auf seine Worte, sondern fuhr mit einer überhastet wirkenden Bewegung herum. Mit raschen Schritten ging sie zwischen den schlafenden Matrosen hindurch und verschwand gebückt auf der Treppe; nicht, weil sie dort oben irgend etwas zu tun gehabt hätte, sondern einzig, um ihn demonstrativ allein zu lassen.

Skar starrte ihr kopfschüttelnd nach. Was war nur mit ihr geschehen in den Monaten, die sie getrennt gewesen waren? Sie war auch zuvor schon verbittert und voller Haß gewesen, aber die Frau, die jetzt mit ihm auf diesem Schiff fuhr, war mehr als nur verbittert. Sie war besessen.

Er ließ sich wieder zurücksinken, schloß die Augen und versuchte an nichts zu denken. Aber er fand keine Ruhe, obwohl er müde war und sein Körper nach Schlaf schrie. Es waren Momente wie diese, in denen er mehr als zuvor daran zweifelte, daß es richtig gewesen war, den Befehl der Margoi zu befolgen. Wahrscheinlich hätten sie sich nicht weigern können, die Bewachung Velas zu übernehmen - aber er hätte sich weigern können, Gowenna als Begleiterin zuzulassen. Die Ehrwürdige Mutter hätte diesen Wunsch akzeptiert - vielleicht hätte sie ihn sogar begrüßt. Skar war sicher, daß es nicht ihre Idee gewesen war, ausgerechnet Gowenna mit der Aufgabe zu betrauen, die verstoßene Errish zu bewachen. Möglicherweise war es ein Akt von falsch verstandener Wiedergutmachung gewesen, und vielleicht - wahrscheinlich, so, wie er Gowenna während der letzten Tage erlebte - hatte sie selbst das Ihre dazu beigetragen, dieses Gefühl in der Herrscherin von Elay zu erwecken. Wenn sie von diesem Schiff herunter waren - wenn sie es schafften -, dann würden sie sich trennen müssen. Skar bewegte sich unruhig, drehte das Gesicht zur Wand und versuchte die Kälte zu ignorieren, die beharrlich unter seine Decken kroch. Er war alles andere als ein Fatalist, aber es hatte keinen Sinn, sich mit all diesen Fragen zu belasten. Nicht jetzt. Vielleicht war es richtig gewesen, vielleicht nicht. Er konnte jetzt nichts mehr daran ändern.

Es würde sich herausstellen. Bald.

3.

Er hatte schlecht geschlafen. Sein Rücken schmerzte, und in seinem Kopf war ein dumpfer, an- und abschwellender Druck, nicht wirklich unangenehm, aber doch beinahe quälender als echter Schmerz, der ihn aufstöhnen und spontan die Hände an die Schläfen heben ließ. Er schlug die Augen auf, starrte einen Herzschlag lang die niedrige Decke über sich an und setzte sich dann mit einem Ruck auf. Die Bewegung jagte eine neue Welle von Übelkeit durch seinen Schädel. Das Schiff vibrierte. Das Deck über ihm hallte wider vom hastigen Trappeln zahlreicher Füße, und von irgendwoher drang aufgeregtes Stimmengewirr an sein Ohr. Er verstand die Worte nicht, aber er spürte, daß irgend etwas geschehen sein mußte. Die SHAROKAAN schien wie ein lebendes Wesen vor Erregung zu zittern. Es war, als hätte sich der Pulsschlag des Schiffes beschleunigt.

Skar wartete, bis der dumpfe Druck hinter seinen Schläfen abgeklungen war und das Schwindelgefühl wich. Seine Zunge fühlte sich pelzig an, und seine Augenlider brannten und schienen geschwollen; ein Gefühl, gleich dem, das sich einstellte, wenn man viel zu kurz oder viel zu lange geschlafen hatte. Er atmete ein paarmal bewußt ein, sog die eisige Luft tief in seine Lungen und sah sich um. Die meisten Lager waren verlassen; die Kajüte war fast leer. Die Kohlebecken an den Wänden waren heruntergebrannt, und das Licht war zu einer trüben, unsicheren Helligkeit herabgesunken, die die Umrisse der Dinge im Raum verschwimmen und alles seltsam unwirklich erscheinen ließ. Gleichzeitig war es empfindlich kälter geworden. An den Wänden und der Decke sammelte sich Feuchtigkeit und lief in dünnen, glitzernden Rinnsalen zu Boden. Sein Atem bildete eine feine Dampfwolke vor seinem Gesicht.

Auch Gowennas Schlafplatz war leer, aber als er aufstand, bewegte sich einer der Lumpenhaufen neben ihm. Die Decken wurden auseinandergezogen, und eine dürre Hand, bleich und so abgemagert, daß sich die Knochen unter der Pergamenthaut abzeichneten, wühlte sich ins Freie. Ein schmales, erschöpftes Gesicht erschien zwischen den zerschlissenen Stoffbahnen, dunkle Augen, in denen sich Müdigkeit und Angst und noch etwas anderes, Fremdes spiegelten, starrten zu ihm hinauf. Skar kannte den Mann nicht mit Namen, aber er hatte gesehen, wie er am Vorabend vom Mast gestürzt war und sich schwer verletzt hatte. Wahrscheinlich würde er sterben.

Skar lächelte ihm flüchtig zu, unterdrückte ein Gähnen und reckte sich. Seine Gelenke knackten leise, und die vom langen Liegen steifen Muskeln reagierten mit stechenden Schmerzen auf die plötzliche Bewegung. Sein Kopf dröhnte noch immer, aber der Schlaf hatte ihm merklich gutgetan, und er spürte neue Kraft durch seine Glieder strömen.