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Als er aufsprang, war der Vede verschwunden. Für einen kurzen Moment glaubte er seine Gestalt noch einmal zu sehen, dann schlossen sich die tanzenden Schleier um ihn; der Sturm hatte ihn verschluckt. Schweratmend ließ Skar seine Waffe sinken, blieb eine Sekunde reglos und mit geschlossenen Augen stehen und wartete darauf, daß das schmerzhafte Pochen in seiner Brust aufhörte. Als er sich umwandte, sah er, daß Del zusammengekrümmt im Schnee hockte, die Hand gegen den Hals preßte und Blut spuckte. Seine Gestalt schien zu flackern, und als er den Kopf hob und Skar anschaute, war sein Blick trüb. Sein Gesicht schien leblos, als wäre es nicht echt, sondern nur eine Maske, die aus Wachs gegossen war und allmählich ihre Form verlor. Skar blieb neben ihm stehen und starrte ihn schweigend fast eine Minute lang an. Die Männer kamen langsam näher, aber er beachtete sie nicht.

»Geht es wieder?« fragte er leise.

Del nickte. Auf seinen Lippen war Blut. »Es... ist nicht schlimm«, murmelte er. »Laß mich einen Moment hier sitzen.«

Skar nickte. »Geht zurück«, rief er laut dem halben Dutzend Männern zu, die fassungslos ihn, Del und die drei Toten umstanden. Nicht einmal die Furcht auf ihren Zügen vermochte ihn noch zu erschüttern. »Geht!« sagte er noch einmal, als die Männer zögerten. »Del und ich kommen gleich nach. Geht zurück in die Ruine.« Er wartete geduldig, bis sie sich umgewandt hatten und gegangen waren, aber er schwieg weiter, wartete, bis auch der letzte im Inneren des Gebäudes verschwand und sie allein waren. Erst dann ließ er sich vor Del auf die Knie sinken und griff nach seiner Schulter.

»Hast du Schmerzen?« fragte er. Del mußte spürten, wie schwer es ihm fiel, ruhig zu bleiben. In seinem Inneren schien ein Taifun von widerstrebenden Gefühlen zu toben.

Del schüttelte mühsam den Kopf. »Jetzt nicht mehr.« Er lächelte, aber sein Gesicht verweigerte ihm den Dienst, als hätte er seine Muskeln nicht mehr völlig unter Kontrolle.

»Was war das, Del?« fragte Skar. Seine Stimme klang brüchig, flach und in seinen eigenen Ohren fremd. Irgendwo in seiner Brust erwachte ein dünner, quälender Schmerz. Er spürte, daß er nicht mehr lange die Kontrolle über sich selbst haben würde.

»Helth?« Del atmete hörbar ein. »Ich fürchte, wir haben einen schrecklichen Fehler gemacht, Skar. Es sieht so aus, als wäre unser Feind die ganze Zeit unter uns gewesen.«

»Dieses Ding war nicht Helth«, murmelte Skar.

»Nicht mehr«, verbesserte ihn Del. »Wir waren blind, Skar - du, ich, Gowenna... wir alle. Er hat die ganze Zeit nur auf eine Gelegenheit wie diese gewartet.«

»Er?«

»Der Dronte«, erwiderte Del ernst. »Dieses Ding ist ein Stück von ihm, Skar.« Er schwieg einen Moment, hob den Kopf und starrte an Skar vorbei nach Westen, dorthin, wo hinter den Ruinen Cor-ty-cors das Meer lag, als könne er den schwarzen Killersegler schon sehen. »Helth war der letzte, der von Bord des Dronte geflohen ist«, sagte er leise. »Er war länger auf diesem Ding als irgendeiner von uns, Skar. Irgend etwas ist mit ihm geschehen.« Seine Stimme zitterte, aber er sprach trotzdem, laut und beinahe zu ruhig, weiter. »Ich weiß nicht was, Skar, und ich weiß nicht wie, aber er hat von ihm Besitz ergriffen. Dieser Mann war schon nicht mehr Helth, als wir auf die SHAROKAAN zurückkehrten.«

Skar schwieg. Er wußte, daß Del recht hatte, aber etwas in ihm sträubte sich dagegen, seinen Worten zu glauben. Es war die ganze Zeit unter ihnen gewesen, vom ersten Moment an. Vielleicht nicht so mächtig und stark wie jetzt, aber schon im Keim vorhanden. Vielleicht war es gewachsen, ganz langsam, aber unerbittlich, hatte Helth wie ein Parasit Stück für Stück innerlich aufgefressen und ihn vom Mensch zum Ungeheuer werden lassen.

»Es war nicht Helth«, wiederholte Del noch einmal. »Der Vede ist zusammen mit seinem Vater und seinem Schiff gestorben, Skar.« Er bewegte die Schultern, schloß für einen Herzschlag die Augen und wollte aufstehen. Skar griff nach seinem Arm, umklammerte sein Gelenk und drückte mit aller Gewalt zu. Dels Lippen zuckten vor Schmerz.

»Ich habe noch eine Frage«, sagte er leise, »und ich möchte eine Antwort darauf.«

In Dels Augen blitzte es auf. Aber er schwieg.

»Du hast recht«, fuhr Skar fort. »Dieses Wesen war nicht mehr Helth. Aber wenn wir schon einmal dabei sind, Geheimnisse zu lüften, dann...« Er stockte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, die Worte auszusprechen, und als er es tat, war seine Stimme nur noch ein heiseres Krächzen.

»Ich will wissen, wer mit mir in Anchor an Bord des Schiffes gegangen ist. Es war ein Mann, der aussah wie Del, wie er redete und sich benahm wie er. Aber er war es nicht. Wer bist du?«

Del schwieg einen Moment. Auf seinen Zügen entstand ein Ausdruck von Verblüffung, aber er war nicht echt, nur gespielt. Er versuchte, seinen Arm loszumachen, aber Skar drückte nur noch fester zu und stieß ihn grob zurück. »Wer bist du?!« sagte - schrie er.

»Bist du von Sinnen?« keuchte Del. »Ich bin Del!«

»Wer bist du?« wiederholte Skar stur. In seinem Hals saß plötzlich ein schmerzhafter, scharfer Klumpen.

Del seufzte. »So genau weiß ich das selbst nicht«, antwortete er, in jenem halb ungeduldigen, halb resignierenden Ton, in dem man einem Blinden versucht, Farben zu erklären. »Meine Eltern haben mich ausgesetzt, als ich ein Jahr alt war. Ich wuchs bei verschiedenen Leuten auf, bis mich eine Räuberbande fand und...«

Skar schlug ihn. Del kippte nach hinten, stützte sich im letzten Moment mit den Händen ab und starrte Skar verblüfft an.

»Ich warne dich«, krächzte Skar. »Spiel nicht mit mir! Sag mir die Wahrheit, oder ich schwöre dir, daß ich dich töten werde.«

Irgend etwas in Dels Blick änderte sich. Langsam setzte er sich auf, starrte einen Moment zu Boden und sah Skar dann erneut an. Seine Augen wirkten plötzlich wie zwei grundlose graue Seen. Es waren nicht Dels Augen. Es waren nicht einmal die Augen eines Menschen, dachte Skar schaudernd. Es waren die Augen eines Wesens, das in Jahrmillionen zu rechnen gewohnt war, nicht in den Spannen eines Menschenlebens, für das es keine Geheimnisse und keine Fragen mehr gab, das nicht einmal in diese Welt gehörte.

»Vielleicht ist es so am besten«, sagte er leise. »Ich möchte nur eines, Skar. Ich möchte, daß du weißt, daß ich es nicht gerne getan habe. Wir hassen es zu lügen, und wir hassen es besonders, Freunde zu belügen.«

»Freunde?«

Del (Del?) nickte. »Du hast recht«, bekannte er. »Ich bin nicht Del. Nicht der Del, den du kennst, Skar, und doch ein Stück von ihm. Vielleicht mehr, als ich selbst bisher gewußt habe.« Seine Züge zerflossen. Schatten huschten auf unsichtbaren flinken Füßen über sein Gesicht, ließen es grau und konturlos werden, eine brodelnde Fläche ohne erkennbare Umrisse. Skar stöhnte.

»Freunde«, sagte der Sumpfmann noch einmal. »Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt haßt, Skar, aber ich fühle für dich wie für einen Freund.«

»Wie... wie ist dein Name?« fragte Skar stockend. Er war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte es gewußt, Augenblicke bevor das Gesicht seines Gegenübers zerfloß und zu dem des Schattenmannes wurde. Trotzdem lähmte ihn der Anblick.

»Mein Name...« Der Sumpfmann lächelte traurig, und Skar sah es, obgleich er kein Gesicht hatte. »Mein Name ist Yar-gan - oder er war es einmal. Warum nennst du mich nicht Del wie bisher? Ich bin es, Skar.«

»Del ist...«

»Nicht, was du denkst«, sagte der Sumpfmann schnell. »Er lebt.« Skar lachte krächzend. »Wo?« murmelte er. »In dir? In Cosh? In eurer Erinnerung?«

»In allem«, erwiderte der Sumpfmann ernst. »Und auch in sich, Skar. Doch ein Teil von ihm ist auch in mir.«